Potenzial von Demenzkranken anerkennen

Der Deutsche Ethikrat wirbt für einen neuen Blick auf Menschen mit Demenz: Die Gesellschaft soll nicht nur die Defizite der Erkrankten sehen - sondern auch das verbleibende Potenzial.

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Wer Demenzkranke pflegt, sollte einen finanziellen Ausgleich erhalten. Dafür spricht sich der Deutsche Ethikrat aus.

Wer Demenzkranke pflegt, sollte einen finanziellen Ausgleich erhalten. Dafür spricht sich der Deutsche Ethikrat aus.

© Klaro

BERLIN (sun/af). Demenz und Selbstbestimmung passen in der Wahrnehmung vieler Menschen nicht zusammen. Der Deutsche Ethikrat wirbt nun für einen Umdenken: Statt auf den Verlust der Persönlichkeit der betroffenen Menschen soll künftig der Blick auf deren verbleibende Potenziale gerichtet werden.

"Bislang standen zumeist nur die mit Demenz verbundenen Defizite im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit", sagte Professor Christiane Woopen vom Deutschen Ethikrat anlässlich der Vorstellung seiner Stellungnahme zu "Demenz und Selbstbestimmung" in Berlin.

Allerdings hätten auch Menschen mit Demenz noch Möglichkeiten zur Selbstbestimmung, die wahrgenommen und unterstützt werden sollten.

Die Politik in der Pflicht

Einen Plan, wie dieses Umdenken erreicht werden kann, hat der Ethikrat gleich mitgeliefert. Vor allem sieht er künftig die Politik in der Pflicht.

Die Bundesregierung müsse einen Nationalen Aktionsplan Demenz entwickeln. Auf diese Weise solle die Arbeit von Ärzten und Pflegekräften besser koordiniert werden.

Bei der Neufassung des Begriffs der Pflegebedürftigkeit sollten die Selbstbestimmungsmöglichkeiten von Menschen mit Demenz ausreichend berücksichtigt werden, forderte der Ethikrat.

Ein Expertenrat der Bundesregierung prüft derzeit, ob Leistungen der sozialen Pflegeversicherung auf Demenzkranke ausgeweitet werden könnten. Experten gehen davon aus, dass dieser Prozess bis zu zehn Monate dauern könnte.

Der Ethikrat kritisierte die Verzögerung: "Bisher hat die Koalition beim neuen Pflegebegriff noch nichts zuwege gebracht", so Dr. Michael Wunder vom Ethikrat.

Geld für die Pflege aufstocken

Auch die Arbeit pflegender Angehöriger solle wirksamer unterstützt werden. Sie sollten einen finanziellen Ausgleich erhalten. "Schließlich würde ohne sie die Betreuung Demenzerkrankter zusammenbrechen", sagte Wunder.

Gleichzeitig sollen nach Auffassung des Ethikrates auch ambulante Haus- und Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz stärker finanziell gefördert werden.

Es sei also "unausweichlich", dass die finanziellen Ressourcen für Pflege um etwa drei Milliarden Euro pro Jahr aufgestockt würden, so Wunder. Diese Summe habe der Deutsche Pflegebeirat bereits 2009 genannt.

Die Koalition rechnet hingegen mit jährlich 1,1 Milliarden Euro mehr für die Pflege. Dafür wird der Beitrag zur sozialen Pflegeversicherung ab 2013 um 0,1 Prozentpunkte auf 2,05 Prozent des gesetzlichen Bruttolohnes erhöht. Experten kritisierten die Summe als zu gering.

Das Bundesgesundheitsministerium wies diese Kritik zurück. Es herrsche Einigkeit darüber, dass ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt werden müsse, sagte eine Sprecherin des Ministeriums der "Ärzte Zeitung". Und der Expertenrat habe genau das Ziel, diesen zu erarbeiten.

Demenzkranke und deren Angehörige erhielten zudem im Vorgriff auf den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff ab 2013 verbesserte Leistungen.

Der Vorstand des GKV-Spitzenverbandes, Gernot Kiefer, forderte die Regierung auf, die für 2013 geplanten Verbesserungen für Demenzerkrankte bereits 2012 einzuführen.

Patientenverfügungen von Demenzkranken achten!

In einem Sondervotum setzen drei der 26 Ethikrat-Mitglieder eigene Akzente. Sie werfen der Ratsmehrheit vor, das "ethische Zentralproblem der Demenz" auszublenden. Volker Gerhardt schreibt, eine Demenzerkrankung sei "eine Tragödie im Lebenslauf eines Menschen". Diese "biografische Katastrophe" lasse sich "weder durch die Demenzforschung noch durch die Verheißungen einer optimierten Betreuung schönreden". Weyma Lübbe und Axel W. Bauer stimmen ihm darin zu. Gerhardt und Lübbe beklagen, der Rat habe die Frage des Suizids von Demenzkranken ausgeklammert. Genauso wichtig wie Selbstbestimmung "bei Demenz" sei Selbstbestimmung "vor Demenz". Daher müsse die Patientenverfügung von Betroffenen geachtet werden, fordern sie. (fst)

Lesen Sie dazu auch: Pflegeheime: Schmerztherapie mit Defiziten Kommentar: Ohne Druck bleiben Fortschritte rar

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