"Gute Pflege zum Nulltarif ist eine Illusion"

Axel Hölzer, früherer Vorstandsvorsitzende der Marseille-Kliniken AG, wird ab Juli dem privaten Pflegeanbieter Cura als neuer Chef vorstehen. Im Interview mit der "Ärzte Zeitung" spricht der Manager über missglückte Reformen, Nachholbedarf bei der Vergütung von Heimärzten und eine dickere Lohntüte für Pflegekräfte.

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Axel Hölzer

Aktuelle Position: Gesundheitsberater. Ab Juli 2012 wird Axel Hölzer Geschäftsführer der Cura Kurkliniken, Seniorenwohn- und Pflegeheime GmbH.

Werdegang /Ausbildung: 1988 bis 1995: Wirtschaftsprüfung/Unternehmensberatung Arthur Andersen

1995 bis 2010: Marseille-Kliniken

2010 bis 2012: HIC Healthcare GmbH

Privates: Axel Hölzer lebt in Berlin, ist verheiratet und Vater von drei Kindern. In seiner Jugend spielte er Fußball auf Leistungssportniveau, heute betreibt er in seiner Freizeit vor allem Nordic Walking.

Ärzte Zeitung: Herr Hölzer, im Jahr eins nach dem "Jahr der Pflege" liegt ein Gesetzentwurf zur Pflegereform vor. Gelingt Union und FDP damit der weite Sprung?

Hölzer: Nicht wirklich. Seit Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 dreht sich die Diskussion im Kreis. Die Kernfrage dabei lautet: Wie soll Pflege in einer alternden Gesellschaft dauerhaft und gerecht finanziert werden?

Die einen setzen auf ergänzenden Kapitalstock, die anderen auf Bürgerversicherung. Konsequent wird bislang keiner der Wege gegangen. Auch Schwarz-Gelb hat nur ein Reförmchen gebaut.

Dabei hat der Bundesgesundheitsminister aus der finanziellen Not zumindest eine Tugend gemacht und partielle Verbesserungen für Demenzkranke und deren Angehörige umgesetzt. Offen bleibt das Grundsätzliche: die Neudefinition des Pflegebegriffes und die langfristige Finanzierung von Pflege - verbunden mit der gesellschaftspolitisch heiklen, aber zwingend zu beantwortenden Frage eines gleichen Standards für alle.

Ärzte Zeitung: Was genau meinen Sie mit "gleicher Standard für alle"?

Hölzer: Wir müssen uns als Gesellschaft zum Beispiel darüber verständigen, ob es Standard in stationären Pflegeeinrichtungen ist, dass Pflegebedürftige dort im Einzel- oder im Doppelzimmer untergebracht sind. Letztlich entscheiden die gewählten Standards über die daraus resultierenden Kosten, die folgerichtig über höhere Beiträge zu finanzieren sind. Wenn das Einzelzimmer Standard sein soll, dann kostet das mehr. Das müssen die Politiker offen sagen und die Bürger akzeptieren.

Ärzte Zeitung: Wie stark sind Entscheidungen eines Pflegeanbieters eigentlich von Paragrafen abhängig, die der Gesetzgeber beschließt?

Hölzer: Sehr stark. Pflege findet von der Einnahmeseite her gesehen auf der Grundlage des Pflegeversicherungsgesetzes in seinen, dem föderalen System geschuldeten unterschiedlichen Ausprägungen statt.

Hinzu tritt das umfangreiche Regelungswerk des Heimgesetzes, ferner Pflegequalitäts-Mindestpersonalregelungen, Bestimmungen zum Brandschutz, Hygienevorschriften und vieles mehr. Dringende Regelungsbereiche wie die Ausbildungs- und Anerkennungsvorschriften für ausländische Fachkräfte kommen hingegen nicht recht voran.

Gefordert wird also - zum Wohle und Schutz der Allgemeinheit - viel. Und das ist auch richtig so. Wenn es dann aber ans Geben geht, wird der Paragraphen-Dschungel genutzt, um die Kostenbelastung für die Allgemeinheit - Pflegekassen und Gemeinden - möglichst gering zu halten.

So befinden sich die Pflegeanbieter im Ergebnis in einer Zerreißprobe zwischen externen rechtlichen Anforderungen einerseits und den wirtschaftlichen Möglichkeiten und Zwängen andererseits.

Anders als in vielen anderen europäischen Ländern machen zudem die fehlenden Aussagen zu benötigten Bettenkapazitäten eine langfristige Planung und damit Sicherung von zu tätigenden Investitionen sehr schwer.

Ärzte Zeitung: Sie sprechen von Einzelzimmer und Bettenkapazitäten. Haben denn aber Pflegeheime überhaupt eine Zukunft? Die Menschen wollen doch lieber zu Hause oder in einer Wohngemeinschaft ihren Lebensabend verbringen!

Hölzer: Natürlich wünschen sich immer mehr alte Menschen ein ihrem gesundheitlichem Zustand entsprechendes selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden. Oder aber sie möchten mit Altersgleichen zusammenleben.

Hier hat sich durch das betreute Wohnen eine wichtige Ergänzung, ich würde sogar sagen Alternative, zum Heim etabliert. Der Pflegemarkt verändert sich rasant, weil die Wünsche der Menschen sich ändern. Langfristig werden nur intensiv Pflegebedürftige das klassische Pflegeheim wählen müssen. Aber das ist eine nicht eben kleine Gruppe, und deshalb wird auch das Heim weiterhin eine zentrale Rolle spielen.

Ärzte Zeitung: Es wird demnach für den erfolgreichen Pflegeanbieter darauf ankommen, ein breites Angebot an Wohnformen vorzuhalten?

Hölzer: Viele Betreiber differenzieren ja bereits ambulante Pflege, betreutes Wohnen und stationäre Pflege in eigenen Organisationseinheiten oder Partnerschaften aus. Dies erhöht die Möglichkeiten eines Bewohners, verschiedene Wohnformen kennen zu lernen. Entscheidend wird die Qualität der pflegerischen Versorgung sein. Das ist der Maßstab für die Menschen, wenn sie auf Pflege angewiesen sind und dafür einen professionellen Partner - sei es ein Heim oder einen ambulanten Dienst - suchen.

Ärzte Zeitung: Heime und Pflegedienste geraten immer wieder in die Schlagzeilen wegen interner Missstände. Wo werden seitens des Managements die größten Fehler gemacht?

Hölzer: Von den schwarzen Schafen einmal abgesehen, die entstehende Überschüsse nicht in angemessenem Umfang reinvestieren, beginnen die Probleme zumeist dann, wenn die Einnahmeseite aufgrund fehlender Belegung oder zu niedrigen Pflegesatzerhöhungen nicht ausreichend ist, um sämtliche notwendigen Kosten für einen qualitätsgesicherten Betrieb zu tragen. Dann wird zu Lasten der wichtigsten Ressourcen - Personal und Immobilie - gespart.

Meist geht damit die Selbsttäuschung einher, die Rückstände ließen sich bei einer künftig besseren finanziellen Situation natürlich wieder aufholen. Wird dieser Weg jedoch beschritten, so wird es mittelfristig zum einen sehr schwer, attraktiv für gut qualifizierte und motivierte Mitarbeiter zu sein, was Voraussetzung für die Pflegequalität ist.

Zum anderen wird es immer schwerer, attraktiv für Kunden zu sein, weil die Immobilie nicht mehr im Wettbewerb bei partiell bestehenden Überkapazitäten bestehen kann. Ein Betrieb muss also erfolgreich sein, um reinvestieren zu können und damit langfristig bestehen zu können. Dies wiederum geht nur mit attraktiven Arbeitsbedingungen für Mitarbeiter und ansprechender Immobilie.

Ärzte Zeitung: Mediziner, Patienten, Pflegekräfte, Kassen - sie alle halten die heimärztliche Versorgung für überwiegend mangelhaft: Hausärzte kritisieren die unzureichende Honorierung, das Heimpersonal beschwert sich über Arztvisiten zu Unzeiten und Kassen klagen über hohe Kosten infolge unnötiger Klinikeinweisungen. Was muss geschehen?

Hölzer: Kern des Problems ist sicher die nicht auskömmliche Vergütung für die Behandlung einer Patientengruppe, die andere Bedürfnisse hat und andere Anforderungen an die fachliche und menschliche Qualifikation der Ärzte stellt als dies für jüngere Patienten notwendig ist. Während bei der Absicherung der fachlichen Qualifikation schon viele interessante Konzepte zur hausärztlichen Versorgung in den Heimen praktiziert werden, besteht bei der Vergütung noch Handlungsbedarf.

Ärzte Zeitung: Auf dem Land, wo Ärzte fehlen, dürfte das Problem so leicht nicht zu lösen sein.

Hölzer: Das stimmt. Der bestehende Mangel an Ärzten insbesondere in ländlichen Regionen macht uns schon Sorgen. Gleichzeitig besteht darin auch eine Chance, nämlich, das Qualifikationsprofil für Pflegefachkräfte gesetzlich zu erweitern, damit diese bestimmte Behandlungsfelder der Ärzte übernehmen können. So lassen sich die Behandlungsintervalle der Heimbewohner verbessern. Zum anderen wird das Berufsbild Pflege aufgewertet, was wiederum dem sich verschärfenden Fachkräftemangel in der Pflege entgegenwirkt.

Ärzte Zeitung: Also mehr Substitution ärztlicher Aufgaben - auch mit Blick auf eine optimierte Versorgung im Heim?

Hölzer: Ja, auch wenn sich Ärzteverbände noch immer schwer tun bei diesem Thema. Aber es darf nicht um die Interessen von Berufsfunktionären gehen. Wir müssen eine optimale Versorgung der Patienten und Heimbewohner sicherstellen. Dieser Aufgabe sind wir verpflichtet.

Ärzte Zeitung: Herr Hölzer, Sie haben lange Jahre als Vorsitzender des Vorstands der Marseille-Kliniken für mehr Transparenz am Pflegemarkt gekämpft - Stichwort "gläsernes Heim". Was hat sich der designierte Chef der Cura GmbH vorgenommen?

Hölzer: Nach dem allgemeinen "Betreiber bashing" der vergangenen Jahre muss die Energie aller nun darauf gerichtet sein, die Attraktivität des Pflegeberufes zu verbessern. Nur so lässt sich diese wichtige Aufgabe flächendeckend und langfristig qualitätsgesichert anbieten. Über bessere Arbeitsbedingungen, eine höhere gesellschaftliche Anerkennung, aber auch über eine verbesserte Vergütung müssen wir den Pflegeberuf attraktiver machen.

Ärzte Zeitung: Das dürfte richtig viel Geld kosten.

Hölzer: Gute Pflege zum Nulltarif ist eine Illusion. Alle Versicherten müssen bereit sein, über höhere Beiträge zur Pflegeversicherung einen Betrag zur Attraktivität des Berufsbildes Pflege und damit zur Qualitätssicherung in der Pflege für Familienmitglieder und eventuell sich selbst zu leisten. An diesem Ziel müssen Betreiber, Verbände und Politik intensiv und gemeinsam arbeiten, um eine sich abzeichnende Fehlversorgung zu vermeiden.

Das Interview führte Tobias Meyer.

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