Klinik-Ops

Mit der Vergütung steigt auch die Fallzahl

Sind viele Operationen in den deutschen Krankenhäusern unnötig? Ein Forschungsbericht offenbart jetzt: Erhalten Kliniken für eine bestimmte Operation mehr Geld, steigt anschließend die Zahl der entsprechenden Eingriffe.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Je höher der Preis, desto mehr wird in Kliniken operiert, finden Ökonomen.

Je höher der Preis, desto mehr wird in Kliniken operiert, finden Ökonomen.

© hjschneider / fotolia.com

BERLIN. Krankenhäuser gehen nicht dann in die Menge, wenn die Preise für Leistungen sinken. Mehr Fälle entstehen tatsächlich in den Indikationen, für die die Kliniken höher vergütet werden.

Das geht aus einem Forschungsbericht hervor, den der GKV-Spitzenverband, die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Verband der Privaten Krankenversicherung am Donnerstag veröffentlicht haben.

Die höchsten Zuwächse gibt es demnach bei Krankheiten des Kreislaufsystems und bei muskuloskelettalen Erkrankungen.

Die wichtigste Frage bleibt unbeantwortet: Die Analyse lasse keine Aussagen darüber zu, ob Fallanstiege medizinisch indiziert waren oder möglicherweise rein ökonomisch. Grund: Die von den Auftraggebern zur Verfügung gestellten Daten reichten nicht aus.

DKG: Anstieg der Fallzahlen durch demografische Entwicklung

Die Interpretation des Berichts fällt höchst unterschiedlich aus. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft sieht ihre Auffassung bestätigt, dass vor allem Morbidität und Mortalität maßgeblich für die Leistungsentwicklung der Krankenhäuser seien. Tatsächlich spricht der Bericht von einem „leichten“ Anstieg der Fallzahlen aufgrund der demografischen Entwicklung.

Der GKV-Spitzenverband hebt eine andere Aussage hervor: „Die kausale Veränderung der Fallzahlen auf eine kostenunabhängige Veränderung der DRG-Gewichte ist messbar“, stellen die Gesundheitsökonomen Professor Jonas Schreyögg (Hamburg) und Professor Reinhard Busse (Berlin) fest.

Erhöhe sich der zu erzielende Preis für eine Diagnosegruppe um ein Prozent, stiegen die Fallzahlen durchschnittlich um 0,2 Prozent im Jahr. In anderen Worten: Würde der Austausch von Hüftgelenken um ein Prozent besser vergütet, stiege die Zahl dieser Operationen im Jahr darauf um rund 450. Derzeit werden in Deutschland im Jahr rund 228.000 Hüftgelenke ausgetauscht.

Vergleichbare Industrieländer wie Japan, die Niederlande oder auch die USA liegen um die Hälfte niedriger. Deshalb hatte die schwarz-gelbe Koalition 2012 die Selbstverwaltung beauftragt, die Situation analysieren zu lassen.

Union will regelhafte Zweitmeinung

In der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die derzeit über Veränderungen der Kliniklandschaft berät, wird die Analyse mit Spannung erwartet.

„Sollten durch die Fallpauschalen finanzielle Anreize entstehen, bestimmte Ops häufiger als nötig durchzuführen, müssen wir gegensteuern", sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn, der „Ärzte Zeitung“. Das könne über eine regelhafte Zweitmeinung oder durch gezielte Preisabschläge für genau diese Operationen geschehen.

Der SPD-Gesundheitsexperte Professor Karl Lauterbach sagte der „Welt“: „Die Ergebnisse bestätigen, dass manche Operationen häufiger vorgenommen werden, sobald ihre Vergütung lukrativer wird.“

Allerdings könnten finanzielle Interessen der Kliniken nicht jede Zunahme von Fallzahlen erklären. Mehr Krebstherapien zum Beispiel würden dadurch ausgelöst, dass immer mehr Menschen an Krebs erkrankten, sagte Lauterbach.

Schreyögg und Busse selbst schlagen vor, die Fallpauschalen für konservative und prozedurenorientierte Behandlungen anzugleichen, um Anreize für Operationen zu vermindern. Das DRG-System könnte so zu einer insgesamt stärkeren Diagnoseorientierung zurückkehren, so die Wissenschaftler.

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