Experten sehen Mängel in der Versorgung von Kindern mit ADHS

Weniger Medikamente, mehr Psychotherapie? Experten fordern ein Umdenken in der Versorgung psychisch kranker Kinder. Das gelte vor allem für die steigende Zahl von Jungen und Mädchen, die an ADHS erkrankt sind.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Zerstreut, vergesslich und hyperaktiv: Was tun, wenn "Mister 15 000 Volt" zum Problemfall für die Familie wird?

Zerstreut, vergesslich und hyperaktiv: Was tun, wenn "Mister 15 000 Volt" zum Problemfall für die Familie wird?

© Foto: imago

BERLIN. Kaum ein Thema wird in Wissenschaft und Öffentlichkeit derart kontrovers diskutiert wie die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung - kurz ADHS genannt. Laut Kinder- und Jugendgesundheitssurvey des Berliner Robert Koch-Instituts leiden in Deutschland heute knapp fünf Prozent aller Kinder und Jugendlichen an ADHS. Jungen sind viermal häufiger betroffen als Mädchen.

Wird ADHS nicht frühzeitig diagnostiziert und richtig behandelt, setzt sich das Krankheitsbild im Erwachsenenalter nicht selten fort. Doch gerade bei der Diagnose und der Therapie von ADHS hapert es offenbar nach Ansicht von Experten noch immer. "Zu viele Medikamente und zu wenig Psychotherapie" - so lautete denn auch die Kritik beim vierten Medizinkongress der Gmünder Ersatzkasse und des Zentrums für Sozialpolitik der Universität Bremen am Dienstag in Berlin.

"Es wird relativ schnell und relativ viel verordnet", konstatierte Kongressleiter Professor Gerd Glaeske. So würden Kinder- und Allgemeinärzte beim Thema ADHS aber oft unter einen gewissen Druck geraten: "Sie merken, dass es den Eltern schlecht geht und die Kinder offensichtlich Probleme haben." Manchmal werde dann vorschnell diagnostiziert und auch therapiert, um die Eltern zu entlasten. "Dadurch werden dann aber auch Kinder und Jugendliche mit Arzneimitteln behandelt, bei denen andere Möglichkeiten der multimodalen Therapie wie etwa Psychoedukation, Familien- oder Ergotherapie einen Nutzen haben", sagte Glaeske.

"Bei ADHS sollte die pharmakologische Behandlung nicht in jedem Fall am Anfang der therapeutischen Bemühungen stehen, sondern dann eingesetzt werden, wenn auf anderem Wege keine Änderung im Sinne von Verbesserung der Gesamtsituation zu erreichen ist", lautete auch die Empfehlung von Professor Ulrike Lehmkuhl von der Klinik für Psychiatrie an der Berliner Charité. Nur in Fällen, in denen die Ausschulung drohe oder alle Familienmitglieder so stark belastet seien, "dass das Kind mit ADHS zum absoluten Außenseiter geworden ist oder zu werden droht", sei eine sofortige Entlastung durch Medikamente angezeigt.

Lesen Sie dazu auch: Kassen wollen Geld für Versorgungsstudien

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Kommentare
Dipl.-Med Thomas Greger 15.07.200907:17 Uhr

Prominenz schützt nicht vor Unwissenheit

Man kann es schon nicht mehr hören, wenn sich vermeintliche Experten über die Behandlungsweise von Aufmerksamkeitsstörungen äußern. Wer erst in den beschriebenen Notsituationen zur Medikation greift, hat bis zu diesem Zeitpunkt schon Schädigungen bzw. Entwicklungsstörungen in kauf genommen. Die Effizienzstudien sagen es doch allzu deutlich, was hier wirklich Abhilfe bringt, ganz zu schweigen von den Berichten der Betroffenen, die ganz klar sagen, dass es erst wirklich vorwärts geht, wenn Medikation ALS GRUNDLAGE weiterer Bemühungen angewandt wird. Das heißt nicht, dass sich diese komplementären Therapien erübrigen würden, wenn es manchmal auch beobachtbar ist. Nach COGHILL wird in Europa nur jedes zehnte ADHS-Kind behandelt. Wir dürfen uns in der BRD auf die Fahnen schreiben, dass es hierzulande etwas besser ist. Doch von vorschneller Medikalisierung kann gewöhnlich nicht gesprochen werden, ganz abgesehen davon, dass es entsprechende Therapeuten gar nicht genügend gibt und diese völlig überlastet sind. Und wer Ergotherapie zur Behandlung der Störung empfiehlt, hat "den Schuß wohl nicht gehört". Den Populismus eines Herrn Glaeske bezahlen viele Kinder mit jahrelangem Leidensprozeß.

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