DSO-Chef Hess im Interview

"Eine Behörde würde an den Problemen nichts ändern"

Inmitten eines großen Skandals muss Dr. Rainer Hess die Stiftung Organtransplantation umbauen. Im Interview erklärt er, wie Schummeleien verhindert werden könnten - und warum eine staatliche Organvergabe nicht helfen würde.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Dr. Rainer Hess (Archivbild): "Die Transplantationsbeauftragten in den Kliniken müssen ihre Pflichten tatsächlich wahrnehmen können."

Dr. Rainer Hess (Archivbild): "Die Transplantationsbeauftragten in den Kliniken müssen ihre Pflichten tatsächlich wahrnehmen können."

© Robert Schlesinger / dpa

Ärzte Zeitung: Ihre neue Aufgabe ist der Umbau der Deutschen Stiftung Organtransplantation in eine Organisation mit öffentlich-rechtlichen Elementen. Endet damit die Ära der privaten Organgewinnung und -zuteilung in Deutschland?

Rainer Hess: Das sehe ich so nicht. Es geht zunächst darum, dass der Bund und die Länder als Mitglieder in dieser Stiftung beteiligt werden wollen und sollen. Derzeit nehmen bereits zwei Vertreter des Bundes und einer der Länder als Gäste an den Sitzungen teil.

Das soll jetzt in der Satzung verfestigt werden, indem sie einen festen Mitgliedsstatus bekommen. Das ändert an sich an der Struktur der Stiftung nichts. Die DSO wird aus meiner Sicht nicht zu einer öffentlich-rechtlichen Stiftung, weil die Mehrheitsverhältnisse Bund und Ländern weder Majorität noch Vetorecht einräumen.

Aber der Staat gewinnt an Einfluss in der DSO?

Die Neuordnung ist ein Signal nach außen. Das ist richtig. Bund und Länder wollen sich stärker in die Regelung und Durchführung der Organentnahme durch diese Stiftung einbringen. Das ist positiv.

Das Ganze bleibt aber eine Aufgabe der Selbstverwaltung. Das ist politisch gewollt, jedenfalls von dieser Regierung. Wir haben jetzt die Chance, in diesem Jahr die Satzung zu ändern.

Die Probleme mit den Manipulationen in den Transplantationszentren liegen nicht in der Verantwortung der Stiftung. Eine Übertragung der Organspende auf eine staatliche Behörde würde an diesen Problemen nichts ändern.

Die Skandale haben direkte Auswirkungen auf das Spendeverhalten in Deutschland. Werden die Entscheidungslösung und die Installation von Transplantationsbeauftragten eine Wende bewirken?

Ich persönlich sehe noch ein drittes Element. Das habe ich noch als Vorsitzender des G-BA auf den Weg gebracht. Das ist die Qualitätssicherung. Die möchte ich gerne umgesetzt sehen.

Dr. Rainer Hess

Ausbildung: Rainer Hess, geboren 1940 in Frankfurt/Main, studierte zunächst Mathematik, von 1962 bis 1969 Rechtswissenschaften, Promotion im Steuerrecht 1972.

Karriere: 1969 bis 1971 Justiziar des Verbandes der leitenden Krankenhausärzte, 1971 bis 1987 Justiziar der gemeinsamen Rechtsabteilung von Bundesärztekammer und KBV; 1988 bis 2003 Haugeschäftsführer der KBV, 2004 bis 2012 Unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses; seit Januar 2013 Vorstand der Deutschen Stiftung Organspende

Der G-BA hat dem Aqua-Institut den Auftrag erteilt, Dialyse und Nierentransplantation sektoren- und einrichtungsübergreifend als Qualitätssicherungsmaßnahme zu erarbeiten. Das würde genau den Sachverhalt treffen, um den es bei den Manipulationen geht.

Da wurden Dialysen vorgetäuscht, die gar nicht gemacht worden sind, und Ergebnisse behauptet, die nicht stimmten. Wenn wir da eine Qualitätssicherung hätten, die Dialyse mit Transplantation koppelt, dann würden Sie über die Dokumentation und deren Monitoring solche Zwischenfälle vermeiden können.

Die Ärzte, die die Dialyse machen, gehen mit ihren Behandlungsdaten in die Qualitätssicherung ein. Ich lege großen Wert darauf, dass diese Qualitätssicherung endlich umgesetzt wird.

Haben Sie noch Einfluss auf Aqua?

Ich habe keinen Einfluss. Aber ich weiß, dass dieser Beschluss gefasst worden ist. Und ich werde mit dem G-BA, mit Aqua, mit den Trägerorganisationen sprechen, die ja gleichzeitig auch Trägerorganisationen der DSO sind.

GKV Spitzenverband und die DKG sitzen ja in beiden Gremien. Mit denen wird man erörtern müssen, wie man diese Qualitätssicherung möglichst schnell umsetzt. Und etwas Vergleichbares könnte man bei der Lebertransplantation durchaus auch anwenden.

Sind es einzelne Ärzte, die die Verfehlungen begangen haben, oder steckt System hinter den Manipulationen?

Es sind an vier Kliniken dieselben Sachverhalte aufgetreten. Das spricht dafür, dass es nicht nur eine Einzelsache ist, sondern wir leider mit weiteren Vorgängen rechnen müssen.

Kann die DSO gegen die von den Skandalen ausgehenden negativen Einflüsse auf die Spendenbereitschaft überhaupt etwas tun?

Organgewinnung und -zuteilung sind zwar zwei Säulen, aber an diesen Zwischenfällen sieht man, dass man gemeinsam nach Lösungen suchen sollte.

Unabhängig von den verschiedenen Verantwortungen: Es nutzt nichts, wenn man Organspende ordnungsgemäß und sauber durchführt, die Transplantationsschiene aber nicht entsprechend sauber läuft.

Dann können Sie so viele Spendenaufrufe starten, wie Sie wollen. Sie werden die Bereitschaft zur Organspende nicht steigern. Wir haben aber ein neues Transplantationsgesetz, dass auf eine breite Aufklärung der Bevölkerung als Grundlage für selbstbestimmte Entscheidungen zur Organspende setzt.

Deswegen müssen jetzt Maßnahmen ergriffen werden, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Organspende wieder herzustellen.

Haben Sie schon Kontakte zu Eurotransplant und den Transplantationszentren aufgenommen?

Ja. Ich bin dabei.

Sind die Transplantationsbeauftragten so gut, wie sie gedacht sind? Man hört, Angehörige würden unter Druck gesetzt.

Das ist eine Frage der Schulung, der Aufklärung. Das kann man nicht gesetzlich regeln. Das sind die Fragen, wie bilde ich die Transplantationsbeauftragten aus, wie suche ich sie aus, wie motiviere ich sie, wie bezahle ich sie?

Das alles muss in der Tat so geregelt sein, dass die Beauftragten ihren Auftrag erfüllen können. Sie machen das übrigens auch nicht alleine, sondern in Zusammenarbeit mit den Koordinatoren der DSO.

Wie kann man vermeiden, dass die Beauftragten nur pro forma eingesetzt werden?

Die müssen ihre Pflichten tatsächlich wahrnehmen können. Zudem müssen sie den Kontakt zur DSO halten. Es reicht nicht, wenn der Klinikträger in einem Krankenhaus einen Transplantationsbeauftragten benennt, aber wir wissen nicht, was der tut.

Und wir wissen nicht, welche Todesfälle auf der Intensivstation in diesem Krankenhaus zu einer Organspende hätten führen können.

Es gibt die Diskussion, nicht mehr dem ein Organ zuzuteilen, der es am dringendsten braucht, sondern dem, der voraussichtlich am längsten damit lebt. Wie stehen Sie dazu?

Das ist eine hochethische Fragestellung. Es ist nicht Aufgabe der DSO, sie zu beantworten Das ist eine typische Aufgabe für die Fachgesellschaften und Ethikkommissionen. Die gegenwärtig verbindlichen Richtlinien mögen falsch sein. Dann muss man sie korrigieren.

Aktuell lautet die Frage aber: Kann man vor dem Hintergrund der aufgetretenen Zwischenfälle sagen, wir geben den Ärzten mehr Spielraum, oder muss man im Gegenteil sagen, wir müssen ihr Tun noch stärker normativ vorgeben?

Der Gesundheitsminister denkt über härtere Sanktionsmöglichkeiten nach. Wie sollen die aktuellen Vorfälle geahndet werden?

Für mich als DSO-Vorstand steht nicht die Bestrafung der beteiligten Ärzte im Vordergrund sondern die Einführung geeigneter Maßnahmen, die derartige Manipulationen für die Zukunft verhindern.

Außerdem muss man erst prüfen, nach welchem Delikttatbestand bestraft werden soll. Liegt Körperverletzung vor? Wer ist dann verletzt worden. Ist das Betrug? Wer wird betrogen. Die Klinik ist es nicht, wenn Zielvereinbarungen abgeschlossen worden sind.

Geschädigt ist derjenige, der das Organ nicht bekommt. Aber den müssen sie erst einmal als tatsächlich geschädigtes Individuum ausmachen. Es ist ein Verstoß gegen das Berufsrecht. Den kann man wohl standesrechtlich ahnden.

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