Deutsche Ratspräsidentschaft

EU-Arzneimittelpolitik: „Nicht mit der falschen Debatte verzetteln“

Gesundheitsminister Spahn will wichtige Arzneimittel wieder in Europa produzieren lassen; die Hersteller sehen Probleme: Setzt die deutsche Ratspräsidentschaft hier Akzente auf Kosten der Innovationsförderung?

Christoph WinnatVon Christoph Winnat Veröffentlicht:
Mehr Arzneimittelproduktion in Europa? Auch dafür will sich die Bundesregierung während der deutschen Ratspräsidentschaft einsetzen. An der Frasge, ob es nicht wichtigere Pharma-Themen gibt, scheiden sich die Geister.

Mehr Arzneimittelproduktion in Europa? Auch dafür will sich die Bundesregierung während der deutschen Ratspräsidentschaft einsetzen. An der Frasge, ob es nicht wichtigere Pharma-Themen gibt, scheiden sich die Geister.

© Parato / stock.adobe.com

Berlin/Brüssel. Die Corona-Krise hat die Perspektive verschoben: Erst wurde unter dem Eindruck des Valsartan-Rückrufs (2018) sowie mehr oder weniger gravierender Arzneimittel-Lieferengpässe die Forderung laut, Teile der pharmazeutischen Wirkstoffproduktion aus Asien nach Europa „zurückzuholen“. Dann kam die Pandemie und die Erfahrung, dass vorne und hinten Masken fehlten.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat sich die Formel vom „Zurückholen“ zu eigen gemacht und auf „kritische Arzneimittel und Schutzausrüstung“ umgemünzt. Es dürfe „nicht in China entschieden werden, ob wir Schutzmasken für Pflegekräfte und Ärzte in Warschau, Amsterdam oder Berlin haben“, so Spahn zur Agenda seines Ressorts während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft.

„Konkrete Maßnahmen vereinbaren“

In dem federführend vom Auswärtigen Amt aufgestellten „nationalen Programm für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft“ liest sich das um einiges diplomatischer. Man wolle „konkrete Maßnahmen für eine größere Autonomie der EU in der Sicherstellung der Arzneimittelversorgung vereinbaren“. Insbesondere gehe es um „Wirkstoffqualität und eine europäische Zusammenarbeit beim Ausbau der Wirkstoffproduktion für kritische Arzneimittel“.

Womit Deutschland in Brüssel offene Türen einrennt. Denn erst kürzlich kündigte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides eine „Pharmaceutical Strategy“ an und forderte Bürger und Stakeholder auf, Vorschläge einzureichen. Zu den erklärten Programm-Zielen zählt neben den Themen Innovationsförderung und gerechter Produktzugang auch, einer zunehmenden Abhängigkeit der EU von Arzneimittel- und Wirkstoffimporten vorzubeugen. Und wie beurteilt das die heimische Industrie? Großteils mit Skepsis.

Der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) weist auf den Bilanzüberschuss im Handel mit Asien hin. Der „Wert aller Medikamentenausfuhren aus Deutschland nach China und Indien ist mit vier Milliarden Euro doppelt so hoch wie der der Medikamenteneinfuhren von dort. Dabei werden vor allem patentgeschützte Arzneimittel exportiert und Generika sowie pharmazeutische Grundstoffe importiert.“

EU-Nutzenbewertung ist der Industrie wichtiger

Das Interesse, die Verschuldung aufstrebender Volkswirtschaften an dieser Stelle durch einen Abzug deren eigener Erlöschancen noch anzukurbeln, ist verständlicherweise gering. Exportstarke Firmen wären vermutlich selbst mit protektionistischen Gegenmaßnahmen konfrontiert. Europa solle sich „nicht mit der falschen Debatte verzetteln“, warnt folgerichtig der vfa. „Industriepolitischen Rückenwind“ brauche man „als Standort für die Hochtechnologieproduktion von Arzneimitteln“, nicht als Lieferant für Pfennigartikel. Wichtiger als Wirkstoffproduktion sind den Forschenden deshalb Fortschritte in Sachen Innovations-Infrastruktur: etwa bei der europaweit einheitlichen Nutzenbewertung („Euro-HTA“), die aktuell nicht von der Stelle kommt, oder dem gemeinsamen Gesundheitsdatenraum („European Health Data Space“).

Auch der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH), der eher mittelständische Anliegen im Blick behält, betont, dass es nicht darum gehen könne, Verlorenes zurückzuholen. Vielmehr sei mit attraktiven Rahmenbedingungen dafür zu sorgen, „dass die Produktion, die sich noch in Europa befindet, nicht weiter abwandert“. Wie dem vfa, ist auch dem BAH in diesem Zusammenhang die „Wiederaufnahme“ der europäischen Nutzenbewertung „in das Arbeitsprogramm der deutschen Ratspräsidentschaft wichtig.“

Generikabranche: Trend lässt sich nicht umkehren

Und selbst ProGenerika konzediert, „die Verlagerung der Produktion von Wirkstoffen und Arzneimitteln in Länder außerhalb Europas“ sei ein seit Jahren zu beobachtender Trend, „der sich nicht umkehren lassen wird“. Trotzdem erhofft sich der Branchenverband von besseren Erzeugerpreisen größere Versorgungssicherheit. „Mehr Produktion in Deutschland ist für sechs Cent Durchschnittskosten eines Generikums nicht zu haben.“ Das zielt auf die Rabattverträge – und verdeutlicht den Gegensatz zu den Forschenden, die um des Erstattungsspielraums für Innovationen willen möglichst günstige Nachahmer bevorzugen.

Lesen sie auch
Lesen sie auch
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Oktobersitzung des CHMP

EU-Zulassung: Positives CHMP-Votum für Rilzabrutinib und Brensocatib

Nutzenbewertung

G-BA fällt Bewertung für zwei Orphan Drugs

Das könnte Sie auch interessieren
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2025

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hofft, dass das BMG mit der Prüfung des Kompromisses zur GOÄneu im Herbst durch ist (Archivbild).

© picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen

Novelle der Gebührenordnung für Ärzte

BÄK-Präsident Reinhardt: Die GOÄneu könnte 2027 kommen

Der Gesundheitsdialog

© Janssen-Cilag GmbH

J&J Open House

Der Gesundheitsdialog

Kooperation | In Kooperation mit: Johnson & Johnson Innovative Medicine (Janssen-Cilag GmbH)
Impulse für den medizinischen Fortschritt: Welches Mindset braucht Deutschland?

© Springer Medizin

Johnson & Johnson Open House-Veranstaltung am 26. Juni 2025 beim Hauptstadtkongress

Impulse für den medizinischen Fortschritt: Welches Mindset braucht Deutschland?

Kooperation | In Kooperation mit: Johnson & Johnson Innovative Medicine (Janssen-Cilag GmbH)
J&J Open House beim Hauptstadtkongress

© [M] Springer Medizin Verlag

Video zur Veranstaltung

J&J Open House beim Hauptstadtkongress

Kooperation | In Kooperation mit: Johnson & Johnson Innovative Medicine (Janssen-Cilag GmbH)
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Patientenzentrierter Ansatz und europäische Produktion

© Springer Medizin Verlag

Unternehmen im Fokus

Patientenzentrierter Ansatz und europäische Produktion

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Advanz Pharma GmbH, München
Mehr als ein oberflächlicher Eingriff: Die Krankenhausreform verändert auch an der Schnittstelle ambulant-stationär eine ganze Menge.

© Tobilander / stock.adobe.com

Folgen der Krankenhausreform für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte

Die Klinikreform bringt Bewegung an der Schnittstelle zwischen Praxen und Krankenhäusern

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztbank (apoBank)
Detailansicht eines Windrades: Bringt eine ökologisch nachhaltige Geldanlage auch gute Rendite? Anleger sollten auf jeden Fall genau hinschauen.

© Himmelssturm / stock.adobe.com

Verantwortungsbewusstes Investment

„Nachhaltig – das heißt nicht, weniger Rendite bei der Geldanlage!“

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (apoBank)
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Was ist bei Impfungen von Menschen mit Erdnussallergie zu beachten?

© Porträt: privat | Spritze: Fied

Sie fragen – Experten antworten

Was ist bei Impfungen von Menschen mit Erdnussallergie zu beachten?

Lungenkrebs in der mikroskopischen Ansicht – zumindest stellt sich so die KI erkranktes Lungengewebe vor.

© Curie / stock.adobe.com / Generated by AI

Datenanalyse

NSCLC in Deutschland: Wer wann wie schwer erkrankt