Soziale Kälte in der Diakonie

Viel Seele, wenig Herz: In den Kliniken und Pflegeeinrichtungen der Diakonie wird eisern an den Personalkosten gespart - durch Leiharbeiter und ausgelagerte Geschäftsteile. Möglich macht dies auch das Kirchenrecht.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
In der Selbstvermarktung immer auf der Seite der Armen - die Diakonie. In der Personalwirtschaft immer knallhart kostenorientiert.

In der Selbstvermarktung immer auf der Seite der Armen - die Diakonie. In der Personalwirtschaft immer knallhart kostenorientiert.

© Hanel/imago

BERLIN. Personalkosten zu drücken, steht auch in den von Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden betriebenen Kliniken und Pflegeeinrichtungen ganz oben auf der Tagesordnung.

Vor allem in den Einrichtungen der Diakonie stünden der Anspruch auf eine christlich orientierte Mitarbeiterführung und dem tatsächlichen Umgang mit dem Personal zunehmend im Widerspruch, stellen Wissenschaftler fest.

Sie haben sich im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung die Personalpolitik der Diakonie angesehen.

Deutschlandweit 435.000 Mitarbeiter

Viele diakonische Sozialunternehmen setzen ihre aus dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen abgeleitete arbeitsrechtliche Sonderstellung offensiv ein, stellen die Autoren der nach eigenen Angaben nicht repräsentativen Studie fest.

Befragt wurden Mitarbeitervertretungen in 300 Betrieben, die rund 16.000 Arbeitnehmer beschäftigen. Insgesamt gibt es rund 27.000 selbstständige diakonische Einrichtungen in Deutschland mit 435.000 Mitarbeitern.

Die kirchentypische Arbeitsorganisation, aufgrund des Tendenzschutzes zum Beispiel ohne Streikrecht, werde von den Unternehmen der Diakonie aktiv für ihre Geschäfts- und Wettbewerbsstrategie genutzt, heißt es in der Studie.

Um im organisierten Wettbewerb der Sozialwirtschaft bestehen zu können, wendeten alle Anbieter flächendeckend identische Strategien an, sagte Studienautor Professor Norbert Wohlfahrt von der Evangelischen Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe bei der Vorstellung der Studie am Mittwoch in Berlin.

Dazu zähle in erster Linie der Wettbewerb über die Personalkosten.

Auch die Kirchen drücken im Wettbewerb Personalkosten

Um die Arbeit billiger zu machen, setzen die Unternehmen der Diakonie auf die Auslagerung von Betriebsteilen in Servicegesellschaften. Welchen Umfang diese Praxis genau hat, kann auch die nun vorgelegte Untersuchung nicht wirklich benennen.

Die Autoren gehen aber davon aus, dass auf 10.000 reguläre Beschäftigte mindestens 800 in Servicegesellschaften kommen. Oft seien die Ausgründungen hundertprozentige Töchter diakonischer Einrichtungen.

Selbst die Geschäftsführung werde häufig in Personalunion ausgeübt. Bezahlt werde aber schlechter.

"Die Strukturen sind völlig intransparent", sagte Studienautor Professor Heinz-Jürgen Dahme von der Fachhochschule Magdeburg.

Vor allem in der Pflege setzten Unternehmen der Diakonie nach wie vor auf Leiharbeitskräfte, die in vielen Fällen reguläre Arbeitsstellen ausfüllten, sagte Studienautorin Dr. Gertrud Kühnlein von der Technischen Universität Dortmund.

Diakonie-Unternehmen betrieben eigene Leiharbeitsfirmen. Die dort Beschäftigten würden schlechter bezahlt. Allerdings sei diese Praxis auf dem Rückzug, seit der Staat die Leiharbeit reguliert und damit weniger attraktiv gemacht habe.

Die Untersuchung "Leiharbeit und Ausgliederung in diakonischen Sozialunternehmen" stützt sich auf Befragungen von rund 300 Mitarbeitervertretungen und 40 Expertengespräche.

Die geplante Befragung der Geschäftsführer diakonischer Unternehmen sei an der geringen Beteiligung gescheitert.

Diakonisches Werk schweigt

Das Diakonische Werk bezog am Mittwoch keine Stellung zu der Untersuchung.

Man selbst, die Diakonie Westfalen-Lippe und der Verband diakonischer Dienstgeber, bereiteten eigene Veröffentlichungen zum Thema Leiharbeit und Ausgründungen vor, sagte ein Sprecher der "Ärzte Zeitung".

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Eine normale Firma

Schlagworte:
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2025

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hofft, dass das BMG mit der Prüfung des Kompromisses zur GOÄneu im Herbst durch ist (Archivbild).

© picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen

Novelle der Gebührenordnung für Ärzte

BÄK-Präsident Reinhardt: Die GOÄneu könnte 2027 kommen

Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Mehr als ein oberflächlicher Eingriff: Die Krankenhausreform verändert auch an der Schnittstelle ambulant-stationär eine ganze Menge.

© Tobilander / stock.adobe.com

Folgen der Krankenhausreform für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte

Die Klinikreform bringt Bewegung an der Schnittstelle zwischen Praxen und Krankenhäusern

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztbank (apoBank)
Dr. med. Gerhard M. Sontheimer (ANregiomed, Region Ansbach) und Holger Baumann (Kliniken der Stadt Köln, v.l.) haben in der Praxis gute Erfahrungen mit Systempartnerschaften gemacht.

© Philips

Mehr Spielraum für moderne Prozesse in der Klinik

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Philips GmbH Market DACH, Hamburg
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Eine Ärztin hört während einer medizinischen Konsultation in ihrer Praxis die Lunge einer Patientin ab.

© AntonioDiaz / stock.adobe.com

In der Niederlassung

Körperliche Untersuchung vor einem Ultraschall – sinnvoll oder nicht?

Eine Hand mit aggressiver Geste.

© Doodeez / Stock.adobe.com

Kommunikationstrainer gibt Tipps

Aggressive Patienten: So können Ärztinnen und Ärzte deeskalieren