Philipp Rösler: "Eine Gesundheitsreform ist nichts für schnelle Kopfrechner"

Mit Dr. Philipp Rösler sitzt erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein Arzt auf dem Sessel des Gesundheitsministers. "Bundesarzt" sei er aber nicht, betont Rösler im Interview mit der "Ärzte Zeitung". Den Ärzten verspricht er ein "faires System", in dem sich Leistung wieder rechnen soll. Den Umstieg auf eine einkommensunabhängige Gesundheitsprämie verteidigt der FDP-Politiker. Ein Umstieg von "jetzt auf gleich" sei aber nicht geplant.

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Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler (FDP) im Gespräch mit dem Chefredakteur der "Ärzte Zeitung" Wolfgang van den Bergh (l. ) und Hauptstadtkorrespondent Thomas Hommel (r.).

Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler (FDP) im Gespräch mit dem Chefredakteur der "Ärzte Zeitung" Wolfgang van den Bergh (l. ) und Hauptstadtkorrespondent Thomas Hommel (r.).

© Fotos: Elke Hinkelbein

Ärzte Zeitung: Herr Dr. Rösler, Sie sind gerade einmal sieben Wochen Bundesgesundheitsminister und haben schon Geschichte geschrieben.

Dr. Philipp Rösler: Na, jetzt übertreiben Sie aber.

Ärzte Zeitung: Sie sind der erste Arzt in der Bundesrepublik Deutschland, der das Amt des Bundesgesundheitsministers inne hat!

Rösler: Das ist richtig, aber an sich noch keine historische Leistung.

Ärzte Zeitung: Was nehmen Sie aus dem Arztberuf ins Ministeramt mit?

Rösler: Ich weiß, welchen Belastungen und Ansprüchen die unterschiedlichen Leistungserbringer im Gesundheitswesen ausgesetzt sind. Stolz bin ich auch ein bisschen auf die Qualität, die wir in unserem Gesundheitswesen haben. Das deutsche Gesundheitssystem gehört zu den besten der Welt. Das ist den Leistungserbringern zu verdanken, die ihre Arbeit vielleicht nicht immer wegen, sondern manchmal auch trotz des Systems gemacht haben.

Ärzte Zeitung: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung setzen große Hoffnungen in Sie. Sie erwarten eine neue Vertrauenskultur im Gesundheitswesen. Wie wollen Sie diese Erwartung erfüllen?

Rösler: Natürlich bin ich von Beruf Arzt. Als Bundesgesundheitsminister bin ich aber nicht Bundesarzt, sondern verantwortlich für ein Gesundheitssystem für mehr als 80 Millionen Menschen. Dieses System braucht Verantwortung, und dabei setze ich auf die Verantwortung der Ärzte gegenüber ihren Patienten und gegenüber dem Gesundheitssystem. Und deshalb setze ich auch auf die Selbstverwaltung. Je mehr Selbstverwaltung es im Gesundheitswesen gibt, desto näher ist die Gesundheitsversorgung am Bürger. Deshalb muss man sie stärken, nicht schwächen.

Ärzte Zeitung: Sie werden die Gremien der Selbstverwaltung also stärker an der Gesetzgebung beteiligen?

Rösler: Für die großen Reformvorhaben, die sich diese Koalition auf die Fahnen geschrieben hat, braucht man Partner und Verbündete. Originäre Ansprechpartner aus der Praxis und Multiplikatoren sind dabei natürlich die Selbstverwaltungsorgane. Daher werden sie beim gesamten Diskussionsprozess über die Reform der Kranken- und Pflegeversicherung eine wichtige Rolle spielen.

Ärzte Zeitung: Das Verhältnis zwischen Ärzten und Ihrer Vorgängerin Ulla Schmidt galt als zerrüttet. Unter dem Strich muss man aber sagen, dass mit der letzten Honorarreform mehr Geld geflossen ist. Was können Sie den Ärzten versprechen?

Rösler: Ein faires System! Wir müssen wegkommen vom Gefühl der Konkurrenz hin zu einem fairen Wettbewerb. Der Unterschied ist: In Konkurrenz haben sie einen festen, eng begrenzten Topf, bei dem Sie durch geschicktes Ausnutzen eines komplexen Regelwerks zum eigenen Vorteil gelangen können. In einem System des fairen Wettbewerbs können Sie durch eigene Leistung Erfolge haben.

Ärzte Zeitung: Gibt es auch mehr Geld?

Rösler: Ich glaube, es wäre unredlich, wenn man jetzt mehr Geld versprechen würde, zumal für das Jahr 2010 bereits ein Honorarzuwachs im niedergelassenen Bereich in Höhe von rund 1,2 Milliarden Euro vereinbart worden ist. Außerdem wissen wir alle, wie angespannt die Finanzsituation derzeit ist.

Ärzte Zeitung: Dennoch haben Sie angekündigt, die Praxisgebühr überprüfen zu wollen. Das würde den Kassen Einnahmen von bis zu zwei Milliarden Euro im Jahr entziehen.

Rösler: Mein Eindruck ist, dass die Praxisgebühr das Arzt-Patient-Verhältnis belastet. Früher haben Sie als Arzt den Patienten beim Erstkontakt gefragt: "Was fehlt Ihnen denn?" Heute trauen Sie sich das als Arzt nicht mehr zu fragen, weil der Patient Ihnen dann antworten würde: "Auf jeden Fall schon mal zehn Euro, Herr Doktor!" Sofort und gleich wird man aber auf dieses Geld nicht verzichten können. Deswegen haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, die Lenkungswirkung der Gebühr überprüfen zu wollen. Darauf aufbauend wollen wir eine unbürokratische Erhebung erarbeiten.

Ärzte Zeitung: Gerade die FDP argumentiert stets mit Eigenverantwortung und daher für angemessene Zuzahlung. Wie ist Ihr Idealmodell?

Rösler: Wir wollen zu einem wettbewerblicheren Gesundheitssystem kommen, das sich nicht anmaßt, alles lenken zu wollen, sondern das eher ordnet. Die Versicherten sollen darin die Chance erhalten, durch eigenes gesundheitsbewusstes Verhalten oder individualisierte Policen die individuellen Kosten für ihre Gesundheit mitbestimmen zu können. Wer etwa aktiv an Präventionsmaßnahmen teilnimmt, soll dafür auch von seiner Krankenkasse belohnt werden.

Ärzte Zeitung: Ein Problem ist die flächendeckende ärztliche Versorgung. Die KBV will die Bedarfsplanung regionalisieren und die Akteure vor Ort stärker in die Pflicht nehmen, um Versorgungsengpässe zu beheben. Welche Rezepte haben Sie?

Rösler: Bund und Länder sind sich einig darin, dass bei der Bedarfsplanung etwas passieren muss. Wichtig ist, dass alle relevanten Akteure mit an Bord sind - das gilt für Landräte, Bürgermeister und die Länder genauso wie für die Partner der Selbstverwaltung. Auch die Patienten müssen einbezogen werden. Die Frage, wie und wo erreiche ich meinen Haus- und Facharzt, ist für sie eine entscheidende. Eines ist aber auch klar: Schnelle Lösungen wird es nicht geben. Sonst fängt man in ein paar Jahren wieder von vorn an. Deshalb wollen wir uns alle Modelle zur Bedarfsplanung genau anschauen und überprüfen. So auch die Frage, ob ein Bonussystem immer auch ein Malussystem mit sich bringen muss.

Ärzte Zeitung: Was bedeutet das für die hausärztliche Versorgung?

Rösler: Hausärzte sind für eine optimale Gesundheitsversorgung unerlässlich. Leider gibt es immer weniger. Hier müssen wir gegensteuern. Ob Paragraf 73 b SGB V das geeignete Instrument ist, darüber gehen die Meinungen in der Koalition auseinander. Die FDP hat eine andere Meinung zum Paragrafen 73 b. Das ist leider so. Aber der Koalitionsvertrag ist von drei Parteien beschlossen worden. Deshalb haben wir gemeinsam vereinbart, in drei Jahren zu zählen, wie viele Hausarztverträge es tatsächlich gibt und wie die Auswirkungen sind. Die FDP hätte sich ein anderes Ergebnis gewünscht. Aber wir stehen zu diesem Koalitionsvertrag. Schließlich sind wir ja gute Vertragspartner.

Ärzte Zeitung: Wird es eine weitergehende Öffnung der Kliniken für ambulante medizinische Leistungen nach Paragraf 116 b SGB V geben?

Rösler: Eine weitergehende Öffnung ist nicht geplant. Es wird aber eine kritische Überprüfung des Verfahrens geben.

Ärzte Zeitung: Das heißt, es bleibt bei der ambulanten und stationären fachärztlichen Versorgungsebene?

Rösler: Ja.

Ärzte Zeitung: Ein weiterer Player am Markt sind MVZ. Das Investitionsverbot für Kapitalgeber bei diesen Zentren hat uns verwundert. Ist der FDP ihre ordnungspolitische Orientierung abhanden gekommen?

Rösler: Nein. Wir wollen ausschließen, dass große Kapitalgesellschaften sich überall einkaufen, eine Marktmacht bilden und Ärzte zu bloßen Angestellten werden. Deshalb hat die Koalition vereinbart, dass MVZ mehrheitlich in der Hand von Ärzten liegen sollen. Es wird Ausnahmen geben, etwa in strukturschwachen Regionen, wo Arztsitze nicht mehr nachbesetzt werden können.

Ärzte Zeitung: MVZ sind doch aber die ideale Organisationsform für angestellte Ärzte, also eine Chance für Ärztinnen, Beruf und Familie zu vereinbaren.

Rösler: Wir sind ja nicht grundsätzlich gegen MVZ. Im Gegenteil: Es ist eine weitere Alternative, um in der Fläche Versorgungsangebote zu machen und den geänderten Lebensbedürfnissen junger Ärzte gerecht zu werden. Was wir verhindern wollen, sind MVZ in der Hand großer Kapitalgesellschaften. Dies ist ein wesentlicher Beitrag für die Freiberuflichkeit.

Ärzte Zeitung: Herr Minister, in zahlreichen Expertisen wird empfohlen, die Überregulierung in der Arzneimittelversorgung abzubauen. Die Ärzte könnten damit erheblich entlastet werden. Werden Sie den Empfehlungen folgen?

Rösler: Wir halten all die verschiedenen Regularien, die es neben- und übereinander und teilweise auch gegeneinander gibt, für überprüfungsbedürftig. Sie sollen ersetzt werden zugunsten effizienterer Systeme. Es wird aber immer eine Steuerung geben. Aber die muss in den medizinischen Arbeitsalltag integrierbar sein. Vor allem darf es keine Einschränkung der Therapiefreiheit des Arztes geben.

Ärzte Zeitung: Mit Einführung der Rabattverträge für Generika sei diese aber in Gefahr, sagen Kritiker des Instruments. Wollen Sie an den Verträgen dennoch festhalten?

Rösler: Zunächst einmal zeigen die Rabattverträge, dass ein wettbewerbliches System Vorteile bringen kann. Im Bereich der Generika ist es zu deutlichen Preissenkungen und damit zu Kostenreduzierung im Gesundheitswesen gekommen. Allerdings heißt Wettbewerb für mich fairer Wettbewerb. Das bedeutet, es darf nicht zu einer Marktmacht der Kassen kommen, die dann zulasten der Unternehmen geht. Deswegen wollen wir dem Wettbewerbs- und Kartellrecht auch in diesem Bereich Geltung verschaffen. Das ordnet einen Markt, ohne ihn lenken zu wollen.

Ärzte Zeitung: Die Kritik an den FDP-Plänen für eine Gesundheitsprämie reißt nicht ab. Erst Seehofer, dann Söder, am letzten Wochenende Herr Wulff aus Niedersachsen. Wen haben sie eigentlich noch als Verbündeten an Ihrer Seite?

Rösler: Als Bundesgesundheitsminister werden Sie bei jeder Entscheidung, die Sie treffen, auf Widerstände stoßen. Wenn Sie das akzeptieren, dann verschafft Ihnen das die innere Freiheit, das zu tun, was Sie für richtig halten. Stimmungen nachzulaufen, macht wenig Sinn.

Ärzte Zeitung: Es geht aber nicht um Stimmungen, sondern um Argumente. Eines lautet: Die Prämie ist nicht zu finanzieren, weil die Milliarden für den Sozialausgleich fehlen.

Rösler: Richtig ist, dass man kurzfristig keine Milliardenbeträge zur Verfügung hat, um den Sozialausgleich, der notwendig ist, zu finanzieren. Der Umstieg von jetzt auf gleich war aber auch nie unser Ziel. Zur Freiheit, etwas verändern zu können, gehört auch die Verantwortung, die richtige Geschwindigkeit zu wählen. Beim Übergang vom alten in das langfristig neue System darf niemand überfordert werden - weder die Versicherten noch die GKV noch das Steuersystem. Schrittgröße und Schrittfrequenz beim Übergang in ein neues System müssen wohl überlegt sein. Erfolg oder Misserfolg einer solchen Reform hängen von der richtigen Geschwindigkeit ab. Das ist Aufgabe der Reformkommission.

Ärzte Zeitung: Wie viel Reformtempo halten Sie für angemessen?

Rösler: Mein Ziel ist es, in dieser Legislaturperiode den Einstieg in die einkommensunabhängige Gesundheitsprämie zu finden. Dann können wir den Weg zum langfristigen Ziel beschreiten. Die zweistelligen Milliardenbeträge, die da jetzt permanent postuliert werden, helfen uns nicht weiter. Eine Gesundheitsreform ist nichts für schnelle Kopfrechner. Das ist Aufgabe einer Regierungskommission, und diese Kommission wird unter meiner Leitung sorgfältig Vorschläge für den Übergang in ein neues Krankenversicherungssystem erarbeiten.

Das Interview führten Wolfgang van den Bergh und Thomas Hommel.

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