Hintergrund
Hilfe für Sterbenskranke: In vielen Regionen knirscht es
Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung nimmt Fahrt auf - von einer Flächendeckung ist sie aber noch weit entfernt. Dort wo Spezialistenteams bereits arbeiten, werden sie von Finanz- und Akzeptanzproblemen gebremst.
Veröffentlicht:Unser Motto ist: Wenn der Hausarzt nicht will, greifen wir nicht ein." Cora Schulze, Koordinatorin des PCTO in Leer
Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) in Deutschland macht leichte Fortschritte. GBA und GKV-Spitzenverband haben kürzlich berichtet, dass die Zahl der SAPV-Verträge in Deutschland Ende 2010 auf 119 gestiegen ist und noch 60 Verträge verhandelt werden.
Allerdings - auch bei bereits geschlossenen Verträgen hören die Probleme nicht auf. Unterfinanzierung und Akzeptanzprobleme machen der SAPV weiter zu schaffen. Das berichtet Cora Schulze, Koordinatorin des Palliativ Care Teams Ostfriesland (PCTO) in Leer. Ihr Team ist eines von 25 SAPV-Teams in Niedersachsen.
Das PCTO hat 2010 den Niedersächsischen Mustervertrag für die SAPV übernommen und im abgelaufenen Jahr 138 Sterbende betreut. Tendenz steigend. Anhand der Umsätze und Kosten lasse sich erahnen, dass es Ende 2011 noch mehr Patienten sein werden, erklärt Schulze. Der Bedarf ist also eindeutig da.
Konkurrenzsituation tut der SAPV nicht gut
Problematisch sei aber zum Beispiel die Konkurrenzsituation, in der die inzwischen drei Leeraner SAPV-Anbieter stecken. "Nachdem wir hier begonnen haben, sind noch zwei andere SAPV-Dienste auf den Markt getreten", sagt Schulze, "damit haben wir eine Konkurrenzsituation, die der SAPV nicht gut tut."
Diese Dienste arbeiten mit geringerer Reichweite im ländlichen Ostfriesland. Und wenn ein weit entfernt lebender Patient in ein näher an Leer gelegenes Krankenhaus kommt, greifen die anderen Dienste offenbar gelegentlich auf den Patienten zu.
Vielleicht würde dieses Verteilungsproblem nicht einmal so sehr ins Gewicht fallen, wenn wirklich alle Palliativpatienten in der 470.000-Einwohner-Region auch mit SAPV versorgt werden könnten. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) geht von einem SAPV-Team pro 250.000 Einwohner aus.
Paragraf 37b SGB V: Spezialisierte ambulante Palliativversorgung (Auszug)
"Versicherte mit einer nicht heilbaren, fortschreitenden und weit fortgeschrittenen Erkrankung bei einer zugleich begrenzten Lebenserwartung, die eine besonders aufwändige Versorgung benötigen, haben Anspruch auf SAPV. Die Leistung ist von einem Vertragsarzt oder Krankenhausarzt zu verordnen."
In Ostfriesland käme man damit etwa auf 500 Patienten im Jahr, von denen das PCTO laut Schulze knapp die Hälfte versorgen könnte. Es wäre damit Platz für mehrere Anbieter.
"Aber der MDK prüft fast alle neurologischen und internistischen Patienten raus", klagt Schulze, "wir versorgen fast nur Tumorpatienten." Dabei könnten auch andere Patienten wenigstens für einige Tage per intermittierender SAPV versorgt werden, bis sie stabilisiert sind.
Wie hoch die Dunkelziffer der Sterbenden ist, für die möglicherweise SAPV in Frage käme, sei unter anderem deshalb unklar, "weil manche Hausärzte nichts von der SAPV halten und die Versorgung lieber selber machen", sagt Schulze. "Von diesen Patienten erfahren wir höchstens durch Zufall, wenn sie etwa von einem Krankenhaus die SAPV-Verordnung erhalten."
Dann komme es manchmal zu Konflikten, weil der Hausarzt keine Folgeverordnung ausstellen will. "Damit die Versorgung nicht unrund läuft, geht es bei uns nach dem Motto: Wenn der Hausarzt nicht will, greifen wir nicht ein", sagt Schulze. Natürlich könnten auch die Ärzte des PCTO eine Verordnung ausstellen, aber das würde Konflikte bedeuten. Schulze: "Das machen wir nicht." Insgesamt nehme die Akzeptanz bei den Hausärzten aber zu, hieß es.
Palliativdienste sehen bei den Kassen ein Spiel auf Zeit
Unterdessen brachen die Kassen die Nachverhandlung zur Vergütung für den Mustervertrag im Juni kurz nach Beginn ab und verlangten, dass die von ihnen jahrelang akzeptierte Verhandlungsgruppe, die schon den Mustervertrag ausgehandelt hat, nun schriftlich mandatiert werden müsse.
"Offensichtlich soll auf Zeit gesetzt werden", schreibt Professor Winfried Hardinghaus von der Niedersächsischen Koordinierungs- und Beratungsstelle für Hospizarbeit und Palliativversorgung an die Palliativdienste. Zur Debatte steht die Erhöhung der Vergütung um rund ein Drittel, unter anderem der Eingangs- und Koordinierungspauschale auf 280 Euro und 80 Euro.
Nun werde sich die Gruppe mandatieren lassen, sagte Hardinghaus der "Ärzte Zeitung". Derzeit haben die Hälfte der 31 SAPV-Dienste die Gruppe mandatiert. "Formal ausreichend", wie das Verhandlungsteam erklärt. Am 22. September soll verhandelt werden.