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Warum Soldaten bald die Verwaltung in britischen Kliniken übernehmen sollen

Rund drei Monate bleiben, der Brexit-Countdown läuft. Doch Regierung und Unterhaus kreisen um sich selbst. „Crazy times“, resümiert unser Londoner Blogger: Ständig kommen abstruse Idee, die Brexit-Folgen abzufedern – zum Beispiel mit Soldaten im Krankenhaus.

Arndt StrieglerVon Arndt Striegler Veröffentlicht:
Das Tischtuch zwischen der EU und Großbritannien ist fast zerschnitten: ein ungeordneter Brexit könnte die Folge sein.

Das Tischtuch zwischen der EU und Großbritannien ist fast zerschnitten: ein ungeordneter Brexit könnte die Folge sein.

© egal / Getty Images / iStock

LONDON. Eigentlich sollte man meinen, dass der Brexit-Irrsinn nicht noch verrückter werden könnte. Schließlich sind wir nun weniger als 100 Tage vom Austritt Großbritanniens nach mehr als 40 Jahren EU-Mitgliedschaft entfernt und noch immer hat niemand auch nur einen blassen Schimmer, was nach dem 29. März 2019 passieren soll. Doch es geht noch verrückter und – irrwitziger.

Gerade gab die britische Premierministerin bekannt, dass 3500 Soldaten bereitstehen für den Fall, dass Großbritannien am 29. März kommenden Jahres ohne Einigung aus der EU ausscheiden sollte. Diese Möglichkeit, die noch vor Monaten als höchst unwahrscheinlich galt, wird inzwischen immer realistischer.

„Wir müssen auf alles vorbereitet sein und daher werde ich jetzt auf die Streitkräfte zurückgreifen“, erklärte May einem staunenden Parlament. Und: „Wir müssen sicherstellen, dass auch im Falle eines No-Deal das öffentliche Leben weiter geht.“

Im Gespräch ist derzeit gar, Soldaten in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen des staatlichen britischen Gesundheitsdienstes (National Health Service) zu stationieren, damit diese dann Verwaltungsaufgaben übernehmen, bei denen nicht zwingend medizinische oder krankenpflegerische Kenntnisse nötig sind. Wie schon gesagt: Nicht nur Ärzte in Großbritannien schütteln da nur noch den Kopf.

Nur wer Geld hat, darf kommen

Doch damit noch nicht genug: May gab jüngst auf ihrem verbissenen Anti-EU-Ritt bekannt, sie werde außerdem die Einwanderung aus der europäischen Staatenunion nach dem Austritt „drastisch einschränken“. Konkret soll zum Beispiel eine Mindesteinkommensgrenze von 30.000 Pfund (rund 32.000 Euro) jährlich gesetzt werden. Wer weniger verdient, darf nicht mehr kommen.

Zwar warnen sowohl Klinikmanager als auch Wirtschaft und Oppositionspolitiker vehement vor diesem Schritt. Zu groß sei die Abhängigkeit zum Beispiel des Krankenpflegesektors von ausländischen Arbeitskräften. Doch May stellt sich taub und bleibt stur. Droht damit in 100 Tagen ein Pflegenotstand im NHS? Wahrscheinlich ja.

Nach Informationen der „Ärzte Zeitung“ wurden im Londoner Gesundheitsministerium kürzlich viele Mitarbeiter, die eigentlich nötige Reformen ambulanter Dienstleistungen hätten vorbereiten sollen, abgeordert, um stattdessen den Gesundheitsdienst für einen No-Deal und dessen Auswirken vorzubereiten. Crazy times auf der Insel!

Angst vor der Abstimmung

Doch während die Zeit drängt, nach mehr als zwei Jahren zäher Verhandlungen mit Brüssel endlich eine Einigung vorzulegen, streitet man in Mays Kabinett und auch im Unterhaus munter weiter, was Brexit denn nun eigentlich genau bedeuten könnte für das stolze Königreich.

Dazu kommentierte ein mit mir befreundeter Klinikarzt kürzlich im Pub sarkastisch: „Ich glaube, dass am 30. März morgens der Postbote an die Tür der Downing Street klopfen wird, während das Kabinett drinnen noch immer streitet, und sagt: Wisst ihr eigentlich, dass wir jetzt raus sind?“

Nicht mehr auszuschließen ist, dass dies tatsächlich so geschehen könnte. Denn die von May aus Angst vor einer Niederlage verschobene Abstimmung im Unterhaus über ihren Austrittsvertrag soll nun nicht vor Mitte Januar frühestens stattfinden.

Und selbst das ist noch fraglich, urteilen Beobachter in London. Denn sollte sich nach den Feiertagen abermals abzeichnen, dass es im Parlament keine Mehrheit für Mays Version des Austritts gibt – nun, die Lady könnte die Abstimmung erneut verschieben, bloß um noch ein bisschen länger im Amt zu bleiben.

Kommt die zweite Volksbefragung?

Gesundheitsminister Matt Hancock übermittelte kürzlich bereits an alle Gesundheitsverwaltungen in England und Wales neue Richtlinien, wie im Falle eines No-Deal-Brexit und möglicher Versorgungsengpässe mit Arzneimitteln vorzugehen sei. Pläne für eine Luftbrücke für Arzneimittel, um diese nach dem 29. März notfalls schnell per Charter-Flieger auf die Insel zu schaffen, liegen bereits in der Schublade des Ministers.

Bleibt festzustellen: Das Jahr 2018 geht zu Ende, ohne dass viel erreicht wurde, um die schmerzhafte Trennung von Großbritannien und der EU möglichst easy abzuwickeln. Es würde mich daher nicht wundern, wenn der eine oder andere Arzt zwischen London und Liverpool in diesem Jahr auf seinem Wunschzettel für Weihnachten hat: „Bitte, Santa – schenke uns eine zweite Volksbefragung, um Brexit doch noch abzublasen!“

Diesem Wunsch möchte ich mich anschließen und Ihnen, liebe Blog-Leserinnen und Lesern, eine geruhsame Weihnacht und ein gesundes und glückliches neues Jahr wünschen!

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