EU-Ratspräsidentschaft

Spahn will Produktion von Wirkstoffen in Europa anreizen

Mehr Arzneiproduktion in Europa ist ein Ziel der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Der Startschuss soll im kommenden Jahr fallen. Die Industrie fordert dafür unternehmerische Beinfreiheit.

Von Anno Fricke Veröffentlicht:
Aus Europa sollen mehr Wirkstoffe kommen. Hier die Produktion bei Merck in Darmstadt.

Aus Europa sollen mehr Wirkstoffe kommen. Hier die Produktion bei Merck in Darmstadt.

© picture alliance / Ulrich Baumgarten

Berlin. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) drückt auf die Tube. Bereits im ersten Halbjahr 2021 sollen unter der dann portugiesischen Ratspräsidentschaft auf europäischer Ebene erste Entscheidungen zu einer Stärkung europäischer Wirkstoffproduktion fallen.

Die Vorbereitungen dazu sollen noch unter deutscher Präsidentschaft bis Ende Dezember abgeschlossen werden. Er rechne damit, dass die Kommission in Brüssel bereits im November zu einer Position finde. Der 24. November als Datum, zu dem eine „Pharmazeutische Strategie“ formuliert sein soll, steht im Raum.

„Am Ende muss man Entscheidungen erzwingen – das habe ich vor“, sagte Spahn bei der FAZ-Konferenz „Für ein gesundes Europa“ in Berlin, einer Veranstaltung im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft.

Starke Abhängigkeit von China

Dass es bei Wirkstoffen eine starke Abhängigkeit von einer Region, nämlich China, gebe, sei „nicht gut“, betonte Spahn. Gleichwohl müsse europäische Industriepolitik die interdependenten Beziehungen zu China als einem der größten Absatzmärkte im Auge behalten, mahnte der Minister.

„Wenn wir sagen, wir kaufen nur noch europäisch“, dann hat das Konsequenzen für eine Exportwirtschaft wie die deutsche,“ sagte Spahn. Das Ziel müsse also sein, eine ergänzende Wirkstoffproduktion in Europa aufzubauen und nicht Selbstversorgung anzustreben.

In den vergangenen 20 Jahren haben sich die Verhältnisse bei der Arzneimittelproduktion verkehrt. Zur Jahrtausendwende wurden zwei Drittel der in Europa benötigten Wirkstoffe noch in Europa hergestellt.

Inzwischen liegen die Produktionsstätten in Asien mit zwei Dritteln vorne, hat eine Studie im Auftrag des Branchenverbands Pro Generika ergeben. Die Preise für generische Arzneien sind im Keller. Pro Generika beziffert den durchschnittlichen Preis für eine Tagesdosis generischer Medikation auf sechs Cent.

Politik nicht alleine schuld

Dass die Preise derart gefallen sind, sei nicht alleine die Schuld der Politik, sagte Spahn mit Blick auf die Einführung der Rabattverträge in der Folge des Beitragssicherungsgesetzes von 2003. „Es war nicht die Politik, die gesagt hat, Ihr müsst die Preise um 90Prozent oder mehr senken. Man hätte auch Rabatte von zwischen 20bis 30 Prozent akzeptiert.

Nun sei zu erarbeiten „mit welchen Instrumenten wir die Produktion und Versorgung hier in Europa wieder anreizen können.“ Denkbar seien Investitionszuschüsse, Anpassungen im Vergaberecht und zeitweise garantierte Abgabepreise sein, so Spahn.

EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton kündigte bei der Veranstaltung an, dass die Europäische Union „wahrscheinlich etwas von der Produktion „kritischer Wirkstoffe“ zurückholen, ganz sicher aber keine komplett neue Lieferkette finanzieren“ werde. Vielmehr werde man in den bestehenden Lieferketten auch auf Umwelt- und Sozialstandards sowie Diversifizierung dringen.

Freie Kapazitäten auch im Bestand

Das Dogma des niedrigsten Preises dürfe die Diskussion nicht länger beherrschen, forderte Christoph Stoller, der Präsident des europäischen Generika-Verbandes „Medicines for Europe“. Es bedürfe einer Liste „essenzieller Arzneien“, bei denen man auf „Made in Europe“ setzen solle. Es dauere aber zwei bis vier Jahre, bis so ein Werk stehe, sagte Stoller. Dafür benötigten die Investoren Abnahmegarantien und eine Vergütung für die höhere Versorgungssicherheit.

Dass es aber auch im Bestand freie Kapazitäten gibt, bestätigte Ana Marti vom spanischen Wirkstoffhersteller Medichem. Für Investitionen in mehr Produktion benötigten die Hersteller regulatorische Flexibilität und zügigere Genehmigungsverfahren.

Für Diversifizierung als Risikominimierung argumentierte auch Tiemo Wölken, Europaabgeordneter der Sozialdemokraten. Bei Ausschreibungen solle nicht nur der billigste Preis, sondern auch das Preis-Leistungs-Verhältnis eine Rolle spielen, so Wölken

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