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Obamacare hilft nicht allen Patienten

Eigentlich müssen amerikanische Arbeitgeber ihre Mitarbeiter krankenversichern. Diese Pflicht gilt aber nicht, wenn die Beschäftigung unter 30 Stunden pro Woche liegt. Dieses Schlupfloch wird offenbar immer öfter genutzt.

Von Claudia Pieper Veröffentlicht:
"Stabile und sichere Gesundheitsversorgung" - US-Präsident Barack Obamas Vorhaben greift nicht bei jedem US-Bürger.

"Stabile und sichere Gesundheitsversorgung" - US-Präsident Barack Obamas Vorhaben greift nicht bei jedem US-Bürger.

© Martin H. Simon / dpa

NEU-ISENBURG. Viele Amerikaner haben von Obamas Gesundheitsreform profitiert. Die Zahl der Nichtversicherten ist zwischen 2013 und 2015 um 15,8 Millionen auf 29 Millionen gesunken.

Allerdings gibt es nach wie vor eine beträchtliche Anzahl von Landsleuten, die außen vor stehen: Vor allem für diejenigen, die unter Mindestlohn- oder Teilzeitbedingungen arbeiten, bleibt eine Krankenversicherung oft ein unerreichbarer Traum.

Für Niedrigverdiener hatte "Obamacare", wie die Reform weithin genannt wird, eigentlich einen Plan: Die Bundesstaaten sollten ihr öffentliches Versicherungsprogramm für die Armen, Medicaid, ausweiten, sodass auch Landsleute knapp über der Armutsgrenze in den Genuss einer verlässlichen Gesundheitsversorgung kommen würden.

Diese Pläne durchkreuzte aber der Bundesgerichtshof im Juni 2012, indem er erklärte, dass die Ausweitung von Medicaid den Bundesstaaten nicht vorgeschrieben werden könne. 20 Bundesstaaten beschlossen daraufhin, sich nicht zu beteiligen.

Das Resultat für Menschen mit niedrigem Einkommen ist nicht selten katastrophal: Sie haben weder die Mittel, sich auf dem privaten Markt zu versichern, noch das Geld für notwendige Gesundheitsausgaben.

Subunternehmer von Versicherungspflicht befreit

Kontraproduktiv ist außerdem ein Trend, über den die Tageszeitung USA Today kürzlich berichtet hat: Amerikanische Arbeitgeber versuchen sich von der Obligation zu befreien, ihren Arbeitnehmern eine Krankenversicherung anzubieten:

Rund 20 Prozent der Unternehmen haben zum Beispiel die Arbeitsstunden ihrer Mitarbeiter verringert oder planen es zu tun, damit sie nicht gesetzlich verpflichtet sind, die Arbeitnehmer zu versichern.

Das ergab eine Studie der Society for Human Resource Management im vergangenen Jahr. Eine Arbeitgeberobligation zur Krankenversicherung besteht nämlich nur für Arbeitnehmer, die mindestens 30 Stunden pro Woche beschäftigt werden.

Bestätigt wurde dieser Befund durch eine Analyse von Regierungsdaten, die ebenfalls herausfand, dass die Zahl derjenigen, die knapp unter 30 Stunden arbeiten zwischen 2013 und 2015 stetig gestiegen ist, während die Zahl der knapp über 30 Stunden Beschäftigten zurückgegangen ist.

Unternehmen arbeiten außerdem zunehmend mit kleinen Subunternehmen zusammen, statt Arbeitnehmer fest einzustellen. Auf diese Weise zahlen sie sie nur, wenn Arbeit anfällt, und entledigen sich der Pflicht zur Krankenversicherung.

Kleine Subunternehmer sind aufgrund ihrer Größe nicht verpflichtet, ihre Mitarbeiter zu versichern. Nur Arbeitgeber mit mindestens 50 Arbeitnehmern fallen seit dem 1.1.2016 unter diese Pflicht, vorher ab 100 Mitarbeitern.

Mit der Praktik des Outsourcing begeben sich manche Unternehmen allerdings auf unzulässiges Terrain: Im vergangenen Jahr musste zum Beispiel eine Baufirma in Arizona 600.000 Dollar an Lohnrückzahlungen leisten, weil sie illegalerweise 400 Mitarbeiter zu Subunternehmern erklärt hatte.

Franchiseunternehmen, zu denen auch die Fast-Food-Ketten gehören, überlassen die Entscheidung über Sozialleistungen in der Regel ihren Franchisenehmern, die wiederum oft klein genug sind, sich gegen das Angebot einer Krankenversicherung zu entscheiden.

Selbst wenn der Arbeitgeber eine Krankenversicherung anbietet, heißt das noch lange nicht, dass der Mitarbeiter dieses Angebot auch annimmt. In den meisten Fällen muss sich nämlich der Arbeitnehmer an den Kosten beteiligen, was vor allem für Niedrigverdiener eine Barriere darstellt.

Auch öffentliche Arbeitgeber drücken sich

Die amerikanischen Arbeitgeber verteidigen ihre Praktiken damit, dass sie unter intensivem Wettbewerbsdruck stehen. Bill Redfern, dem das Franchiseunternehmen iCare (Heimpflegedienst) gehört, sagte zu USA Today: "(Franchiseunternehmen) würden ihre Mitarbeiter ja gerne Vollzeit beschäftigen und sie krankenversichern. Das wäre aber, wie wenn sie sich selbst Handschellen anlegten. Wer wettbewerbsfähig bleiben will, kann sich das nicht leisten."

Es sind allerdings nicht nur Privatunternehmer, die so denken. Laut USA Today arbeiten selbst die öffentlichen Arbeitgeber vermehrt mit Subunternehmern zusammen, statt neu einzustellen.

Als Beispiel nannte die Zeitung den Sommerjob einer Frau in Virginia, die 28 Stunden die Woche für unter acht Dollar Stundenlohn und ohne Benefits an einer Autobahnraststelle arbeitete, welche vom bundesstaatlichen Verkehrsministerium unterhalten wurde.

Nach den Arbeitsbedingungen der Frau gefragt, sagte eine Sprecherin des Ministeriums, man biete den eigenen Angestellten eine Vielfalt von Sozialleistungen an, sei aber nicht dafür verantwortlich, was Subunternehmer ihren Mitarbeitern anböten. USA Today gegenüber gab die Frau an, seit zehn Jahren nicht beim Arzt gewesen zu sein.

Families USA, eine gemeinnützige Verbraucherorganisation, die sich für die Gesundheitsreform eingesetzt hat, schätzt, dass rund fünf Millionen Menschen zusätzlich Versicherungsschutz erlangen könnten, wenn Medicaid in allen Bundesstaaten ausgeweitet würde. Laut der Verbraucherorganisation würden dann allein im Restaurantsektor fast 750.000 Menschen von der Sorge befreit, bei Unfall oder Krankheit im Regen zu stehen.

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