Hoppe: Absage an Suizidbeihilfe

Kurz vor dem Ärztetag legt die Bundesärztekammer eine Klarstellung im Berufsrecht vor, die den Beistand für Sterbende regelt.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Hoppe: Neufassung zum Verbot ärztlicher Suizidbegleitung erlaubt keine Interpretationen mehr.

Hoppe: Neufassung zum Verbot ärztlicher Suizidbegleitung erlaubt keine Interpretationen mehr.

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BERLIN. Die Bundesärztekammer will die Vorschriften für den "Beistand für Sterbende" in der Muster-Berufsordnung (MBO) präziser fassen. Der Vorstand hat einen Vorschlag veröffentlicht, der dem Deutschen Ärztetag in Kiel vorgelegt werden soll.

In Paragraf 16 des Entwurfs heißt es: "Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten."

Demgegenüber heißt es in der derzeit gültigen MBO in Paragraf 16 lediglich: "Ärztinnen und Ärzte dürfen das Leben der oder des Sterbenden nicht aktiv verkürzen." Es fehlt bislang somit ein eindeutiges Verbot der ärztlichen Suizidbegleitung.

Aus Sicht von BÄK-Präsident Professor Jörg-Dietrich Hoppe würde die Neufassung für mehr Klarheit sorgen: "Mit der vorgeschlagenen Formulierung muss und kann nicht mehr interpretiert werden. Es ist für jeden klar, dass Ärzte keinen Suizid unterstützen dürfen."

Allerdings betont die Neufassung prominenter als bisher das Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Im bisher geltenden Berufsrecht heißt es, Ärzte dürften "auf lebensverlängernde Maßnahmen nur verzichten und sich auf die Linderung der Beschwerden beschränken, wenn ein Hinausschieben des unvermeidbaren Todes für die sterbende Person lediglich eine unzumutbare Verlängerung des Leidens bedeuten würde".

Dagegen hebt die Vorschlagsfassung des Paragraf 16 nun ausdrücklich auf Wunsch und Wille des Patienten ab.Mit dem Vorschlag, das Berufsrecht zu ändern, reagiert die BÄK auch auf die deutliche Kritik, die sich an den novellierten Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung entzündet hatte.

In der im Februar vorgestellten Neufassung wurde auf die bisherige Passage verzichtet, die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung eines Patienten sei ein Verstoß gegen das "ärztliche Ethos". Stattdessen wird klargestellt, die "Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung ist keine ärztliche Aufgabe".

Als Begründung für die Umformulierung hatte die BÄK angeführt, man wolle die "verschiedenen individuellen differenzierten Moralvorstellungen von Ärzten in einer pluralistischen Gesellschaft" anerkennen. Die BÄK war mehrfach der Interpretation entgegengetreten, dies signalisiere eine Abschwächung der bisherigen Haltung.

Dennoch regte sich in mehreren Landesärztekammern Unmut. Die hessischen Kammer-Delegierten etwa kritisierten, die Formulierung könne so verstanden werden, "dass die Mitwirkung beim Suizid eine zwar nicht ärztliche, aber private, individuelle Aufgabe" sein könne.

Der Deutsche Ärztetag in Kiel wird den 250 Delegierten Gelegenheit geben, die prekäre Balance zwischen der Pflicht zur Lebenserhaltung der Selbstbestimmung des Patienten auszuloten. Noch vor der MBO-Änderung steht dort auf der Tagesordnung: Die palliativmedizinische Versorgung in Deutschland.

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Kommentare
Uwe Schneider 15.05.201123:23 Uhr

Beihilfe zur Selbsttötung ist straffrei

Ein paar rechtliche Klarstellungen, auch zum Kommentar von Herrn Dr. Schätzler:

1. Selbsttötung ist in Deutschland nicht strafbar. Daher kann auch die (aktive) Beihilfe zur Selbsttötung, z.B. durch Verschaffen einer tödlichen Medikamentendosis, an sich nicht strafbar sein.

2. Wenn die Aktivität des "Helfenden" allerdings so weit geht, dass er den letzten Schritt ausführt, z.B. die tödliche Spritze nicht nur verschafft, sondern auch verabreicht, dann ist er nicht mehr Gehilfe, sondern selbst Täter und kann sich der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) strafbar machen.

3. Geschieht die Tötung auf Verlange jedoch durch Unterlassen (Behandlungsabbruch), so kommt es auf die Umstände an, ob der Arzt (oder Angehörige oder Dritte) garantenpflichtwidrig handelt und sich damit strafbar macht. Hier ist der entsprechende Patientenwille eine notwendige und wohl auch hinreichende Bedingung (Zwangsbehandlungen sind unzulässig, der aufgeklärte und einwilligungsfähige Patient darf eine Behandlung auch dann ablehnen, wenn dies eindeutig zu seinem vermeidbaren Tod führt).

4. Inwieweit das ärztliche Berufsrecht hier von den Wertungen des Strafrechts abweicht, mag z.T. den satzungsgebenden Landesärztekammern überlassen sein (die sich am Vorbild der Musterberufsordnung orientieren können, aber nicht müssen). Zwangsbehandlungen darf jedoch auch das Berufsrecht nicht zulassen. Der Wille des einwilligungsfähigen Patienten zum Behandlungsabbruch muss von Verfassungs wegen in jedem Fall beachtet werden.

Dr. Thomas Georg Schätzler 13.05.201114:16 Uhr

Anmerkungen zum BÄK-Entwurf "Beistand für Sterbende" in der Muster-Berufsordnung (MBO)

1. Das medizinische Standesrecht in Deutschland war und ist immer auch ein Reflex auf die Gräueltaten der Nazis unter dem beschönigenden Etikett "Euthanasie" (Euthanatos = der leichte Tod) und steht in Übereinstimmung mit vergleichbaren Texten des Weltärztebundes.

2. § 216 Strafgesetzbuch (StGB) stellt die "Tötung auf Verlangen" unter Strafe (wenn juristisch überhaupt zu ermitteln, zu verifizieren und abzuurteilen).

3. Alle Bundes- und Landesgesetze stehen ü b e r dem Berufsrecht (Leitsatz: Bundes- und Landesrecht bricht das untergeordnete Berufsrecht)

4. Dass die aktive "Beihilfe" bei einer Selbsttötung in Deutschland strafrechtlich nicht mehr verboten ist, wird zwar von einigen Juristen und Ärzten zur öffentlichen Diskussion gestellt. Dies ist aber weder durch den Bundesgerichtshof (BGH), das Bundesverfassungsgericht (BVG), den Europäischen Gerichtshof (EUGH) oder das Bundesjustizministerium (BMJ) als Kompetenzzentrum der Bundesregierung belegt.

5. Alle bisherigen BGH-, BVG-, EUGH und BMJ-Positionen beziehen sich auf den Schutz und Respekt des Patientenwillens. Sie unterstützen ausdrücklich Angehörige, Lebens- und Ehepartner bzw. Ärztinnen und Ärzte bei dessen Durchsetzung,

6. Jedes aktive Handeln Dritter wie z. B. tödliche Spritzen oder Medikamente eingeben, Überdosis verabreichen, Stromschlag geben, Stuhl weg schlagen, Gashahn aufdrehen, Kohlenmonoxyd-Vergiftung induzieren, tödliche Abstürze provozieren, an Sportgeräten, Werkstücken oder technischen Geräten mit tödlichen Folgen manipulieren sind als Beihilfen mit aktivem Tatanteil nach § 216 StGB strafbar, auch wenn das ''Opfer'' vorher Suizidwünsche äußert.

7. Für jeden Menschen zugängliche oder vorhandene Medikamente, Wirk- und Werkstoffe, Fallschirme, Brücken, Hochhäuser, Autos, Motorräder und technisches Gerät werden neben ihrer eigentlichen Zweckbestimmung auch in suizidaler Absicht verwendet. Oftmals bewirkt dies eine erhebliche Fremdgefährdung Unbeteiligter. Dann ist das bloße Vorhandensein oder Zur-Verfügung-Stehen z. B. für den Selbstmord eines Schwerstkranken im Sinne des § 216 StGB tatunerheblich.

8. Eine Präzisierung der Garantenpflicht hat der BGH getroffen: Bei unzweideutiger Willenserklärung eines Sterbenden besteht gerade n i c h t die ärztliche Verpflichtung, ihn reanimieren, "retten" und "künstlich" am Leben erhalten zu sollen. Sondern der konkludente Wunsch nach einem Tod in Würde und der unumkehrbarer Sterbeprozess müssen vorrangig respektiert werden. Die Verhinderung und das Konterkarieren dieses ureigenen Patientenwillens sind nicht statthaft.

9. Die subjektive Interpretation an den Inhalten und Folgen des § 216 StGB ändert nichts an seiner inhaltlichen Substanz und gesellschaftlicher Normensetzung. Änderungen des derzeit gültigen Strafrechts (mit Sekundärwirkung auf das Berufsrecht) sind nur durch eine Gesetzesänderung der Legislative möglich. Das sind ausschließlich der Deutsche Bundestag und die Abgeordneten.

10. Die Meinung von BÄK-Präsident Professor Jörg-Dietrich Hoppe, seine Neufassung würde für mehr Klarheit sorgen: "Mit der vorgeschlagenen Formulierung muss und kann nicht mehr interpretiert werden. Es ist für jeden klar, dass Ärzte keinen Suizid unterstützen dürfen." darf bezweifelt werden.

Denn das Dilemma bleibt. Ist es ärztliche Berufspflicht, einem schwerstkranken Suizidenten, der bewusst aus dem Leben scheiden will, in den Arm zu fallen? Müssen wir versuchen zu reanimieren? Handeln wir Ärztinnen und Ärzte immer als "Amtsperson" oder nicht auch in privaten Zusammenhängen? Geben uns Recht, Ethik und Moral, Musterberufsordnungen und Ärztedeklarationen erfüllbare Handlungsanleitungen und Verhaltenskodizes für jeden individuellen Einzelfall?


Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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