Medizinethik

Ist auch Forschung Missbrauch? Embryonenschutzgesetz auf dem Prüfstand

Das vor über 30 Jahren in Kraft getretene Embryonenschutzgesetz gilt vielen als veraltet. Bei einer Tagung in Berlin beschäftigen sich nun Ethiker und Juristen damit, wie eine Reform aussehen könnte.

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Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, nimmt an einer Tagung zum Thema Embryonenschutzgesetz teil. Es wird erwartet, dass sie sich für mehr Freiheiten für Forschende aussprechen wird.

Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, nimmt an einer Tagung zum Thema Embryonenschutzgesetz teil. Es wird erwartet, dass sie sich für mehr Freiheiten für Forschende aussprechen wird.

© Bernd von Jutrczenka / dpa / picture alliance

Berlin. Längst gehört die künstliche Befruchtung in Deutschland zum Alltag, wenn Paare auf natürlichem Weg keine Kinder bekommen können. Die Befruchtung von Ei- und Samenzelle findet dann außerhalb des Mutterleibs im Reagenzglas statt. In der Regel werden der Frau dazu mehrere Eizellen entnommen.

Was aber ist, wenn die Befruchtung gleich mehrerer Eizellen gelingt, wenn also Embryonen überzählig sind? Während diese in vielen anderen Ländern zu Forschungszwecken genutzt werden, ist das in Deutschland derzeit grundsätzlich verboten. Das gilt vielen als überholt. Auf einer Tagung am Montag und Dienstag in Berlin, zu der das Bundesforschungsministerium einlädt, beschäftigen sich Forscher, Juristen und Ethiker mit möglichen Reformen der bestehenden Bestimmungen.

Keine Selektion menschlichen Lebens!

Wie bei der künstlichen Befruchtung zu verfahren ist, regelt in Deutschland das Embryonenschutzgesetz, das vor 32 Jahren in Kraft trat. Es soll einen Missbrauch der überzähligen Embryonen verhindern. Dazu wird auch die Forschung gezählt. Die Gewinnung von embryonalen Stammzellen ist ebenfalls nicht erlaubt. Laut Gesetz dürfen maximal drei Eizellen befruchtet werden, die dann der Frau auch eingepflanzt werden müssen. Ziel ist, eine Selektion menschlichen Lebens auszuschließen.

Die Ampelregierung drängt auf eine Reform. Laut Koalitionsvertrag sollen medizinisch künftig andere Verfahren möglich sein, unter anderem der „elective Single Embryo Transfer“, der die Auswahl des bestentwickelten Embryos aus einer Vielzahl befruchteter Eizellen ermöglicht. Damit sollen eine höhere Geburtenrate entstehen und zugleich die in Deutschland vergleichsweise häufigen Mehrlingsschwangerschaften vermieden werden.

Eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission prüft zudem die Zulassung von Eizellspenden sowie von altruistischen, also uneigennützigen Leihmutterschaften – auch das ist in Deutschland verboten.

Bundesärztekammer setzt sich für Änderung ein

Grundlage für eine Reform des Embryonenschutzgesetzes könnte eine Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina sein, die diese vor zwei Jahren veröffentlichte und mit der sich die Berliner Tagung befassen will. Ebenfalls für Änderungen der geltenden Regeln plädieren die Bundesärztekammer und der Ethikrat.

Befürworter einer Reform verweisen auf die internationale Forschung. In vielen Ländern seien Verfahren möglich, durch die menschliches Leben besser erforscht und Ansatzpunkte für die Heilung von Krankheiten gefunden werden könnten. Und tatsächlich überschlagen sich in jüngster Vergangenheit Meldungen über Forschungserfolge.

Embryo ganz ohne Ei- und Samenzelle

So ist es mehreren Wissenschaftlergruppen gelungen, künstliche Embryonen herzustellen, bei denen teilweise nicht einmal mehr Eizelle, Samenzelle und eine Befruchtung notwendig sind. Stattdessen manipulierten Wissenschaftler menschliche Zellen im Labor so, dass diese sich zu Stammzellen zurückbildeten. Aus diesen Ausgangszellen können offenbar auch Embryos in einem sehr frühen Stadium entstehen. Ein solcher könne sich aber nicht zu einem lebensfähigen Embryo weiterentwickeln, so die Forscher.

Mit der Definition eines Embryos im Embryonenschutzgesetz würde sich das nicht mehr decken. Dort heißt es dazu, dass als Embryo die bereits befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an gilt, ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzung zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag.

Ethiker und Theologen mahnen zu Behutsamkeit

Während manche Naturwissenschaftler und Mediziner auf Reformen drängen, mahnen viele Ethiker und Theologen zu Behutsamkeit. Das Gesetz müsse überprüft werden, inwieweit es noch den wissenschaftlichen Standards entspreche, räumte der katholische Bischof Gebhard Fürst ein. Er ist Vorsitzender der Unterkommission Bioethik der Bischofskonferenz. Am grundlegenden Schutzstatus des menschlichen Embryos will er aber nicht rütteln, erklärte er der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Ähnlich dürfte das der katholische Moraltheologe Antonio Autiero sehen, der auf der Tagung in Berlin spricht.

Die Ethikratsvorsitzende Alena Buyx, die Münsteraner Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert und ihre Göttinger Kollegin Claudia Wiesemann werden sich bei dem Treffen mutmaßlich für mehr Freiheiten für Forschende aussprechen. Und, mit Blick auf eine Legalisierung von Eizellspenden, auch für mehr Chancen für bislang kinderlose Paare. (KNA)

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