Nicht der Patient kommt zum Arzt, sondern der Arzt zu ihm

Ist vom Ärztemangel die Rede, denken viele vor allem an den Osten Deutschlands. Doch tief im Westen ist die Lage keineswegs besser.

Von Anja Krüger Veröffentlicht:
Im Gesundheitszentrum Beverungen können Fachärzte Räume mieten.

Im Gesundheitszentrum Beverungen können Fachärzte Räume mieten.

© Grothues

Nirgendwo gibt es so wenige Hausärzte wie in Westfalen-Lippe, sagt die KV. Auch mit Fachärzten ist die Region unterdurchschnittlich versorgt. Mediziner vor Ort nehmen das nicht tatenlos hin. Sie stemmen sich mit cleveren Konzepten gegen die Ausdünnung der Versorgung.

Angesichts der demografischen Entwicklung haben Ärzte so gute Zukunftsaussichten wie kaum eine andere Berufsgruppe. "Es wird einem wachsenden Bedarf an medizinischer Versorgung geben", sagte der KVWL-Vorsitzende Dr. Ulrich Thamer. "Aber uns gehen langsam die Ärzte aus." Ursächlich dafür sind nach Thamers Auffassung die immer schlechter werdenden Bedingungen für niedergelassene Ärzte: die Arbeitsbelastung mit im Schnitt 52 Stunden in der Woche, die bürokratische Belastung und die stets drohenden Wirtschaftlichkeitsprüfungen.

In Westfalen-Lippe gibt es mit 75,5 Fachärzten je 100 000 gesetzlich Versicherten nach Brandenburg und Sachsen die geringste Spezialistendichte bundesweit, mit 72,5 Hausärzten ist die KVWL sogar Schlusslicht. In den kommenden Jahren wird sich die Lage verschärfen, denn viele Mediziner werden in den Ruhestand gehen. 43 Prozent der Ärzte in der Region sind älter als 55 Jahre, bei den Hausärzten sind es sogar 47 Prozent. "Da ist Handlungsbedarf, auf den wir reagieren müssen", sagte KVWL-Vorstand Dr. Wolfgang-Axel Dryden. "Den Ersatzbedarf zu decken wird eine Herkulesaufgabe."

Die Politik versucht, dem Mangel mit einer Öffnung der Kliniken für hochspezialisierte ambulante Behandlung nach Paragraf 116 b SGB V zu begegnen. Das macht nicht nur Vertragsärzten, sondern auch Krankenkassen Sorgen. "Aus unsere Sicht darf Paragraf 116 b nicht zur Verdrängung niedergelassener Fachärzte führen", sagte Günter van Aalst, Leiter der Landesvertretung NRW der TK. Die Versicherten seiner Kasse legten Befragungen zufolge großen Wert auf die Versorgung durch niedergelassene Fachärzte. Doch gerade NRW sei bei der Öffnung der Kliniken Vorreiter. Das Gesundheitsministerium habe bereits 240 Anträge von Kliniken genehmigt, 600 weitere seien noch offen, berichtete van Aalst. Baden-Württemberg hat dagegen erst zehn Anträge von Kliniken genehmigt, Rheinland-Pfalz sechs.

Kooperation zwischen Kommunen und KVWL

(akr)

Neben der Öffnung der Kliniken für die hochspezialisierte Behandlung fürchten viele Medizinern die Gründung von medizinischen Versorgungszentren (MVZ) in ihrer Nähe. Mit cleveren Konzepten wappnen sie sich gegen solche Entwicklungen. In Beverungen im Kreis Höxter haben Ärzte gemeinsam ein Gesundheitszentrum gegründet, in dem Patienten eine ganze Reihe verschiedener Fachärzte aufsuchen können. Die vier Hausärzte und ein Orthopäde arbeiten als Praxisgemeinschaft, also jeder auf eigene Rechnung. "Wir sind Freiberufler, aber wir versuchen dort, wo wir kooperieren können, zu kooperieren", sagte Hausarzt Dr. Jens Grothues. Das ist unter anderem beim Einkauf der Fall.

Auf 2300 Quadratmetern können Patienten zu bestimmten Zeiten eine ganze Reihe von Fachärzten konsultieren, unter anderem einen Nephrologen, einen Kardiologen und einen Onkologen. "Die gesamte ambulante Onkologie läuft über uns", berichtete Grothues. Die Verbindung zu den Fachärzten stellen die Mediziner einfach über Mietverträge her. "Wir vermieten komplett eingerichtete Räume an Fachärzte", erklärte er. Die Ärzte reisen aus einer Entfernung von bis zu 45 Kilometer an. "Nicht der Patient kommt zum Arzt, sondern der Arzt zum Patienten", sagt Grothues. Durch das Projekt haben die Mediziner in Beverungen ein Versorgungsangebot geschaffen, dass es sonst nicht gäbe. Und sie sind zu einem wichtiger Faktor im Ort geworden. "Uns setzt keiner einfach ein MVZ vor die Nase."

Ähnliche Pläne haben Ärzte in Witten-Herbede. Hier wollen Hausärzte und ein Kinderarzt solch ein Projekt starten. "Es ist relativ schwer, die fachärztliche Kollegen zu bewegen, eine Filialpraxis zu gründen", berichtete Dr. Arne Meinshausen. Er glaubt fest an das Projekt. "Das ist ein Zukunftsmodell", sagt er. Patienten und Ärzte profitieren langfristig davon, die Beteiligung ist für den einzelnen Arzt ein enormer Imagegewinn, ist er überzeugt.

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