Politik trifft Praxis - der Frust aber bleibt

Die Freie Ärzteschaft versucht den Dialog zwischen ärztlicher Basis und Politik. Doch die Kluft bleibt tief, denn die Frustration über den Praxisalltag ist bei vielen Ärzten groß.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
"Wir brauchen eine andere Lobby" - Martin Grauduszus von der Freien Ärzteschaft.

"Wir brauchen eine andere Lobby" - Martin Grauduszus von der Freien Ärzteschaft.

© Freie Ärzteschaft

DÜSSELDORF. Zwischen ärztlichen Standesvertretern und Gesundheitspolitikern auf der einen und den Ärzten an der Basis auf der anderen Seite besteht nach Einschätzung von Martin Grauduszus ein fundamentaler Unterschied: Die einen debattieren über Ansätze für die künftige Organisation des Gesundheitswesens, die anderen suchen dringend Lösungen für ihre aktuellen Probleme.

"Wir müssen darüber reden, was wir jetzt tun können"

"Wir müssen darüber reden, was wir jetzt tun können", sagte der Präsident der Freien Ärzteschaft beim "Berufspolitischen Nachmittag" seiner Organisation in Düsseldorf.

Zur Diskussion eingeladen hatte er den Präsidenten der Bundesärztekammer Dr. Frank Ulrich Montgomery und die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne).

Beide skizzierten Handlungsbedarf an verschiedenen Stellen. Für Montgomery geht es kurzfristig darum, im Versorgungsstrukturgesetz angelegte Fehlentwicklungen wie die ambulante spezialärztliche Versorgung möglichst zu verhindern.

Ferner stehe die Novellierung der Gebührenordnung für Ärzte auf dem Programm. "Nur mit der gegenwärtigen Regierung haben wir die Chance, die GOÄ gemeinsam mit der PKV noch über die Runden zu bringen."

Steffens sieht wenig Grund zum Optimismus

Sorge um den Standort NRW - Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne).

Sorge um den Standort NRW - Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne).

© Sepp spiegl / imago

Steffens kämpft aktuell gegen die Schlechterstellung der nordrhein-westfälischen Ärzte bei der Honorarverteilung, sieht allerdings wenig Grund zum Optimismus. Die ärztliche Selbstverwaltung und die Mehrheit der anderen Bundesländer ließen NRW im Regen stehen, kritisierte die Ministerin.

"Es geht nicht nur um die Ungerechtigkeit im System, sondern es ist eine Standortfrage für die Zukunftssicherung in Nordrhein-Westfalen."

Zwar unterstützten die anwesenden Ärzte viele der vorgebrachten Anliegen, sie waren es aber nicht, die ihnen auf den Nägeln brennen.

"Wir niedergelassenen Ärzte stören im System"

In zum Teil heftigen und polemischen Redebeiträgen verwiesen sie auf die Ärgernisse im Praxisalltag: zu knapp bemessene Regelleistungsvolumina und die Bezahlung nach Punkten statt nach Euro-Beträgen, Bürokratie und nervende Kassenanfragen, mangelnde Transparenz über die Geldströme der Kassen sowie der fehlende Mut, die bereits stattfindende Rationierung und Priorisierung in den Arztpraxen zu thematisieren,

"Wir niedergelassenen Ärzte stören im System der industrialisierten Gesundheitsversorgung, wir brauchen eine andere Lobby", kritisierte Grauduszus.

Der entscheidende Hebel für die Sicherung der wohnortnahen ambulanten Versorgung ist für ihn die Verbesserung der Arbeitsbedingungen einhergehend mit der besseren finanziellen Ausstattung des ambulanten Sektors.

Letztendlich zahlten Patienten den Preis

"Wenn die Politik Bedingungen schafft, damit Ärzte in ihren Praxen die Patienten richtig versorgen können, dann haben wir keine Not mehr in der Versorgungslandschaft", sagte er.

Aus Frustration, aber auch aus Kostengründen gäben immer mehr Kollegen ihre Praxen auf. Den Preis dafür zahlten letztendlich die Patienten. "Wir wollen ärztlich tätig sein und nicht als Geschäftsleute agieren", betonte Grauduszus. "Aber um ärztlich tätig sein zu können, brauchen wir wirtschaftliche Unabhängigkeit."

Glaubt nicht an Revolutionen - BÄK-Präsident Dr. Frank Ulrich Montgomery.

Glaubt nicht an Revolutionen - BÄK-Präsident Dr. Frank Ulrich Montgomery.

© Frank Schischefsky

Die Unzufriedenheit vieler niedergelassener Kollegen konnte Klinikarzt Montgomery nachvollziehen. "Wenn Sie es von außen betrachten, wirkt das vertragsärztliche Abrechnungssystem wie ein in sich geschlossenes Wahnsystem", sagte er. Für die vorgebrachten Probleme müsse die Ärzteschaft gemeinsam eine Lösung finden. Aber das gehe nicht revolutionär und nicht schnell, betonte er.

Ausstieg oder Marsch durch die Institutionen

Nach Einschätzung von Montgomery haben die mit dem KV-System Unzufriedenen wie die Mitglieder der Freien Ärzteschaft zwei Alternativen: Sie können sich auf den Weg durch die Institution machen und versuchen, die KV von innen zu verändern.

"Sie müssen dabei nach Bundesgenossen suchen und nicht alle durch Pauschalverurteilungen desavouieren, die nicht uneingeschränkt ihrer Meinung sind", schrieb er ihnen ins Stammbuch.

Oder die Ärzte müssten überlegen, ob sie das Vertragsarztsystem verlassen wollen. Er selbst halte solch einen Schritt für nachvollziehbar. Montgomery: "Ich begleite Sie auf dem Weg, wenn Sie nicht vorher so viel Porzellan zerschlagen, dass ich mir daran blutige Füße hole."

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