Der Hausarzt als Zweitmeinungslotse

Immer öfter wenden sich Patienten mit der Bitte um eine Zweitmeinung an spezialisierte Ärzte. Doch in vielen Fällen sehen sich diese Ärzte mit anonymen Anfragen konfrontiert, auf die eine fundierte Antwort unmöglich ist. Aufklärung tut dringend not.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:

KÖLN. Beim Einholen von ärztlichen Zweitmeinungen läuft zurzeit vieles unkontrolliert und ohne Qualitätssicherung. Das ist die Erfahrung von Professor Christof Sohn, Ärztlicher Direktor der Universitätsfrauenklinik Heidelberg.

"Die strukturierte Zweitmeinung ist noch die Ausnahme", sagt Sohn im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". Gerade in den Universitätskliniken, die weit über die Region hinaus bekannt sind, wenden sich viele Patienten mit der Bitte um eine Zweitmeinung an die Ärzte.

"Ich bekomme täglich Anfragen von verzweifelten Menschen", berichtet der Onkologe. Die Patienten recherchieren im Internet und stoßen dort auf die Namen von Experten, oft kommen die Anfragen per E-Mail oder Fax.

Dieses anonyme Vorgehen sei in vieler Hinsicht problematisch, sagt Sohn: Die Patienten wüssten häufig nicht, ob der ausgewählte Arzt tatsächlich der richtige für ihr Anliegen ist. Der Mediziner auf der anderen Seite erhält nur gefilterte Informationen, er kann gar keine differenzierte Antwort geben. "Die Bearbeitung kostet mich viel Zeit, die Verantwortung, die ich übernehme, ist groß", sagt Sohn.

Wichtig sei, dass den Menschen bewusst werde, dass man über den Fernkontakt keine qualifizierte Zweitmeinung erhalten kann. "Das persönliche Gespräch ist sehr wichtig." Ist das nicht möglich, sind zumindest strukturierte und aufbereitete Patientenunterlagen eine gute Grundlage. Die können über einen Arzt kommen, der einen Patienten für die Zweitmeinung vermittelt, oder über Versicherer und Krankenkassen. Sohn sitzt beim privaten Krankenversicherer DKV im wissenschaftlichen Beirat für den Tarif Best Care - hier hat die DKV ein Netzwerk von Spezialisten aufgebaut, zu denen Versicherte schnell Zugang erhalten. "Wenn ich gut aufbereitete Unterlagen bekomme, kann ich eine fundierte Zweitmeinung abgeben", sagt er.

Den niedergelassenen Ärzten kommt nach Einschätzung von Sohn bei der Aufklärung über die Zweitmeinung eine wichtige Rolle zu. Sie könnten Patienten deutlich machen, welche Chancen sie verspielen, wenn sie anonym eine Zweitmeinung einholen wollen. "Wenn ich auf eine E-Mail antworte, erhält der Patient lediglich eine Einzelmeinung von mir." Gehe er stattdessen direkt in die Heidelberger Klinik, befasse sich ein Tumorboard mit dem Fall.

Hier müssten allerdings auch die Kommunikation und die Außendarstellung der Krankenhäuser besser werden, räumt Sohn ein. "Die Niedergelassenen müssen wissen, wo sie einen Patienten für eine Zweitmeinung hinschicken können."

Der Heidelberger Mediziner hält es für sinnvoll, Patienten wenn möglich an zertifizierte Zentren zu verweisen. Keinen Sinn mache es jedenfalls, nach der Erstdiagnose in einer Klinik, die einen Eingriff rund 700 Mal im Jahr vornimmt, die Zweitmeinung in einem Haus einzuholen, das auf 50 Fälle kommt.

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