EGMR: Kein Recht auf staatliche Hilfe beim Freitod

STRAßBURG (mwo). Auch schwer kranke Menschen haben keinen Anspruch auf freien Zugang zu einem tödlichen Gift. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg wies am Donnerstag eine entsprechende Klage gegen die Schweiz ab.

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Der EGMR in Straßburg: Kein Recht auf staatliche Hilfe beim Suizid.

Der EGMR in Straßburg: Kein Recht auf staatliche Hilfe beim Suizid.

© dpa

In der Schweiz ist die Beihilfe zum Suizid nicht strafbar, wenn sie nicht aus eigennützigen Motiven heraus geschieht. Ein entsprechendes Gift dürfen Ärzte aber nur auf der Grundlage eines psychiatrischen Gutachtens verordnen.

Der heute 57-jährige Kläger leidet seit zwanzig Jahren unter schweren manisch-depressiven Schüben. Mehrere stationäre Klinikaufenthalte blieben ohne Erfolg, zwei Suizidversuche schlugen fehl.

Mit dem Wunsch nach einem würdigen und schmerzfreien Tod trat der Mann der Schweizer Sterbehilfeorganisation Dignitas bei. Er fand jedoch keinen Arzt, der ihm das Gift Sodium Pentobarbital verordnete.

Eine Genehmigung, das Mittel auch ohne Verordnung zu kaufen, wurde ihm von den Schweizer Behörden und danach auch vor Gericht verwehrt.

Das Schweizerische Bundesgericht erkannte zwar ein Recht auf Suizid an, der Staat müsse dies aber nicht unterstützen.

Nach dem Straßburger Urteil haben die Länder einen weiten Spielraum, inwieweit sie das Recht auf Freitod als Teil des Rechts auf Privatleben anerkennen.

Die meisten Zeichnerstaaten der Europäischem Menschenrechtskonvention legten den Schwerpunkt eher auf den Schutz des Lebens.

Eine "positive Pflicht" des Staates, selbstmordwilligen Bürgern Zugang zu einem entsprechenden Gift zu verschaffen, besteht jedenfalls nicht, urteilten der EGMR.

Zur Begründung verwies der EGMR auf das hohe Risiko von übereilten Entscheidungen und Missbrauch - gerade in einem vergleichsweise freizügigen Land wie der Schweiz.

Die Regelung, das Gift nur auf Basis eines Gutachtens und einer Verordnung auszugeben, diene in diesem Sinne der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit. Ein Verstoß gegen das Recht auf Privatleben liege daher nicht vor.

Az.: 31322/07

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 20.01.201118:18 Uhr

Sterbehilfe nach der EGMR-Entscheidung

Auch wenn es Vielen nicht gefällt, diese Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg stimmt mit den aktuellen Positionen des Deutschen Bundesgerichtshofes (BGH) aus rechtssystematischer Sicht überein. In der öffentlichen Debatte und in den Medien wollte man aktuell den Eindruck erwecken, passive oder gar aktive Sterbehilfe seien grundsätzlich nicht mehr durch § 216 StGB justiziabel. Und der BGH hätte sogar den ärztlich assistierten Suizid erlaubt.

Nein, der Weg im Grenzbereich zwischen Leben und Tod, in Ruhe sterben lassen oder Sterbehilfe-Aktionismus ist eine Gratwanderung: Die Beliebigkeit, "selbstmordwilligen Bürgern (von Staats wegen) Zugang zu einem entsprechenden Gift zu verschaffen" wurde wegen der staatlichen Garantenpflicht für öffentliche Gesundheit und Sicherheit verneint. * Die Europäische Menschenrechtskonvention legt den Schwerpunkt mehrheitlich eher auf den Schutz des Lebens und könnte dies nicht durch Freigabe von aktiver Sterbehilfe konterkarieren, zumal der Gefahr von Missbrauch und Fremdbestimmung nicht wirksam Einhalt geboten werden kann.

Der Schutz und Respekt des Patientenwillens hat höchste Priorität. Dies unterstützt Angehörige, Lebens- und Ehepartner bzw. Ärztinnen und Ärzte bei der Durchsetzung eines vom Patienten konkludent geäußerten Wunsches nach Behandlungsabbruch und reiner Palliativbehandlung, wenn es auf das Lebensende zugeht. Die Garantenpflicht, wie der BGH klarstellte, bedeutet eben auch, dass bei unzweideutiger Willenserklärung eines Sterbenden gerade n i c h t die ärztliche Verpflichtung besteht, ihn reanimieren, "retten" und "künstlich" am Leben erhalten zu müssen. Der Wunsch nach einem Tod in Würde und der unumkehrbare Sterbeprozess müsse respektiert werden. Die Verhinderung und Konterkarierung dieses ureigenen Patientenwillens ist nicht mehr statthaft.

Dagegen fühlt sich unser Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), der Pathologe Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe verpflichtet, einen vermeintlichen Widerspruch zwischen Straf- und Berufsrecht auflösen zu müssen. Nach seiner laienhaften und beratungsresistenten Vorstellung würde im aktuellen Strafrecht der ärztlich begleitete Suizid nicht mehr bestraft werden können. Deshalb müsse man, auf Wunsch eines Drittels von befragten Ärztinnen und Ärzten, auch das Berufsrecht ändern.

Aber was ist mit den zwei Dritteln, die den Status Quo befürworten? Soll deren Position unberücksichtigt bleiben?

Mit kollegialen Grüßen, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

*Anmerkung: Der Staat ist sogar verpflichtet, z. B. Schutzgitter an hohen Brücken, Gebäuden, Felsstürzen u. ä. Risikobereichen anzubringen, um dort Suizide zu verhindern.

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