Schmerzpatienten

Langer Weg zur besseren Versorgung

Ende der Eiszeit in der Schmerzmedizin: Die großen Fachgesellschaften wollen sich nach Jahren des Streits endlich gemeinsam der Verantwortung für eine bessere Patientenversorgung stellen. Der Dissens um die Einführung eines Facharztes für Schmerzmedizin aber bleibt.

Christoph FuhrVon Christoph Fuhr Veröffentlicht:
Langer Weg zur besseren Versorgung

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Man wird von Schmerzpatienten nicht erwarten können, dass sie sich in der Welt der medizinischen Fachgesellschaften auskennen. Wer sich aber tatsächlich für Details interessiert, dem erschließt sich, dass es seit langem zwei Lager gibt: Hier die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) und ihr Bündnispartner, der Berufsverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland (BVSD). Dort die Deutsche Schmerzgesellschaft (DSG).

Jahrelang haben beide Lager über die Einführung des Facharztes für Schmerzmedizin gestritten. Den will die DGS unter allen Umständen einführen – und die DSG lehnt ihn konsequent ab. Der Dissens ist nicht vom Tisch, aber jetzt haben die Kontrahenten dennoch ein Ende der Eiszeit beschlossen.

"Es bestehen historisch bedingt Grenzen und unterschiedliche Positionen zwischen den Gesellschaften DGS/BVSD einerseits und DSG andererseits", stellt DGS-Vizepräsident Dr. Johannes Horlemann klar. "Aber es gibt ein Fachgesellschaften-übergreifendes gemeinsames Ziel: Die Sicherstellung einer dauerhaft besseren Versorgung von Schmerzpatienten."

Nägel mit Köpfen

Beim Deutschen Schmerz- und Palliativtag, der am Mittwoch in Frankfurt eröffnet wird, sollen jetzt bei einem gemeinsamen Symposium Nägel mit Köpfen gemacht werden. Mit dabei sind Spitzenvertreter der DGS, der DSG und BVSD-Präsident Professor Joachim Nadstawek.

Themen gibt es mehr als genug, sagt Horlemann. "Wie stellen wir uns gemeinsam auf? Was wollen wir an Inhalten haben? Was wollen wir von der Politik? Wie wollen wir uns von anderen Fachgruppen abgrenzen?"

Die Frage nach dem Facharzt für Schmerzmedizin ist noch immer aktuell. DGS und BVSD wollen ihre umstrittene Forderung vorerst zurückstellen. Zugleich finden sie neue Gründe, dass dieser Facharzt unbedingt kommen muss.

Es gibt ein Fachgesellschaften-übergreifendes gemeinsames Ziel: Die Sicherstellung einer dauerhaft besseren Versorgung von Schmerzpatienten.

Dr. Johannes Horlemann, Vizepräsident der Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS)

Ihr Argument, ohne diesen Facharzt werde die Bedarfsplanung für eine angemessene Versorgung von Schmerzpatienten verhindert, fokussierte sich bisher auf den ambulanten Bereich. Doch jetzt gibt es auch mit Blick auf Kliniken Bewegung: Ein aktuelles Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Berlin-Brandenburg zur Krankenhaus-Bedarfsplanung (Az.: 05.10.2017 – 5 B 6.17) eröffnet neue Perspektiven. Danach findet die Bedarfsermittlung für Kliniken nur nach den Hauptdisziplinen der Weiterbildungsordnung statt, nicht aber für Subdisziplinen. Die Schmerztherapie gilt lediglich als Zusatzweiterbildung, die ergänzend zu jeder Fachgebietskompetenz erworben werden kann.

Vor diesem Hintergrund, so die DGS-Schlussfolgerung, sehe der Krankenhausplan weiterhin keine eigenständige Fachabteilung für multimodale Schmerztherapie vor. Die Versorgung von Schmerzpatienten erfolgt vielmehr in den psychiatrischen und somatischen Fachabteilungen.

Das Fazit der DGS: Ohne den Facharzt gibt es keine Bedarfsplanung im ambulanten und stationären Bereich. Ohne ihn gibt es auch keine Weiterbildungsförderung gemäß Paragraf 75a SGB V durch die KVen – und die Schmerzmedizin bleibt unattraktiv für den medizinischen Nachwuchs.

Große Herausforderungen

Der Deutsche Schmerz- und Palliativtag richtet in diesem Jahr den Blick auch auf andere, hochrelevante Herausforderungen: Die Digitalisierung und die damit verbundenen Möglichkeiten für den Praxisalltag werden ein zentrales Thema sein. Was das für die Zukunft bedeutet, erklärt DGS-Präsident Dr. Gerhard Müller-Schwefe: Wenn die Digitalisierung konsequent genutzt werde, würden herkömmliche Versorgungsstrukturen aufgebrochen und etablierte Berufsbilder revolutioniert. "Die hierarchische Pyramide mit dem Arzt an der Spitze weicht einem Pain Care Team, in dem hausärztliche, fachärztliche und nichtärztliche Kompetenz auf der Grundlage gemeinsamer digitaler Plattformen gemeinsam mit dem emanzipierten Patienten diagnostische und therapeutische Entscheidungen treffen und umsetzen", prognostiziert Müller-Schwefe.

Ein leidiges Thema

Und noch ein zentrales Thema soll beim Schmerztag nicht zu kurz kommen: Es geht um Schmerzdokumentation im Praxisalltag – ein leidiges, und für nicht wenige Ärzte unbeliebtes Thema. Zu viel Papier, zu viel Arbeit und zu viel Aufwand, zu wenig Zeit, zu wenig Personal und zu geringer Vergütung, so ihre Kritik.

Dass dennoch eine patienten- und beschwerdeorientierte Schmerzdokumentation nicht nur sinnvoll ist, sondern auch ressourcenschonend in kleineren und weniger spezialisierten Einrichtungen realisiert werden kann, soll ein von der DGS entwickeltes Dokumentationssystem zeigen. Die DGS sammelt kontinuierlich anonymisierte Routinedaten auf der Grundlage von standardisierten Schmerzdokumentationen und hat Konzepte und Datenerfassungssysteme entwickelt.

Seit Ende 2014 wird allen schmerzmedizinisch interessierten Ärzten das elektronische Online-Tool iDocLive® zur Verfügung gestellt. Stand heute sind über 187.000 Behandlungsfälle im Praxis-Register Schmerz dokumentiert. Beim Schmerzkongress wird über weitere Perspektiven für dieses Systems informiert.

Das gilt auch für das mit Hilfe des gemeinsam von der DGS und der Patientenorganisation Deutsche Schmerzliga e.V. (DSL) entwickelten Online-Tools "mein-Schmerz.de". Seit Mitte 2016 tauschen auf dieser Plattform Patienten ihre Erfahrungen aus. Ein Konzept, das nach DGS-Angaben zunehmend an Bedeutung gewinnt.

Das Programm des Schmerz- und Palliativtages richtet darüber hinaus den Fokus auf die vielfältigen Facetten der Schmerz-Prävention, Ätiologie und Therapie. Themen zum Beispiel: Was tun bei psycho-sozialem Schmerz? Gibt es neue Erkenntnisse in der pharmakologischen Prävention der Schmerzchronifizierung? Inwieweit erweitert Cannabis die Therapieoptionen für Schmerzpatienten und welche Fallstricke sind damit im Praxisalltag verbunden?

Zum Schmerz- und Palliativtag vom 8. bis 10. März sind Ärzte, Psychotherapeuten, Psychologen, Apotheker, Physiotherapeuten und andere medizinische Berufsgruppen eingeladen.

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