„Viel Drama in sozialen Medien“

Spahn contra Coronavirus-Panik

Am Wochenende sind in Deutschland neue Fälle einer Infektion mit SARS-CoV-2 bekannt geworden. Gesundheitsminister Spahn spricht sich dennoch gegen Einschränkungen des Reiseverkehrs oder generelle Absagen von Großveranstaltungen aus.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Grenze zu wegen SARS-CoV-2? Derzeit nicht, so der Bundesgesundheitsminister.

Grenze zu wegen SARS-CoV-2? Derzeit nicht, so der Bundesgesundheitsminister.

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Berlin. Grenzschließungen wegen des sich in Deutschland und Europa weiter ausbreitenden Coronavirus hält Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) weiterhin für unnötig. Die Frage danach könne er aktuell „kurz mit Nein beantworten“, sagte Spahn am Montag in Berlin.

Spahn: „Wir haben eine dynamische Lage“

Grundsätzlich sei bei jeder Maßnahme zur Eindämmung der Infektionserkrankung zu hinterfragen, ob diese zum jeweiligen Zeitpunkt „verhältnismäßig und angemessen“ sei, betonte Spahn. „Wir haben eine dynamische Lage.“

Das gelte auch für die Entscheidung, ob Großveranstaltungen abgesagt werden sollten. So mache es einen Unterschied, ob beim betreffenden Event Besucher aus Risikogebieten wie China oder Norditalien teilnähmen oder nicht. Bevor eine Veranstaltung komplett abgesagt werde, könnten auch Auflagen verschärft werden. Am Ende entschieden die „Gesundheitsbehörden vor Ort“, wie zu verfahren sei.

Bei der Frage, ob von Infektionsfällen betroffene Firmen, ihre komplette Belegschaft nach Hause schicken sollten, sei ebenfalls differenziert zu entscheiden. „Das Handwerksunternehmen, das nur lokal tätig war, ist natürlich anders zu bewerten als der internationale Konzern, wo Kollegen womöglich gerade aus China oder Norditalien zurückgekehrt sind.“ Deswegen lasse sich auch hier „keine pauschale Aussage“ treffen.

Der Leiter des Frankfurter Gesundheitsamts, Dr. René Gottschalk, betonte, eine ganze Firma wegen des Coronavirus zu schließen, sei „übertrieben“. Grundsätzlich seien die etwa 400 Gesundheitsämter in Deutschland im Umgang mit der Infektionserkrankung „gut aufgestellt“. Kleinere Ämter sollten sich untereinander helfen.

KBV-Vize: Nicht gleich in Arztpraxis rennen

Der Vize-Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Stephan Hofmeister, betonte, Menschen mit leichten Erkältungssymptomen, die zuvor keinen Kontakt zu mit dem Coronavirus infizierten Patienten hatten, sollten „nicht zwingend irgendwo hinlaufen“, um sich auf den Virus testen zu lassen.

„Der entscheidende Satz für uns als Vertragsärzte ist der, dass der Regelbetrieb in den Praxen aufrechthalten werden muss.“ Ärzte müssten sich neben der Coronavirus-Epidemie um viele andere kranke Menschen kümmern. „Das ist ihre Hauptaufgabe.“

Alle Praxen in Deutschland seien inzwischen über das Virus mit entsprechenden Informationen des Robert Koch-Instituts (RKI) versorgt worden, „sodass die Praxen vorbereitet sein sollten auf die Fälle“, so Hofmeister. Bei konkreten Verdachtsfällen würden Tests „selbstverständlich“ bezahlt.

Aktuell 150 Fälle in zehn Bundesländern

Laut RKI-Präsident Professor Lothar Wieler gab es in Deutschland am Montagvormittag (2. März, 8:00 Uhr) 150 laborbestätigte Infektionen mit dem Coronavirus. Betroffenen seien derzeit zehn Bundesländer und 49 Landkreise. Die meisten Fälle gebe es momentan in Nordrhein-Westfalen (86), Bayern (26) und in Baden-Württemberg (10). Europaweit seien 2224 Fälle gezählt worden.

Von Sonntag auf Montag sei die Zahl der Fälle in Europa um 1800 gestiegen. „Das beschreibt die Dynamik.“ Das RKI bewerte die Lage beim Coronavirus jeden Tag neu.

Wieler sagte, das RKi habe die Einschätzung des Risikos durch SARS-CoV-2 auf „mäßig“ gestellt. Bislang wurde das Risiko als „gering bis mäßig“ eingestuft.

„Viel Drama in sozialen Medien“

Der Leiter der Virologie an der Berliner Charité, Professor Christian Drosten, sagte, es sei bis dato ausgesprochen schwierig, die Gefährlichkeit des Virus einzuschätzen. „Gefährlichkeit ist keine Zahl.“ Auch zur Geschwindigkeit der Ausbreitung lasse sich bislang kaum etwas Belastbares aussagen. Fakt sei, dass man mit Blick auf das Coronavirus gerade in den sozialen Medien „viel Drama“ sehe. „Was ich da lese, geht immer in Richtung einer Überbetonung des Risikos. Ich sehe das nicht im Moment.“

Auch Gesundheitsminister Spahn warnte vor Panik und Panikmache. So trügen in sozialen Medien gepostete Bilder leer gekaufter Supermarktregale zur Verunsicherung der Bevölkerung bei.

Gleichwohl werde das Virus das „Gesundheitswesen unter Stress setzen“. Ziel müsse weiter sein, die Ausbreitung des Virus „zu verlangsamen, es einzudämmen und es damit besser handhabbar zu machen – für den Einzelnen und die gesamte Gesellschaft“. Auf diese Weise gewinne man Zeit, um den Virus besser erforschen und bekämpfen zu können, betonte Spahn.

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