Sozialversicherung
Reform ante portas: Und täglich grüßt die „solidarische Pflegevollversicherung“
Die soziale Pflegeversicherung braucht eine Auffrischung. Sozialverbände und Gewerkschaften pochen auf die Umwandlung in eine Vollversicherung. Andere wollen mehr private Vorsorge. Und wie entscheidet die Politik?
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Risiko Pflegebedürftigkeit: Wie die steigenden Kosten auffangen?
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Berlin. Bund und Länder bereiten eine Pflegereform vor. Erste Zwischenergebnisse liegen vor. Sie reichen von der Nachjustierung bei den Pflegegraden – insbesondere bei Pflegegrad 1 – über Änderungen am Pflegevorsorgefond bis hin zu neuen, sprich gebündelten Beratungsleistungen für die aktuell rund 5,7 Millionen Pflegebedürftigen.
Wohin die Reformreise am Ende geht, ist bislang unklar. „Es liegt noch Arbeit vor uns“, hat etwa Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) betont.
Klar bekennen sich Bund und Länder dazu, dass die soziale Pflegeversicherung auch nach der Reform als Umlage- und Teilleistungssystem ausgestaltet sein soll. Gleichwohl seien Lösungen zu suchen, um Eigenanteile zu begrenzen. Vom Umstieg auf eine Pflegevollversicherung ist in den Zwischenergebnissen der Bund-Länder-AG nirgends die Rede.
Kolumne aus Berlin
Die Glaskuppel zur Pflegereform: Keine Placebos, bitte!
Eine derartige „solidarische Pflegevollversicherung“, bei der alle pflegebedingten Kosten getragen würden, fordert nun aber – nicht zum ersten Mal – ein Bündnis aus Sozialverbänden, Gewerkschaften und Pflegeverbänden, darunter der Paritätische Gesamtverband, der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und der Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK).
„Vollversicherung für sämtliche Leistungen“
Menschen, erklärt DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel, müssten sich im Krankheits- oder Pflegefall auf eine sichere Versorgung durch die Pflegeversicherung verlassen können. „Sicherheit für alle gibt es aber nur mit einer Pflegevollversicherung für sämtliche pflegerische Leistungen, die von allen Bürgerinnen und Bürgern solidarisch finanziert wird“, meint Piel.
Einmal mehr verweist das Bündnis darauf, dass sich eine Mehrheit der Bevölkerung (65 Prozent) für den Ausbau der Pflegeversicherung zur Vollversicherung ausspreche. Nur eine Minderheit (18 Prozent) halte eine verpflichtende private Zusatzversicherung für überfällig.
Dieses „klare Votum“ müsse ein „Weckruf“ sein für die Bund-Länder-AG, die im Dezember ihre finalen Ergebnisse präsentieren wolle, schreibt das Bündnis in einer am Donnerstag verbreiteten Mitteilung: Die Pflegevollversicherung müsse bei allen Zukunftsplänen eine zentrale Rolle spielen.
PKV-Verband warnt vor „Finanzierungsillusion“
Falsch, kontert der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) – auch das nicht zum ersten Mal. „Die Befürworter einer umlagefinanzierten Pflegevollversicherung verbreiten eine Finanzierungsillusion“, sagt Verbandspräsident Dr. Florian Reuther.
So würde die umlagefinanzierte Leistungsausweitung „massive Zusatzlasten“ für die Beitragszahler mit sich bringen – nur eben „keine gezielte Hilfe für ärmere Pflegebedürftige“, wendet Reuther ein. Der PKV-Verband verweist auf Berechnungen seinen Wissenschaftlichen Instituts (WIP).
Demnach würde eine Pflegevollversicherung bereits im Einführungsjahr zu Mehrausgaben zwischen 16,3 und 17,5 Milliarden Euro führen. Dies wiederum mache einen Beitragssatzanstieg – je nach Szenario – von 0,82 bis 0,88 Prozentpunkten nötig.
Und am Ende ein Reformspagat?
Der Gegenvorschlag der Privaten lautet – wenig überraschend: mehr Eigenverantwortung und kapitalgedeckte Vorsorge. Beides sei stärker „zu fördern“, so Reuther.
Freilich: Ob die private Pflegevorsorge – bisher ein freiwilliges Angebot – verpflichtend wird, dürfte nicht nur zwischen Bund und Ländern, sondern auch innerhalb der Regierungskoalition aus Union und SPD noch kontrovers diskutiert werden.
Der Ausgang der Debatte: offen! Fest steht nur, dass bis dahin weiterhin Vorstöße wie die für eine „solidarische Pflegevollversicherung“ oder der Ruf nach mehr privater Vorsorge – am besten obligatorisch – die Runde im politischen Berlin machen werden.