Kassen applaudieren Schäuble

FDP-Minister Daniel Bahr muss nachsitzen: CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble will genau wissen, was das Versorgungsgesetz kostet. Die Krankenkassen jubeln. Die Linken nennen es "Klatsche".

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Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble: hat gut Lachen.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble: hat gut Lachen.

© dpa

BERLIN (af/sun). Der Vermerk des Bundesfinanzministeriums (BMF) zum Versorgungsstrukturgesetz lässt nichts aus. Vom Arzthonorar über die Bedarfsplanung sowie Heil- und Hilfsmittel bis zur Telemedizin und Unterversorgung wird das Mantra wiederholt.

Mehrkosten auf der einen Seite muss eine Gegenfinanzierung gegenüberstehen. Sonst könne der Finanzminister dem "Ärztegesetz" nicht zustimmen.

Tatsächlich gibt es von der Regierungsseite bisher kaum Aussagen dazu, was die Umsetzung des aktuellen Gesetzentwurfs die Kostenträger und den Fiskus kosten könnte.

In der Fernsehsendung "Hart aber fair" am 22. Juni gab Gesundheitsminister Daniel Bahr einen ersten Hinweis: Er rechne mit 300 Millionen Euro an zusätzlichen Honoraren als Anreiz dafür, dass sich Ärzte in unterversorgten Gebieten niederlassen.

Kritik: Finanzielle Risiken, 4 Milliarden Euro Mehrkosten

Das BMF macht jetzt eine andere Rechnung auf. Mögliche Mehrkosten würden im Gesetzesentwurf "in der Regel nicht quantifiziert", heißt es in dem 17-seitigen an den Gesundheitsminister adressierten Papier, das der "Ärzte Zeitung vorliegt".

Bei einigen Positionen schätzen Schäubles Experten die finanziellen Risiken. Addiert man sie, kommen mehr als vier Milliarden Euro Mehrkosten im Jahr zusammen. Damit würde die Krankenversicherung um 0,4 Prozentpunkte teurer.

So gehen die Beamten davon aus, dass die kleinteiligere Bedarfsplanung zu 30.000 Ärzten in unterversorgten Gebieten führen könnte.

Würden die geplanten Zuschläge deren Jahreseinkommen im Schnitt um 20.000 Euro erhöhen, bedeutete das Mehrkosten von 600 Millionen Euro im Jahr für die Krankenkassen.

Kein Konsenz bei der Morbiditätsstruktur

Das höchste Kostenrisiko von drei Milliarden Euro Mehrkosten im Jahr sehen sie in der Definition der Morbiditätsstruktur, der sie auf keinen Fall zustimmen wollen, wenn damit gemeint sei, "dass die Veränderung der insgesamt von allen Krankenkassen zu entrichtenden morbiditätsorientierten Gesamtvergütung sich auch an der Menge der abgerechneten Leistungen orientieren soll".

Diesen Spekulationen hatte Gesundheitsminister Daniel Bahr vor kurzem in einem Interview mit der "Ärzte Zeitung" widersprochen. Solche Summen seien ein von den Kassen aufgebautes "Gespenst".

Ob die umstrittenen Rechnungen stimmen, wollte die Sprecherin des GKV-Spitzenverbands, Ann Marini, am Dienstag nicht kommentieren. "Die Tendenz ist richtig", sagte sie der "Ärzte Zeitung".

Hausärzte zu fördern sei richtig. Allerdings müsste die Behebung der Unter- auf Kosten der Überversorgung gehen. Dieser Einschätzung haben sich mehrere Kassenverbände angeschlossen.

Linkspartei: Klatsche für die FDP

Keinen Zufall nannte Linken-Politikerin Kathrin Vogler den Zeitpunkt von Schäubles "Klatsche". Eventuell plane die FDP, die geforderten Steuersenkungen auf Kosten der medizinischen Versorgung durchzuboxen, spekulierte sie gegenüber der "Ärzte Zeitung".

Das sei insofern tragisch, als dass damit das Anliegen einer besseren medizinischen Versorgung auf die "lange Koalitionsbank" geschoben werde. Die Arztversorgung lasse sich nicht alleine durch finanzielle Anreize lösen, so Vogler.

Lesen Sie dazu auch: Bahrs Reform im Schredder des Finanzministers

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 05.07.201118:18 Uhr

Beifall von der falschen Seite

Wenn die Gesetzlichen Krankenkassen mit ihrem GKV-Spitzenverband meinen, dem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble für seine "Blutgrätsche" gegen Daniel Bahr im Koalitionsfußball applaudieren zu müssen, sollten sie erst mal in ihre Verträge mit den Kassenärztlichen Vereinigungen schauen:

Denn dort wird nicht weniger als die S i c h e r s t e l l u n g der ambulanten ärztlichen Versorgung in der gesamten Bundesrepublik geregelt; d. h. die GKV-Kassen sind verpflichtet, durch ihre Vertragsgestaltung an der Realisierung der medizinischen Untersuchung, Diagnostik, Therapie, Linderung, Palliation und Prävention ihrer Kassenpatienten m i t z u w i r k e n und diese nicht zu behindern.

Der GKV-Spitzenverband setzt sich durch sein aktuelles Verhalten dem Verdacht aus, eine geradezu diebische Freude an der eklatanten ärztlich-medizinischen Mangelversorgung im ländlichen Bereich, in wirtschaftlich schwachen Randbereichen und in sozialen Brennpunkten zu kultivieren. Dort, wo der letzte Haus- und Facharzt das Licht ausmachen, wohnen die Damen und Herren der oberen Verwaltungsebenen i. d. R. nicht. Das erkennt man u. a. auch an der Art und Weise, wie die seit 2009 bestehende gesetzliche Verpflichtung zur Hausarztzentrierten Versorgung (HzV) nach § 73 b SGB V verleugnet, torpediert oder politisch vor die Wand gefahren wurde.

Wenn es um "30.000 Ärzte in unterversorgten Gebieten" geht, deren "Jahres"-U m s a t z, n i c h t "Einkommen"(!), sich "im Schnitt um 20.000 Euro erhöhen" soll, dann stellt sich doch die Frage, ob das bundesweit extrem variable Regelleistungsvolumen (RLV) überhaupt noch morbiditätsbedingten Behandlungsbedarf abbilden kann. Denn nur, wenn der einzelne Arzt-Patienten-Fall mit einer bundeseinheitlichen Behandlungspauschale im RLV und/oder im Hausärztevertrag adäquat ausgestattet wird, kommen wegen der höheren Fallzahlen wieder Ärztinnen und Ärzte in die unterversorgten Krisenregionen, während sich die teuren Innenstadtpraxen der Metropolen eh‘ auf ihre Privatklientel kaprizieren.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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