Niedersachsen

Streit um anonymisierte Krankenscheine

Ein Projekt in Niedersachsen hat Menschen ohne Papiere einen „legalen“ Arztbesuch ermöglicht. Der Flüchtlingsrat kritisiert, dass es nicht verlängert werden soll.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Über 1000 Menschen haben laut Flüchtlingsrat Niedersachsen den sogenannten „anonymisierten Krankenschein“ genutzt.

Über 1000 Menschen haben laut Flüchtlingsrat Niedersachsen den sogenannten „anonymisierten Krankenschein“ genutzt.

© absolutimages / Fotolia

HANNOVER. Der niedersächsische Flüchtlingsrat fordert, das Projekt „anonymisierter Krankenschein“ im Land fortzuführen. Der Landtag in Hannover hat 2016 rund 1,5 Millionen Euro bewilligt, um in Hannover und Göttingen jeweils eine Anlauf- und Vergabestelle zur Vermittlung von Menschen ohne Papiere in medizinische Versorgung zu finanzieren. Nach drei Jahren soll nun das Projekt beendet und evaluiert werden.

„Aktuell ist keine Verlängerung in Aussicht, da die finanzielle Absicherung im Haushalt von Beginn an auf drei Jahre angelegt war“, heißt es in der Antwort der Landesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen-Fraktion. „Eine Veranschlagung im Haushaltsplan 2019 ist nicht vorgesehen.“

„Das Projekt wurde aufgrund eines Beschlusses des Landtages gestartet, um Erfahrungen über die tatsächlichen Verhältnisse in diesem Bereich zu gewinnen“, erläutert das Sozialministerium auf Anfrage der „Ärzte Zeitung“. „Nach dem Auslaufen des Projektes werden die gewonnenen Erkenntnisse evaluiert und dem Nds. Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung übermittelt.“ Mit den Ergebnissen rechne man im ersten Halbjahr 2019, hieß es.

"Bedarf und Effektivität stehen außer Frage"

Der Flüchtlingsrat moniert nun, dass die Regierung das Projekt auslaufen lässt, ohne auf die Ergebnisse der Evaluation zu warten. „Dabei haben das MediNetz Hannover und das Medinetz Göttingen in diesen zweieinhalb Jahren erfolgreiche und notwendige Arbeit geleistet und verlässliche Strukturen etabliert, denen nun das Aus droht,“ so der Flüchtlingsrat.

„Mit über 1000 ermöglichten ärztlichen Behandlungen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus stehen Bedarf und Effektivität außer Frage.“ Von den 1000 Behandlungen waren zu 18 Prozent Kinder betroffen und zu 33 Prozent Schwangere. „Allein von der letztgenannten Gruppe konnten 90 Prozent legalisiert werden und ihre Kinder in sichereren Verhältnissen das Licht der Welt erblicken“, schreibt der Flüchtlingsrat. Zudem konnten viele der Patienten geimpft werden „und damit Krankheitsverläufe verbessert und Ansteckungen vermieden werden“.

„Die Versorgung der sogenannten Papierlosen ist grundsätzlich weiterhin sichergestellt, da sie Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sind“, meint hingegen das Sozialministerium. Dieses Argument sei „hochgradig fragwürdig“, sagt Kai Weber, Geschäftsführer der Flüchtlingshilfe.

Angst verhindert notwendige Behandlungen

Denn die Behandlungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sind auf die ersten 15 Monate beschränkt und gelten nur für wenige Leistungen. Zudem bedeute der theoretische Anspruch nicht auch die praktische Inanspruchnahme, so Weber. Denn die untergetauchten Patienten haben Angst, dass sie nach einem Arztbesuch gemeldet, festgenommen und abgeschoben werden.

Diese Angst führe immer wieder dazu, dass Betroffene notwendige Behandlungen und Vorsorgeuntersuchungen meiden, hieß es. „Gerade daher ist der durch die MediNetz-Beratungsstellen gebotene geschützte Raum so wichtig“, so der Rat. Zwar gebe es immer wieder Ärzte, die Papierlose auch ohne Krankenschein behandeln, so Weber. „Aber ich kann auch Ärzte verstehen, die Papierlose nicht behandeln. Denn sie wollen nicht ausbügeln, was die Politik versäumt.“

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