Präventionsgesetz

Lebenswelt "Familie" wird ausgeklammert

Der aktuelle Entwurf zum Präventionsgesetz ist gut gemeint, hat aber an entscheidenden Stellen Schwachpunkte. Vor allem bei der Familienprävention und der Früherkennung bei Kindern sollte nachgebessert werden.

Von Dr. Elke Oberhofer Veröffentlicht:
Kinder aus benachteiligten Elternhäusern haben deutlich öfter einen schlechten allgemeinen Gesundheitszustand.

Kinder aus benachteiligten Elternhäusern haben deutlich öfter einen schlechten allgemeinen Gesundheitszustand.

© Klaus Rose

BERLIN. Wer einen gesunden Lebensstil fördern und Krankheiten vorbeugen will, muss die Menschen dort erreichen, wo sie leben, lernen, arbeiten: Der von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) propagierte "Lebenswelten"-Ansatz im aktuellen Entwurf für ein Präventionsgesetz klingt im Kern sehr sinnvoll.

Die geplanten Angebote richten sich an Menschen am Arbeitsplatz, an Kinder in Kitas und Schulen, an Jugendliche in der Ausbildung; so weit, so gut.

Der Haken: Das Konzept klammert einen essenziellen Bereich nahezu vollständig aus, den nämlich, wo die individuelle Einstellung zur gesunden Lebensführung ihren Anfang nimmt: die Familie.

Eine Familie ist die "Keimzelle der Gesellschaft" betont der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (DGKJP), Professor Jörg Fegert. Die Familie sei "die zentrale Lebenswelt für Kinder".

Aber gerade hier läuft oft so einiges schief. Gestresste Eltern, arbeitslose Eltern, rauchende Eltern, psychisch kranke Eltern, alkohol- oder drogensüchtige Eltern - es liegt auf der Hand, dass ein gesundes Aufwachsen vor diesem Hintergrund zumindest erschwert ist.

Im Idealfall sind Eltern Vorbilder für ihre Kinder, helfen ihnen, den Tag zu strukturieren, geben ihnen Anregungen für eine gesunde Ernährung, für Bewegung, für ein gutes Stressmanagement. Im negativen Fall fällt das alles flach oder es passiert sogar das Gegenteil.

Und das rächt sich: Wie die KiGGS-Studie des Robert Koch-Instituts belegt, zeigen Kinder aus benachteiligten Elternhäusern deutlich häufiger einen schlechten allgemeinen Gesundheitszustand, neigen in besonderem Maße zu Verhaltensstörungen, treiben zu einem größeren Anteil keinen oder zu wenig Sport, ernähren sich häufiger ungesund und sind häufiger übergewichtig.

Jedes fünfte Kind ist psychisch auffällig

In Deutschland hat etwa jedes fünfte Kind psychische Auffälligkeiten - damit ist der Prozentsatz genauso hoch wie vor etwa zehn Jahren. Der Gesetzgeber hat sich zwar auf die Fahnen geschrieben, diesen Missstand anzugehen.

Indem er dabei aber den Fokus auf Depressionen legt, hinkt er dem aktuellen Kenntnisstand hinterher: Nach Fegert können einer Depression im Erwachsenenalter verschiedenste Belastungen und Vorläufererkrankungen im Kindesalter vorausgehen.

Diese reichen vom gestörten Sozialverhalten über die posttraumatische Belastungsstörung bis hin zur Angststörung. All das müsste man rechtzeitig erkennen, um einer späteren Depression effektiv vorbeugen zu können.

Ein Schritt in die richtige Richtung ist das Projekt "Achtung Kinderseele", das die DGKJP zusammen mit zwei weiteren Fachverbänden aus dem Bereich Kinder- und Jugendpsychiatrie (BKJPP und BAGKJPP) ins Leben gerufen hat.

Das stiftungsgetragene Projekt soll die Bevölkerung für die seelische Gesundheit von Kindern sensibilisieren und dazu beitragen, dass Hilfsangebote früh genug wahrgenommen werden.

Die Stiftung organisiert zum Beispiel Kurse für Eltern und Erzieher(innen), klärt über das Tabuthema "psychische Erkrankung" auf, hilft und berät in Notsituationen. Ziel solcher Maßnahmen ist es auch, so Fegert, "der Allgemeinbevölkerung deutlich zu machen, dass ein guter Start ins Kinderleben etwas Wichtiges ist".

Auch im "Strengthening-Families-Program", das auf die Prävention von Alkoholmissbrauch abzielt, ist die Familienprävention der Schlüssel zur Wirksamkeit: Mehrere Familien nehmen einmal pro Woche an Sitzungen teil, in denen den Eltern jeweils ein bestimmtes Trainingsziel vermittelt wird, zum Beispiel "Liebe zeigen", "Grenzen setzen", "Schutz vor Missbrauch und Drogen".

Die Kinder lernen parallel, wie sie mit Stress und Gruppendruck umgehen, dass sie sich an Regeln halten müssen. Das Programm bewährt sich in den USA seit Jahren, in Deutschland sind erste Erfolge sichtbar, Langzeitdaten fehlen bislang.

Programme sind zu evaluieren

Präventionsprogramme ins Leben zu rufen genügt nicht, man muss sie auch evaluieren. Fegert kritisiert mit Verve die von der Bundesregierung favorisierte "Faltblättchenstrategie".

"Da macht oft jede Kommune ihr eigenes Ding", so der DGKJP-Vorsitzende. So habe man "eine riesige kommunale Vielfalt von Maßnahmen, über deren Wirkung wir nichts wissen".

Wie kontraproduktiv so manche gut gemeinte Maßnahme sein kann, zeigt auch das Beispiel des Drogenkoffers, mit dem Schüler für die Gefahren des Substanzmissbrauchs sensibilisiert werden sollten.

Die Maßnahme musste abgebrochen werden, als sich herausstellte, dass der Koffer die Schüler vor allem neugierig gemacht und diese erst zum Konsum von Drogen angeregt hatte.

Sinnvoll sind Präventionsmaßnahmen nur dann, wenn sie empirisch abgesichert sind. Sonst versenkt man nur viel Geld.

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