Priorisierung - Richtige Debatte zum falschen Zeitpunkt?

Eine öffentliche Debatte über Priorisierung, wie sie Ärztekammer-Präsident Professor Jörg-Dietrich Hoppe gefordert hat, ist nach Meinung von Ärzten unverzichtbar. Politiker warfen Hoppe auf dem Beske-Symposium in Kiel taktische Fehler vor.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
Hat die Priorisierungsdebatte angestoßen: BÄK-Chef Jörg-D. Hoppe.

Hat die Priorisierungsdebatte angestoßen: BÄK-Chef Jörg-D. Hoppe.

© Foto: sbra

KIEL. "Brauchen wir eine solche Debatte?" Auf die Frage von Gastgeber Professor Fritz Beske gab es aus den Reihen der Ärzte nur klare Antworten. Als "dankeswert" bezeichnete der NAV-Virchowbund-Vorsitzende Dr. Klaus Bittmann den Vorstoß von Bundesärztekammer-Präsident Professor Jörg Dietrich Hoppe zum diesjährigen Ärztetag. Für Bittmann steht fest, dass Ärzte eine stille Rationierung nicht akzeptieren dürfen: "Wir Ärzte machen uns schuldig, wenn wir das stillschweigend hinnehmen." Er kündigte an, das Thema gemeinsam mit Patienten "auf die Straße zu tragen".

Schleswig-Holsteins kommissarische KV-Vorsitzende Dr. Ingeborg Kreuz war mit Bittmann auf einer Linie: "Die Kollegen sind es leid, diese Diskussion in den Praxen zu führen." Sie warf der Politik beim Umgang mit dem Thema Rationierung Unehrlichkeit vor und forderte sie zu einer öffentlichen Diskussion auf. Die beiden Ärzte erhielten breite Unterstützung. Klinikverbandsvertreter Dr. Burkhard Rocke, Wolfram Candidus von der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten (DGVP) und Gesundheitsökonom Beske gaben den Ärzten Rückendeckung. Während sich Candidus dafür aussprach, beim Diskutieren nicht auf die Politik zu warten, sagte Beske: "Erst, wenn die Politik sich dazu bekennt, wird es zu einem öffentlichen Thema."

Die anwesenden Politiker unterstellten Hoppe taktische Fehler. "Wer solch eine Debatte im Wahljahr beginnt, muss sich über so scharfe Reaktionen in der Öffentlichkeit nicht wundern", sagte FDP-Gesundheitsexperte Daniel Bahr. Er warf Hoppe vor, dem Thema mit seinem Vorstoß einen "Bärendienst" erwiesen zu haben. Zugleich räumte Bahr aber ein, dass es Rationierung im deutschen Gesundheitswesen gibt. Als Beispiel nannte er Organspenden. SPD-Politiker Dr. Wolfgang Wodarg hält es für erforderlich, Entscheidungskompetenz über die Mittelverteilung im Gesundheitswesen zu regionalisieren - und damit vor Ort entscheiden zu lassen, ob die zur Verfügung stehenden Mittel etwa in einen neuen Rettungshubschrauber oder in neue Rettungswagen investiert werden. CDU-Politiker Dr. Rolf Koschorrek sprach sich zwar ebenfalls für eine öffentliche Debatte aus, aber: "Nicht so wie auf dem Ärztetag. Das hat eher geschadet als genutzt." Koschorrek erwartet Anpassungen im Leistungskatalog. Künftig müsse es ein langsameres Tempo bei der Aufnahme von neuen Leistungen geben.

Schleswig-Holsteins vdek-Leiter Dietmar Katzer hält es für übertrieben, dass im deutschen Gesundheitswesen von grenzenlosen Leistungen gesprochen wird. "Wir sind in der Lage, Einschnitte vorzunehmen. Es traut sich nur keiner, Prioritäten zu setzen", sagte Katzer. Er forderte von der Politik Rahmenbedingungen, die die Priorisierungsdebatte überflüssig machen.

Bis September ist damit wohl nicht mehr zu rechnen, meint Beske: "Hoffen wir, dass es nach der Bundestagswahl gelingt."

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