Showdown im Vermittlungsausschuss

Krankenkassen warnen vor Scheitern des Zwei-Milliarden-Spargeschenks

Kommt das „kleine Sparpaket“ für die GKV oder verhaken sich Bund und Länder weiter? Vor dem Showdown im Vermittlungsausschuss kurz vor Weihnachten warnen Krankenkassen vor einem Scheitern der Beratungen – und vor faulen Kompromissen.

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Weihnachtswünsche: Krankenkassen rufen Bund und Länder zur Einigung beim GKV-Sparpaket auf.

Weihnachtswünsche: Krankenkassen rufen Bund und Länder zur Einigung beim GKV-Sparpaket auf.

© Markus Mainka / stock.adobe.com

Berlin. Mit Blick auf die für Mittwoch (17. Dezember) anberaumte Sitzung des Vermittlungsausschusses und die für Freitag (19. Dezember) angesetzte Sitzung im Bundesrat sagt der Vorstandschef der BARMER, Professor Christoph Straub, der Ärzte Zeitung:

„Eigentlich muss es zu einer Einigung zwischen Bund und Länder über das kleine Sparpaket für die GKV kommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es ohne das Sparpaket geht.“ Dessen Höhe liege „bei genauerer Betrachtung“ nicht bei zwei, sondern bei 1,5 Milliarden Euro.

Die Chefin beim AOK-Bundesverband, Dr. Carola Reimann, verweist auf eine aktuelle Online-Umfrage des GKV-Spitzenverbandes für die Kassen unter 2000 Bundesbürgern. 66 Prozent zeigen sich demnach tiefbesorgt wegen der finanziellen Stabilität des Gesundheitssystems.

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Reimann spricht von einem „Weckruf“. Gerade bei der Stabilisierung der GKV-Finanzen würden sich „Handlungsfähigkeit und gesundheitspolitischer Erfolg dieser Koalition entscheiden“.

Das Sparpaket von Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU), das die Koalition an das Gesetz zur Befugniserweiterung und Entbürokratisierung der Pflege (BEEP) drangehängt hat, war kürzlich von einer Mehrheit der Länder an den Vermittlungsausschuss überwiesen worden.

Steigende Einnahmen, noch höhere Ausgaben

Die Länder stören sich an den 1,8 Milliarden Euro, die die Kliniken über die Streichung der Meistbegünstigungsklausel berappen sollen. Diese regelt, dass bei der Vergütung der Kliniken immer der höhere Wert der tatsächlichen Kosten- und Lohnentwicklung als Grundlage für jährliche Preissteigerungen der Häuser dienen soll.

Laut AOK, BARMER & Co. bleibt aber auch bei einer Streichung der Meistbegünstigungsklausel die Pflicht zum unterjährigen Ausgleich der Tariflohnsteigerungen bestehen. Diesen Posten taxieren die Kassen auf 500 Millionen Euro.

Außer den Einsparungen bei den Krankenhäusern sollen die Kassen 100 Millionen Euro an Verwaltungskosten einsparen. Bei dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) angesiedelten Innovationsfonds sollen weitere 100 Millionen Euro gekürzt werden.

„Nicht die Axt am Solidarsystem anlegen“

Die Kassen fürchten zudem, dass ein Kompromiss zwischen Bund und Ländern dergestalt aussehen könnte, dass alles, was bei den Kliniken 2026 eingespart wird, im darauffolgenden Jahr wieder „on top“ kommt. Das sei hochproblematisch, da 2027 schon ohne diese Kompensation eine Finanzlücke in der GKV von „mindestens“ zehn Milliarden Euro drohe.

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Der Chef der Techniker Krankenkasse, Dr. Jens Baas, sagt der Ärzte Zeitung: Die Haushaltsplanung sei durch die Unsicherheit in Bezug auf das mögliche Sparpaket extrem erschwert worden. „Wie alle Krankenkassen brauchen wir früher Klarheit. Es gibt Prozesse, an die wir uns halten müssen.

TK-Chef: Entscheidung kommt zu spät

Die TK habe einen Haushalt von mehr als 50 Milliarden Euro, der vom Bundesamt für soziale Sicherung (BAS) genehmigt werden müsse, so Baas. Schon jetzt sei klar: „Die Entscheidung über das Sparpaket kommt zu spät. Viele Kassen haben in dieser Woche ihre Verwaltungsratssitzungen.“

Trotzdem sei es wichtig, dass das Sparpaket noch in vollem Umfang komme. Denn die finanziellen Probleme der GKV seien weiterhin nicht gelöst. Die Ausgaben stiegen stark und die Kassen müssten Rücklagen aufbauen.

Die Vorständin beim BKK Dachverband, Anne-Kathrin Klemm, warnt: „In diesen zweifellos schwierigen Zeiten wäre es ein riesiger Fehler, die Axt am Solidarsystem anzulegen.“ Auf steigende Beitragssätze und explodierende Ausgaben dürfe die Antwort nicht schlicht „Leistungskürzung“ oder „Eigenbeteiligung rauf“ lauten.

BARMER-Chef Straub betont, 2024, 2025 „und mit Sicherheit“ auch 2026 sei die Situation der Kassen eine, die es so noch nicht gegeben habe: „Wir haben zwar relativ hohe Einnahmen – das heißt zwischen fünf und sechs Prozent zusätzlich im Jahr, was im historischen Vergleich viel ist. Wir verzeichnen aber noch viel höhere Ausgaben.“ Konkret handele es sich um Aufwüchse zwischen sechs und acht Prozent.

Kurzum: „Wir haben eine massive Ausgabendynamik über alle Bereiche hinweg und ein krasses Auseinanderlaufen zwischen Einnahmen- und Ausgabenseite.“ Allein im Krankenhausbereich hätten die Kassen zuletzt Jahr um Jahr zwischen acht und zehn Milliarden Euro „obendrauf gepackt“.

Es gebe zwar den Versuch, die Kliniklandschaft Richtung mehr Qualität und Effizienz zu trimmen. Das in der Beratung befindliche Krankenhausreformanpassungsgesetz (KHAG) entpuppe sich zunehmend als „Krankenhausreformbeerdigungsgesetz“, so Straub. „Da bleibt nichts übrig von den ursprünglichen Qualitätszielen der Ende 2024 verabschiedeten Krankenhausreform.“

„Zeit erkaufen für Strukturreformen“

Für 2026 rechne er mit einem durchschnittlichen Zusatzbeitrag bei den Kassen von 3,1 oder 3,15 Prozent, wobei die BARMER ihren für nächstes Jahr bei den bisherigen 3,29 Prozent stabil halten werde. 2027 könne sich der durchschnittliche Zusatzbeitrag hochschaukeln – auf 3,5 oder sogar 3,6 Prozent.

Straubs Rat: „Die Politik muss sich Zeit erkaufen für strukturelle Reformen und eine echte Grundsanierung des Systems.“ Das könne über die Kompensation der Bürgergeldkosten – für die Kassen eine versicherungsfremde Leistung – in Höhe von rund zehn Milliarden Euro pro Jahr geschehen.

„Ansonsten werben wir für eine einnahmenorientierte Ausgabenpolitik“, so Straub. Es gehe nicht um Einschnitte. „Niemand – Krankenhäuser, Vertragsärzte, Pharma – soll weniger kriegen, aber keiner soll unbegrenzt mehr bekommen“. (hom/af)

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