Leitartikel

Nutzenbewertung noch nicht patientenorientiert

Der Zusatznutzen neuer Arzneimittel soll primär an patientenrelevanten Endpunkten gemessen werden. Und: Patientenvertreter sollen sich in den Bewertungsprozess einbringen. In der Realität der Nutzenbewertung wird dies meist nicht erreicht.

Von Jürgen Stoschek Veröffentlicht:
Für Patienten in der Onkologie ist die Linderung von Krankheitssymptomen oft wichtiger als die nackte Überlebenszeit.

Für Patienten in der Onkologie ist die Linderung von Krankheitssymptomen oft wichtiger als die nackte Überlebenszeit.

© dpa

Der Patient im Mittelpunkt - ein gern und häufig bemühtes Bild, das den Eindruck vermitteln will, im Medizinbetrieb gehe es in erster Linie um den kranken Menschen und seine Bedürfnisse. Dass das längst nicht immer so ist, wird dem ebenso oft entgegengehalten.

Mit dem Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) hat der Gesetzgeber erstmals einen bescheidenen Rahmen für mehr Patientenorientierung im Gesundheitswesen geschaffen.

Bei der Nutzenbewertung von Arzneien mit neuen Wirkstoffen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) haben fünf Patientenvertreter ein Mitberatungs- und Antragsrecht, jedoch kein Stimmrecht.

Gleichwohl muss die Frage erlaubt sein, ob dies ausreichend ist. Durch wen sind die Patientenvertreter im GBA legitimiert? Was qualifiziert sie und wer entsendet sie in die Beratungen? Und: Welches Gewicht haben ihre Stellungnahmen und Argumente?

Das Verfahren der frühen Nutzenbewertung eines neu eingeführten Medikaments läuft nach einem strengen Zeitplan: Mit dem Tag der Markteinführung muss der Hersteller beim IQWiG ein Dossier einreichen, in dem nachgewiesen wird, dass der Nutzen des neuen Präparates besser ist als der bisherige Standard.

Innerhalb von drei Monaten erstellt das IQWiG ein Gutachten für den GBA, der daraufhin Stellungnahmen anfordert und zur Anhörung lädt. Drei Monate nach der IQWiG-Bewertung entscheidet der GBA über den Zusatznutzen.

Beteiligung beim IQWiG: eine Blackbox

In diesem Verfahren können Patientenvertretungen formal zu zwei Zeitpunkten zu Wort kommen: Nach Eingang des Hersteller-Dossiers kann das IQWiG Patientenvertretungen mithilfe eines Fragebogens befragen. Diese müssen sich binnen drei Wochen äußern. Dass solche Anfragen nicht selten auch ins Leere laufen können, liegt auf der Hand.

Bei knapp 50 Prozent der bisher 54 Bewertungen gab das IQWiG in seinem Bericht für den GBA an, dass keine Rückmeldungen von Patientenorganisationen eingegangen seien, berichtete Professor Matthias Schönermark aus Hannover bei einer Diskussionsveranstaltung mit Vertretern von Selbsthilfeorganisationen in München, die vom Verband forschender Pharma-Unternehmen (vfa) unterstützt wurde.

Doch selbst wenn die Dossierbewertung unter Einbindung von Patienten oder deren Organisationen erstellt wurde, sei nicht bekannt, wer gefragt, was gefragt und was geantwortet wurde, kritisierte Schönermark. In den Unterlagen des IQWiG gebe es dazu jedenfalls keine Informationen. Das Ganze sei intransparent, bemängelten auch Vertreter der Selbsthilfe.

Die zweite offizielle Möglichkeit der Einflussnahme haben Patientenvertreter im GBA. Aus insgesamt neun Vertretern - davon entsendet der Deutsche Behindertenrat sechs Vertreter und die Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen, die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen und die Verbraucherzentrale Bundesverband je einen Vertreter - benennt ein Koordinierungsausschuss fünf Vertreter, die zwar mitberaten können, aber kein Stimmrecht haben.

GBA und IQWiG streben Verbesserungen an

Der Zusatznutzen eines neuen Arzneimittels wird gemeinhin an patientenrelevanten Endpunkten gemessen. Dabei sollen nicht nur Mortalität, sondern auch Morbidität, Lebensqualität und Nebenwirkungen berücksichtigt werden.

Die Realität sehe jedoch anders aus, kritisierte die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) bereits im Frühjahr. Bei der Hälfte der onkologischen Präparate, die die frühe Nutzenbewertung bisher durchlaufen haben, stützte sich die Bewertung primär auf das Gesamtüberleben, so die DGHO.

Das Problem: In den klinischen Studien mit Onkologika wird in der Regel das progressionsfreie Überleben untersucht, ein Parameter, der für Patienten vermutlich wichtiger als das Gesamtüberleben ist.

Das bestätigen nach Angaben Schönermarks auch Befragungen von Patienten mit fortgeschrittener Tumorerkrankung. Demnach bevorzugen die meisten dieser Patienten eine symptomatische, an der Lebensqualität orientierte Therapie.

Auch beim IQWiG und GBA hat man offensichtlich erkannt, dass die Patientenperspektive in den AMNOG-Prozess besser eingebunden werden sollte.

Derzeit laufen zwei Studien, in denen untersucht wird, wie die Beteiligung von Patienten künftig ausgebaut werden könnte. Nicht nur Patientenvertreter warten gespannt auf die Ergebnisse.

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