Irak

Sinkender IS-Einfluss, hoher Versorgungsbedarf

Die Kampfhandlungen im Nordirak haben in der Bevölkerung tiefe Wunden hinterlassen – auch seelische, so Hilfsorganisationen.

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MOSSUL/KIRKUK. Nach der vor Kurzem erfolgten Rückeroberung der irakischen Stadt Mossul und damit der Befreiung aus den Händen des Islamischen Staates (IS) geben Hilfsorganisation keineswegs Entwarnung für die Versorgungssituation der Bevölkerung. "Trotz des Zurückdrängens des IS hat sich die Lage nur leicht entspannt. Die Menschen haben mir gesagt, dass sie viel zu viel Angst haben, in ihre Heimatgebiete zurückzugehen", berichtet zum Beispiel Ute Zurmühl, Sprecherin der Hilfsorganisation Ärzte der Welt, im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" von ihren Eindrücken vor Ort im Krisengebiet.

Zurmühl hat unter anderem ein Camp der Ärzteorganisation mit einer mobilen Klinik in Kirkuk südlich der Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan im Irak Erbil besucht, in das zu Spitzenzeiten mehrere Hundert Menschen täglich für die medizinische Versorgung kommen. Als eine der wenigen Hilfsorganisationen vor Ort kümmere sich Ärzte der Welt mit mobilen Teams um die Vertriebenen. In dem Camp arbeiten laut Zurmühl jeweils ein Arzt, eine Ärztin, eine Krankenschwester, ein Pfleger, ein Spezialist für Mangelernährung und ein Psychologe – allesamt einheimische Kräfte, die von Ärzte der Welt bezahlt werden. Am Eingang triagiere ein geschulter Mitarbeiter die Patienten nach Dringlichkeit und weise dann Termine bei den Ärzten zu. Jeder Patient bekomme eine kleine Gesundheitskarte, um die Behandlung und den medizinischen Bedarf zu dokumentieren. Die Medikamentenausgabe erfolge über die Camp-Apotheke.

Eine Besonderheit stelle die psychotherapeutische Versorgung dar, da es sich bei den eingesetzten Psychologen um Wissenschaftler handle, die durch Ärzte der Welt klinisch geschult werden – eine klinische Psychologie sehe die Ausbildung im Irak generell nicht vor. Die medizinische Versorgung insgesamt werde vom Auswärtigen Amt finanziert, da die Zentralregierung in Bagdad der Regionalregierung in Erbil den Geldhahn zugedreht hat.

Die Teams arbeiteten unter schwierigen Sicherheitsbedingungen. Denn nur etwa 50 Kilometer von Kirkuk entfernt lieferten sich IS und kurdische Peschmerga immer noch blutige Kämpfe. Auch im befreiten Mossul drohten noch Gefahren. Die völlig zerstörte Stadt sei mit Minen gespickt. Die Hundertausenden Vertriebenen – allein in der Provinz Kirkuk seien es mehr als 380 000 – werden noch lange medizinische Hilfe brauchen, so Zurmühl.

"Mehr als 15.000 unbeteiligte Menschen wurden durch Waffengefechte und Bomben verletzt, Tausende getötet. Weil Wunden nicht behandelt wurden, sind aus Verletzungen nun Behinderungen geworden, chronische Krankheiten haben sich verschlimmert. Auch die psychischen Belastungen waren und sind enorm – vor den Augen der Zivilbevölkerung wurde gefoltert und gemordet", erläutert Elisa Fourt, Projektmanagerin der Hilfsorganisation Handicap International im Irak, ergänzend.

Nach der Rückeroberung Mossuls verstärke die Hilfsorganisation nun ihren Einsatz. Verwundete und Traumatisierte benötigten Physiotherapie und psychologische Hilfe. (maw)

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