Fachkräftemangel

Gesundheitswirtschaft am Limit?

Mit fast 370 Milliarden Euro trägt die Gesundheitswirtschaft zwölf Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei und gibt 7,6 Millionen Menschen Arbeit. Doch zuletzt deuten sich auch Grenzen des Wachstums an, wie aus der gesundheitswirtschaftlichen Gesamtrechnung des Bundeswirtschaftsministeriums hervorgeht: Fachkräfte scheinen zum Engpassfaktor zu werden.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:

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Es ist eine Lokomotive, die mit hohem Drehmoment die deutsche Wirtschaft in Schwung hält. Jeder achte Euro Bruttowertschöpfung in Deutschland wird in der Gesundheitswirtschaft generiert.

In den zwölf Jahren seit 2007 betrug die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Wertschöpfung durch Medizin, Pflege und angrenzende Branchen 4,1 Prozent, die Beschäftigung wuchs jedes Jahr im Schnitt um 2,2 Prozent.

2018 erreichte die Bruttowertschöpfung in allen Teilen der Gesundheitswirtschaft – dazu zählen unter anderem medizinische Versorgung in Praxen und Kliniken, Pflege, Pharma- und Medizintechnik-Industrie, Apotheken und Fachhandel – 369,8 Milliarden Euro, ein Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr von vier Prozent.

Das geht aus der gesundheitswirtschaftlichen Gesamtrechnung hervor, die das Darmstädter WifOR-Institut jährlich im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erstellt.

Ziel dieses Instruments ist es, anders als die sozialpolitisch geprägte Perspektive auf das Gesundheitswesen als Kostenfaktor, dessen Bedeutung als Glied der Wertschöpfung in der Gesamtwirtschaft, als Beschäftigungsfaktor und somit auch als Beitrag zum Wohlstand der Gesellschaft exakt zu erfassen.

Seit 2017 zeigt eine Bundesländer-Analyse, welchen Beitrag die Gesundheitswirtschaft für Einkommen und Beschäftigung in den Regionen leistet und welche Zweige der Gesundheitswirtschaft besonders bedeutsam sind.

Ein gigantischer „Fußabdruck“

Über die eigene Wertschöpfung hinaus verursacht die Gesundheitswirtschaft weitere Effekte:

  • Indirekte Wirkungen sind der Bezug von Vorleistungen – Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe – und Investitionen, die in vorgelagerten Branchen eine Bruttowertschöpfung von zuletzt 166 Milliarden Euro erreichten.
  • Induzierte Effekte resultieren aus den Einkommen der in der Gesundheitswirtschaft Beschäftigten, etwa durch Konsumausgaben: Das bewirkt eine weitere Wertschöpfung von 132 Milliarden Euro.

Zusammen mit diesen Ausstrahlungseffekten erreicht der „ökonomische Fußabdruck“ der Gesundheitswirtschaft den gigantischen Betrag von 668 Milliarden Euro. Anders gesagt: Jeder Euro, der in der Gesundheitswirtschaft selbst erwirtschaftet wird, generiert weitere 0,81 Euro in anderen Teilen der Wirtschaft.

Nicht ganz so groß ist der Beschäftigungs-Multiplikator: aber immerhin bewirkt die Gesundheitswirtschaft, dass in anderen Branchen, neben den 7,6 Millionen unmittelbar in der Gesundheitswirtschaft Beschäftigten, weitere 4,5 Millionen Menschen Arbeit haben.

Der Kern und der auch volumenmäßig bedeutendste Teil der Gesundheitswirtschaft ist die medizinische Versorgung: Sie erreichte 2018 eine Bruttowertschöpfung von 195,8 Milliarden Euro, 4,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch im langjährigen Mittel liegt das durchschnittliche Wachstum mit 4,3 Prozent über dem der gesamten Gesundheitswirtschaft und weit über dem der deutschen Volkswirtschaft. Allerdings sind neuerdings auch Grenzen des Wachstums sichtbar: Mit 4,8 Millionen Beschäftigten stagnierte der Arbeitsmarkt in der medizinischen Versorgung, nachdem in den vorangegangenen zehn Jahren ein Zuwachs von 1,1 Millionen Arbeitsplätzen registriert worden war.

Beispiel Krankenhaus: Deren Bruttowertschöpfung stieg im vergangenen Jahr zwar noch um 3,9 Prozent, aber die Zahl der Arbeitsplätze blieb mit rund 1,2 Millionen in etwa konstant.

Wohl nicht nur Produktivitätsfortschritte

Dass Kliniken seit Jahren rationalisieren und dabei auch am Personal sparen, zeigen die sehr unterschiedlichen Wachstumsraten von durchschnittlicher jährlicher Bruttowertschöpfung mit 4,3 Prozent und nur 1,8 Prozent jährlicher Zunahme der Erwerbstätigen.

Es ist zu vermuten, dass die Differenz von 2,5 Prozent nicht nur Produktivitätsfortschritte sind, sondern auch durch belastende Arbeitsverdichtung erreicht wurden.

Im Prinzip trifft die Arbeitsverdichtung auch die Ärzte, deren Zahl zwischen 2007 und 2017 jährlich um 2,6 Prozent zugenommen hat. Das ist aber nur die halbe Wirklichkeit: Mit einer Zunahme von jährlich 4,4 Prozent wächst die Zahl der Ärztinnen in Krankenhäusern fast dreimal so stark wie die ihrer männlichen Kollegen (1,7 Prozent).

Das hat dazu geführt, dass der Ärztinnen-Anteil in den Kliniken inzwischen 44,5 Prozent erreicht hat – und zugleich die Quote der Teilzeit-Beschäftigungen von 14 Prozent in 2007 auf 24 Prozent in 2017 gestiegen ist.

Für die Beschäftigung ebenso wichtig sind die Praxen niedergelassener Ärzte und Zahnärzte, die insgesamt 1,01 Millionen Menschen Lohn und Brot geben. Etwas überraschend ist, dass das Wachstum der Bruttowertschöpfung bei den niedergelassenen Ärzten mit jährlich 3,5 Prozent erheblich unter dem der Krankenhäuser von 4,3 Prozent liegt und zuletzt 45,9 Milliarden Euro erreicht hat.

Mehr Dynamik zu erwarten

Vor dem Hintergrund wachsender Möglichkeiten der ambulanten Medizin wäre mehr Dynamik zu erwarten – ein möglicher Hinweis auf Fehlsteuerungen im Gesundheitssystem durch unnötige Hospitalisierung von Patienten.

Auch die Daten der gesundheitswirtschaftlichen Gesamtrechnung verdeutlich – aus einer anderen Perspektive – das Problem der Pflegeversorgung: Personalmangel bei dynamisch wachsendem Leistungsbedarf.

Kein anderer Sektor der Gesundheitswirtschaft hat sich in den vergangenen zehn Jahren mit solchem Tempo entwickelt wie die Pflege: Die Bruttowertschöpfung der ambulanten Pflege wuchs jahresdurchschnittlich um 8,2 Prozent auf zuletzt 18,5 Milliarden Euro, in der (teil-)stationären Pflege lag das Wachstum bei 4,6 Prozent, erreicht wird eine Wertschöpfung von 24 Milliarden Euro.

Wachsende Arbeitsverdichtung

Die Zahl der Erwerbstätigen in der ambulanten Pflege stieg in den vergangenen zehn Jahren durchschnittlich aber nur um 3,7 Prozent auf 1,1 Millionen, in der stationären Pflege um 2,9 Prozent auf 700.000 Beschäftigte.

Hier zeigt sich ein ähnliches Muster wie im Krankenhaus: Der hohe Anstieg der Wertschöpfung, der weit über dem Beschäftigungszuwachs liegt, kann in diesem arbeitsintensiven Sektor nicht mit Produktivitätszuwächsen erklärt werden.

Vielmehr deuten die Diskrepanzen auf eine wachsende und gefährliche Arbeitsverdichtung hin, die inzwischen auch massiv in den Morbiditätsdaten der Beschäftigten vor allem in der Alterspflege niedergeschlagen haben.

Eine Sonderstellung innerhalb der Gesundheitswirtschaft nimmt die industrielle Gesundheitswirtschaft ein:

  • Mit einer jährlichen Wachstumsrate ihrer Wertschöpfung von 3,8 Prozent auf zuletzt 84,2 Milliarden Euro ist ihre Dynamik leicht unterdurchschnittlich.
  • Die Zahl der Erwerbstätigen nimmt mit jährlich 1,6 Prozent ebenfalls weniger stark zu als in der gesamten Gesundheitswirtschaft. Mit 1,007 Millionen Erwerbstätigen in 2018 war die Beschäftigung sogar leicht rückläufig.
  • Die industrielle Gesundheitswirtschaft ist charakterisiert von starker internationaler Arbeitsteilung: Der Exportwert liegt bei fast 121 Milliarden Euro, der Importwert bei 82 Milliarden Euro. Importe und Exporte nehmen stärker zu als die Wertschöpfung – das heißt: Das Ausmaß an internationaler Kooperation wächst. In einer Branche wie der Pharma-Industrie überquert ein Arzneimittel bis zu seiner endgültigen Fertigstellung rund fünfmal die Staatsgrenzen.
  • Ihren Schwerpunkt hat die industrielle Gesundheitswirtschaft im Südwesten Deutschlands: Hessen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sind die bedeutendsten Heimatländer der Gesundheitsindustrie.
  • Auf die Wertschöpfung der industriellen Gesundheitswirtschaft muss der Wert ihrer Forschungsleistungen addiert werden, zuletzt sechs Milliarden Euro, die von 47.500 Mitarbeitern erwirtschaftet werden. Die Dynamik in der industriellen Forschung ist deutlich größer als etwa an den staatlich finanzierten Hochschulen.
  • Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen geben Hoffnung: auf Innovationen, die Krankheiten heilen und Pflegebedürftigkeit verhindern oder verzögern. Das würde überlasteten Ärzten und Pflegekräften helfen, ihre Aufgaben besser zu erfüllen.
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