Medizinerausbildung

Spagat zwischen Ethik und Betriebswirtschaft? Nie gehört!

Wer niedergelassener Arzt ist, arbeitet in einem Spagat zwischen den Rollen Arzt und Unternehmer. Vorbereitet darauf werden Medizinstudenten nicht, wurde bei einer Tagung beklagt.

Anne-Christin GrögerVon Anne-Christin Gröger Veröffentlicht:
Ökonomisch wirtschaften und dem Patientenwohl verpflichtet sein: Für viele Ärzte ein Dauerkonflikt.

Ökonomisch wirtschaften und dem Patientenwohl verpflichtet sein: Für viele Ärzte ein Dauerkonflikt.

© Jeanette Dietl/Fotolia.com

KÖLN. Die ärztliche Niederlassung ist gefährdet, wenn sich in der Ausbildung von Medizinstudenten nicht bald etwas ändert.

Diese Sorge äußerte der Düsseldorfer Internist und Nephrologe Professor Frank Dellanna auf der Tagung "Gesundheitswesen im Spannungsfeld zwischen Wirtschaftlichkeit, Qualität und sozialer Verantwortung" in Köln.

Das Problem aus seiner Sicht: "Den Medizinabsolventen fehlt die Kenntnis über die Arbeitsbedingungen in der Niederlassung, wirtschaftliche Aspekte der Tätigkeit werden in der Ausbildung nicht berücksichtigt."

Doch nicht nur junge Mediziner stehen vor der Herausforderung, neben der ärztlichen Tätigkeit auch als Unternehmer bestehen zu müssen. Auch viele ältere Kollegen haben das Problem.

"Viele niedergelassene Ärzte müssen den Spagat hinbekommen zwischen ihrer Rolle als Mediziner, in der sie dem Wohl des Patienten verpflichtet sind, und ihrer Rolle als Arbeitgeber und Unternehmer, in der sie ökonomisch wirtschaften müssen, um die Praxis am Leben zu halten", sagte Dellanna.

Viele bekommen diesen Spagat nicht mehr gut hin. "Die Burn-out-Quote unter niedergelassenen Ärzten ist beträchtlich."

Falsche Anreize für Ärzte?

Es wäre eine Verbesserung, wenn auch die Beratungstätigkeit ordentlich honoriert würde, schlug der Facharzt vor. "Dass immer nur Verordnungen und Therapien vergütet werden, setzt den falschen Anreiz für Ärzte", glaubt er.

Dr. Simon Loeser von der AOK Rheinland/Hamburg geht ebenfalls von falsch gesetzten Anreizen im Gesundheitswesen aus, allerdings im Bereich der Krankenkassen.

Er warb dafür, stärker darüber nachzudenken, was die Patienten wirklich brauchen, statt die Lösung vieler Probleme im Gesundheitswesen im Wettbewerb der Leistungserbringer zu sehen.

Seit der Einführung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleiches im Jahr 2009 befinden sich die Krankenkassen in einem heftigen Wettbewerb untereinander. Der führe allerdings nicht dazu, dass die Konkurrenz der Anbieter zu wirklichen Verbesserungen für die Patienten führe, berichtete er.

Echter Wettbewerb sieht für Loeser so aus, dass der Kunde seinen Bedarf erkennt und danach seine Kaufentscheidung trifft. Das sei im Gesundheitswesen meist nicht der Fall.

"Der Patient erkennt seinen Bedarf nicht sicher - er weiß nicht, braucht er eine offene Herzklappe, eine interventionelle Herzklappe oder vielleicht gar keine Herzklappe", kritisierte er.

Der Patient könne die Qualität der Anbieter nicht qualitativ bewerten. "Stattdessen trifft der Verkäufer die Entscheidung für den Patienten." Seine Befürchtung: Das Krankenhaus, das an dem Eingriff Geld verdient, setzt auf die Lösung, die am einträglichsten ist. "Solche ökonomisch motivierte Leistungserbringung müssen wir in die Schranken weisen", forderte er.

Der AOK-Mann nannte ein Beispiel aus der Orthopädie: "Es gibt unzählige Bandscheibenprothesen der unterschiedlichen Hersteller." Keine davon sei getestet.

"Warum einigt man sich nicht auf eine einzige, die dann Evidenz hat und dem Patienten wirklich hilft?" Zur Illustration zeigte er ein Röntgenbild einer Patientin, die vier unterschiedliche Prothesen in die Wirbelsäule eingesetzt bekommen hatte.

Ähnlicher Ansicht ist Professor Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). "Mehr Wettbewerb unter den Kassen nutzt nicht immer den Patienteninteressen", betonte er.

Wenn man sich genauer anschaue, mit welchen Leistungen die Kassen miteinander in Wettbewerb treten, müsse man als evidenzbasierter Mediziner erhebliche Fragezeichen setzen, ob das den Patienten wirklich nützt.

Windeler: "grundsätzlicher Konflikt"

Windeler sieht einen grundsätzlichen Konflikt zwischen den Interessen der Patienten und denen der Wirtschaft. Eine unerfreuliche und nicht nachvollziehbare Schlagseite habe die Entwicklung beispielsweise im Bereich der Medizintechnik genommen.

"Bei Innovationen und Neuentwicklungen spielen vor allem Wirtschaftsinteressen eine Rolle." Begünstigt werde die Entwicklung durch die politische Entscheidung, dass einmal zugelassene Produkte nur noch sehr schwer aus dem System wieder herausgenommen werden könnten.

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Kommentare
Dr. Wolfgang Bensch 29.09.201515:26 Uhr

Gibt es bei im Sozialgesetzbuch "Kunden"?

Stehen so wohl nicht drin ...
§ 1 SGB V - Solidarität und Eigenverantwortung

Die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft hat die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern. Die Versicherten sind für ihre Gesundheit mitverantwortlich; sie sollen durch eine gesundheitsbewußte Lebensführung, durch frühzeitige Beteiligung an gesundheitlichen Vorsorgemaßnahmen sowie durch aktive Mitwirkung an Krankenbehandlung und Rehabilitation dazu beitragen, den Eintritt von Krankheit und Behinderung zu vermeiden oder ihre Folgen zu überwinden. Die Krankenkassen haben den Versicherten dabei durch Aufklärung, Beratung und Leistungen zu helfen und auf gesunde Lebensverhältnisse hinzuwirken

Kerstin Sommer 28.09.201514:09 Uhr

Eigenverantwortung

Es ist sehr bedenklich inwieweit berufliche wie humanistische Eigenverantwortung geleugnet und wie im Dauerfeuer ''dem bösen, dem falschen, dem unzureichenden... System'' angelastet wird.

Das fängt schon mit dem leidigen Ablenkungsthema der Terminvergabe an, von Überversorgung bzw. unnötigen OPs fang'' ich erst gar nicht an - so wie in der Öffentlichkeit darüber berichtet wird lässt es eigentlich nur den einen Schluss zu, dass die Mehrzahl der Ärzte und Klinikleitungen Vorgaben an Ihr Personal richten die gesetzwidrig sind, und das Personal aus lauter Angst vor Jobverlust mitmachen. Ein wunderbar eingespieltes funktionierendes Täter/Opfer Spektakel zu Lasten der hilfesuchenden Menschen. Als Kenner und Mitspieler des ''Täter/Oper Systems'' werden sie selbst allerdings meist recht gut versorgt im Gegensatz zu den von Ihnen ''Versorgten''.

Ach, und eine Person mit Abitur (Reifezeugnis)sollte in der Lage sein den Break-Even-Point u. ä. zu errechnen oder diesen Rechenweg sich selbst beizubringen. Denn sonst könnten wir ja auch dem Bäcker noch eine molekularbiologische Ausbildung zukommen lassen damit er mit diesem erweitertem Verständnis besser schmeckende Brötchen backen kann.



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