Leitartikel

Kimmichs Impf-Bedenken und die Frage, wer was warum will

Die Aussage des Fußball-Nationalspielers Joshua Kimmich, nicht gegen COVID-19 geimpft zu sein, hat hohe Wellen geschlagen. Die eigentlich interessante Frage ist allerdings: Warum vertraut der eine Impfungen und der andere bleibt skeptisch?

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Bayern-Spieler Joshua Kimmich beim Bundesligaspiel der Münchner gegen Hoffenheim.

Bayern-Spieler Joshua Kimmich beim Bundesligaspiel der Münchner gegen Hoffenheim.

© Sven Hoppe/dpa

Auch wenn’s schwerfällt: Joshua Kimmichs Entscheidung, sich (noch) nicht gegen das Coronavirus impfen zu lassen ist respektabel, und sie muss möglich sein, ohne dass sich Dutzende Experten beschweren.

Was ist passiert? Auf die Frage, ob die „Bild“-Zeitung recht habe damit, dass er nicht geimpft sei, sagte Kimmich am vergangenen Samstag in einem Interview nach dem Spiel gegen Hoffenheim dem Fernsehender „Sky“: „Das stimmt. Trotzdem bin ich mir meiner Verantwortung bewusst. Und es ist auch so, dass im Verein alle nicht geimpften Spieler alle zwei bis drei Tage getestet werden.“ Er halte sich zudem an die Hygienemaßnahmen.

Kimmich erklärte zur Begründung, er habe „noch ein paar Bedenken (…) was fehlende Langzeitstudien angeht“. Das bedeute nicht, dass er unsolidarisch sei, betonte er. Jeder sollte die Entscheidung für sich selber treffen, sagte Kimmich, der bei der Aktion „We kick Corona“ viel Geld für wohltätige Zwecke gesammelt hat. Es könne nicht sein, dass Menschen, die sich impfen lassen wollen, keinen Zugang zu Impfstoffen hätten, so Kimmich in dem Interview.

Betonung auf Vorbildfunktion

Das Gespräch hat ihm eine Menge Kritik eingebracht. Selbst Regierungssprecher Steffen Seibert und die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, meldeten sich zu Wort. Während Kimmich seine freie Meinung und Entscheidung in den Mittelpunkt stellt („Ich finde, auch das sollte man respektieren“), betonen Seibert und Buyx Kimmichs Vorbildfunktion. „Joshua Kimmich ist ein Vorbild, zu dem die Leute aufschauen und dem man zuhört“, sagte Buyx.

Seibert erklärte, Kimmich möge noch einmal alle verfügbaren Informationen auf sich wirken lassen, um sich doch noch impfen zu lassen. Beide verwiesen auch auf die Studienlage, um Kimmichs Zweifel zu entkräften.

Man würde niemals über private medizinische Entscheidungen von Joshua Kimmich diskutieren, wäre er als Fußball-Profi nicht derart exponiert.

Professor Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission in der „Bild“-Zeitung

Allerdings dürfte Kimmich nicht den Stapel der aktuellsten Studien zur Corona-Impfung im Spind haben, nach deren Ergebnissen er sich nun richtet (obwohl er fehlende Langzeitstudien für seine Zweifel anführt). Tatsächlich geht es um die Frage, auf welcher Grundlage Menschen eigentlich medizinische Entscheidungen treffen, die sie selbst angehen.

Haben sie den Blick eines Arztes, der zum Beispiel vor einer Operation die Chance des Patienten anhand von Studienergebnissen bestimmt? Gewiss nicht. Es sind andere Kriterien, die für Patienten für ihre medizinischen Entscheidungen zählen. Kaum ein Impfskeptiker dürfte sich ausschließlich auf Studienergebnisse verlassen. Auch Kimmich nicht. Denn ginge es nur um die reinen Zahlen, wäre der Widerstand gegen die Corona-Impfung wohl nicht so massiv und so zäh. Im Hinblick auf den grundsätzlichen Nutzen der Corona-Impfungen gibt es keine zwei Meinungen.

Vorerfahrungen, Angst, Misstrauen?

Vor allem motivierend für oder gegen eine Impfung oder etwa eine Operation dürften indessen oft ganz andere Dinge sein: Vorerfahrungen mit Impfungen oder medizinischen Prozeduren, Angst vor Nebenwirkungen, Misstrauen Ärzten und medizinischen Institutionen gegenüber, allgemeine Wertegerüste oder Zorn auf „Regeln von oben“ und so weiter.

In Deutschland hat jeder und jede das Recht, auch seinen irrationalen Entscheidungen zu folgen, es gibt keine Impfpflicht. Je nach Erfahrungshintergrund greifen die Impfskeptiker nach den Studienergebnissen, die ihre grundlegenden Zweifel bestärken.

Überspitzt gesagt: Unbewusst sehen sie nur, was sie sehen wollen, und sie übersehen, was sie übersehen wollen. Und: Sie haben ihre guten Gründe dafür. Ganz genauso geht es auch den Impfbefürwortern, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Dies dürfte auch für die allermeisten medizinischen Entscheidungen gelten, die von Patienten getroffen werden.

Aus dem Fall kann man viel lernen

Wenn das stimmt, wäre es hilfreich, im Zweifel gemeinsam zu untersuchen, wer was will und warum. Das wären auch die Fragen, die in Patientengesprächen weiterhelfen und den Patientenwillen verstehen helfen könnten. Die Währung mit der hier gezahlt wird, ist Vertrauen. Und entgegen der landläufigen Meinung gibt es davon genug.

Die Frage ist nur: worauf? Kimmich vertraut auf noch fehlende Langzeitstudien. SPD-Gesundheitsexperte Professor Karl Lauterbach hält die jüngsten Zahlenwerke in die Höhe. Ein Arzt setzt auf das Gelingen der Op, der Patient verharrt in seinen Ängsten.

Warum der eine auf dies und der andere auf jenes vertraut, das könnte doch mal besprochen werden.

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