Pragmatiker gegen Berufsfunktionäre
Wie sollen Ärzte künftig arbeiten? Die Praktiker fordern möglichst viel Flexibilität der Rahmenbedingungen, damit viele verschiedene Ideen realisiert werden können. Die Berufspolitiker stehen auf der Bremse.
Veröffentlicht:BERLIN (HL). Dr. Christiane Wessel ist seit 1993 niedergelassene Gynäkologin in Berlin. Sukzessive hat sie ihre Praxis ausgebaut: Heute beschäftigt sie zwei angestellte Fachkolleginnen und eine Assistenzärztin, ferner zwei Hebammen. Insgesamt 18 Mitarbeiter sind in ihrer Praxis tätig.
"Die Teamarbeit macht mir Spaß", berichtet sie am Tag der niedergelassenen Ärzte im Rahmen des Hauptstadtkongresses. Aber die letzte Entscheidung und auch Verantwortung liegen natürlich bei ihr selbst. Die Größe des Teams ermöglicht es, die Praxis zwölf Stunden am Tag bis in den fortgeschrittenen Abend zu öffnen.
Das Leistungsangebot ist im Laufe der Zeit erweitert worden, dazu gehören Akupunktur und traditionelle chinesische Medizin. Alles in allem: Christiane Wessel sieht sich auf der Erfolgsseite.
Martin Grauduszus ist stolz auf seine Kammerversammlung
Martin Grauduszus ist der Präsident der freien Ärzteschaft und Mitglied der nordrheinischen Kammerversammlung. Grauduszus pflegt von Berufs wegen Feindbilder. Doch stolz ist er auf seine Kammerversammlung. Von Politik und Krankenkassen seien Rahmenbedingungen geschaffen worden, in denen freiberufliche Praxen nicht mehr überlebensfähig seien.
Mit Absicht: Denn es sei das Ziel, dass andere Strukturen entstehen, die nicht mehr den freiberuflichen Arzt zulassen. Deshalb habe die Kammerversammlung den Beschluss gefasst, dass in MVZ und anderen ärztlichen Gemeinschaftsformen nicht mehr als zwei angestellte Ärzte arbeiten sollen.
Damit soll bezweckt werden, dass "ärztliches Gedankengut nicht verloren geht".
Würden solche Restriktionen, die der Kandidat für das Amt des BÄK-Präsidenten gut findet, verbindlich, dann wäre das für Christiane Wessel schlecht. Von einer Kollegin müsste sie sich trennen. Eine Expansion ihrer Praxis wäre nicht möglich - neue Ideen nicht realisierbar.
Und mit den Vorstellungen des Ärztenachwuchses sind solche Einschränkungen auch nicht kompatibel, wie Dr. Astrid Bühren vom Ärztinnenbund deutlich macht. Die Ausübung des Arztberufs müsse künftig familientauglich sein. Das gelte für Männer und Frauen gleichermaßen.
Dr. Rossels hat Versorgungsstrukturen zusammengeführt
Dr. Hans Rossels ist im Hauptberuf Geschäftsführer des Krankenhauses in Mechernich. Das liegt in der nördlichen Eifel an der Grenze zu Belgien. Eine Region, in der Ärzte nicht reichlich sind.
Rossels, der neben seinem Hauptamt auch der nordrhein-westfälischen Krankenhausgesellschaft vorsteht, hat in den letzten 15 Jahren sukzessive ambulante und stationäre Versorgungsstrukturen zusammengeführt.
Die Radiologie wurde aus der Klinik ausgegliedert und an sechs niedergelassene Röntgenfachärzte delegiert. Die Klinik kauft die Leistungen ein und bezahlt diese aus den Fallpauschalen, nicht aus der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung.
Ähnlich wurde mit dem Herzkatheterlabor und der nephrologischen Versorgung verfahren. 2007/2008 entstanden zwei Ärztehäuser auf dem Klinikgelände, ferner ein MVZ mit Chirurgie und Dermatologie. Alles im Einvernehmen mit der KV-Kreisstelle.
MVZ außerhalb des Krankenhauses gegründet
2010 gründete die Mechernicher Klinik ein MVZ außerhalb des Krankenhauses. Das wurde mit zwei angestellten Ärztinnen besetzt, nachdem für frei gewordene Vertragsarztsitze keine Nachfolger gefunden werden konnten, die freiberuflich arbeiten wollten.
Rossels: "In eigener Praxis hätten sich die Ärztinnen mit Sicherheit nicht niedergelassen. Sie hätten für die ambulante Versorgung nicht zur Verfügung gestanden."
"Die Vernunft scheint zu siegen", resümiert Rossels. Er liegt damit auf der Linie der Krankenkassen. Die Rahmenbedingungen müssen alle Formen der Leistungserbringung zulassen, fordert Dr. Manfred Partsch vom GKV-Spitzenverband.
Flexibilität sei notwendig für die Anstellung und Teilzeitarbeit. "Diese Weiterentwicklung muss akzeptiert werden", so Partsch.
Köhlers gediegene Feindbilder
Beelzebub im Gesundheitswesen: An zwei Orten treibt er nach gefestigter Meinung von KBV-Chef Dr. Andreas Köhler sein Unwesen: in MVZ und in der Integrierten Versorgung.
In den MVZ sind es im besonderen Krankenhausketten, die als börsennotierte Unternehmen profitgetriebene Medizin praktizieren, in der die Therapiefreiheit der Ärzte eingeschränkt und das Arzt-Patienten-Verhältnis in Gefahr ist. Wird Köhler nach Belegen gefragt, kann er keine validen Zahlen liefern.
Der andere teuflische Bruder ist die Pharma-Industrie, der es jetzt erlaubt ist, Partner in der Integrationsversorgung zu sein. "Ein Sündenfall", schimpft Köhler. "Hier werden Ärzte verpflichtet, Arzneimittel bestimmter Firmen zu verordnen. Sie werden dadurch erpressbar und abhängig."