US-Wahl

Macken bei Obamacare könnten Hillary Clinton wichtige Stimmen kosten

Am Dienstag wählen die US-Amerikaner ihren neuen Präsidenten – das Rennen zwischen Hillary Clinton und Donald Trump bleibt spannend bis zum Schluss. Konstruktionsfehler bei Obamacare machen der Demokratin zu schaffen.

Von Claudia Pieper Veröffentlicht:
Macken bei Obamacare könnten Hillary Clinton wichtige Stimmen kosten

© KEVIN DIETSCH / newscom / picture alliance

Schlechtes Timing für Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton: Kurz vor der Wahl sieht sie sich nicht nur mit ihren alten E-Mail-Sünden konfrontiert, sondern auch mit aktuellen Problemen von Obamacare.

Bis vor Kurzem hatte die Gesundheitspolitik im Präsidentschaftswahlkampf überraschenderweise kaum eine Rolle gespielt. Nur in der zweiten der drei Debatten zwischen Trump und Clinton wurde das Thema ausführlicher diskutiert, mit den vorhersehbaren Antworten: Trump nannte die unter Obama verabschiedete Gesundheitsreform "ein Desaster". Er versprach, sie als Präsident rückgängig zu machen und mit etwas Besserem, "absolut Kostengünstigerem" zu ersetzen – ohne konkret zu werden.

Clinton gab zu, dass die Kosten für Krankenversicherungen zu hoch seien, und versprach, die Reform zu "reparieren". Damit war die Diskussion um Obamacare abgeschlossen.

Warum könnte Obamacare jetzt am Ende für Clinton doch noch zum Stolperstein werden?

Die Probleme sind nicht neu, dringen aber ausgerechnet jetzt kurz vor der Wahl ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Grund: Jedes Jahr im November beginnt der Zeitraum, in dem sich die Amerikaner ihre Krankenversicherung für das kommende Jahr aussuchen. Was sie derzeit vorfinden, macht viele wütend.

Prämiensteigerung durch Risikoselektion

Auf den virtuellen Versicherungsmarktplätzen hat sich nicht nur die Auswahl von Anbietern verringert, sondern in vielen Fällen auch der Preis für Policen enorm erhöht. Die virtuellen Märkte waren im Rahmen der Reform ins Leben gerufen worden, um denjenigen Zugang zu Versicherungen zu geben, die weder durch den Arbeitgeber noch durch eines der öffentlichen Programme versichert sind. Die Assekuranz lockte zunächst mit günstigen Raten, die Regierung mit Finanzhilfen für alle, deren Einkommen bis zu 400 Prozent der Armutsgrenze beträgt.

Die Rechnung, dass unter diesen Umständen eine Mischung schlechter wie auch guter Risiken entstehen würde, ist aber nicht aufgegangen. Unter den rund zehn Millionen Versicherungskunden befinden sich offensichtlich zu viele, die von den Versicherungen als "schlechte Risiken" bezeichnet werden: Menschen, deren Gesundheitsversorgung mehr kostet als sie einbezahlen. Dagegen zu wenig Junge, Gesunde und Wohlhabende, die eine Police gekauft haben. Denn diese Gruppe kann sich durch einen vergleichsweise niedrigen Betrag von der Pflicht zur Versicherung freikaufen. Das bringt den Markt aus dem Gleichgewicht: Einige große Versicherungsanbieter haben sich wegen hoher Verluste verabschiedet. Andere haben ihre Beiträge deutlich erhöht, um nicht weiter in die roten Zahlen abzurutschen. Diese Entwicklung gleicht einer "Todesspirale" durch Risikoselektion.

Vielen Wählern mögen diese Hintergründe unbekannt sein. Wenn sie aber die Versicherung wechseln müssen, werden die Folgen spürbar: Verlust der bekannten Ärzte, höhere Prämien, geringeres Nettoeinkommen. Besonders hart trifft es die, deren Einkommen zu hoch ist für die staatlichen Finanzhilfen. Sie müssen die Preissteigerungen selbst tragen. Selbst Bill Clinton bezeichnete das als "verrückt" und brachte damit seine Frau in die Bredouille.

Was weniger bekannt ist: Viel mehr Amerikaner sind von einer Entwicklung betroffen, die eigentlich nichts mit Obamacare zu tun hat: Rund 150 Millionen Landsleute, die über den Arbeitgeber versichert sind, müssen seit Jahren einen immer höheren Anteil von Behandlungskosten aus eigener Tasche bestreiten.

Verdruss durch hohe "Deductibles"

Ärger machen dabei die steigenden "Deductibles", der Eigenanteil, den der Versicherte jährlich selbst zu tragen hat, bevor die Versicherung den ersten Dollar zahlt. 65 Prozent der Arbeitnehmer in Unternehmen mit weniger als 200 Mitarbeitern sind mittlerweile in "High Deductible Plans", wo sie durchschnittlich 2000 Dollar pro Jahr selbst bestreiten müssen, bevor die Versicherung einspringt. Seit 2011 sind die "Deductibles" um 63 Prozent gestiegen, fast sechsmal schneller als die Löhne und Gehälter.

Dass sich die Amerikaner ausgerechnet im Wahlmonat November mit ihren Krankenversicherungsoptionen befassen, ist unglücklich für Clinton. Wähler, die sich über Kostensteigerungen oder die verringerte Anbietervielfalt ärgern, könnten ihre Wut am Wahltag an Clinton auslassen, weil sie sich im Großen und Ganzen hinter Obamacare gestellt hat.

Trump hat in diesen letzten Tagen des Wahlkampfs seine Chance gewittert und verspricht vollmundig, alles neu und besser zu machen. Mit welchen Instrumenten er das jetzige System ersetzen würde, steht allerdings in den Sternen.

gp@springer.com

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