Westfälischer Ärztetag

Wege aus der Fünf-Minuten-Medizin

Hausärzte haben zu viele Patienten und zu wenig Zeit für sie. Ist das eine selbst gemachte Misere? Beim Westfälischen Ärztetag mangelte es nicht an gut gemeinten Ratschlägen.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Hausärzte haben zu viele Patienten und damit auch zu wenig Zeit für jeden einzelnen von ihnen, sagt Professor Ferdinand Gerlach, Chef des Sachverständigenrats.

Hausärzte haben zu viele Patienten und damit auch zu wenig Zeit für jeden einzelnen von ihnen, sagt Professor Ferdinand Gerlach, Chef des Sachverständigenrats.

© frank peters / Fotolia.com

MÜNSTER. Ärzte müssen selbst Verantwortung dafür übernehmen, dass sie ihre Patienten nach hohen medizinischen und ethischen Standards versorgen.

Sie dürfen nicht nur andere in der Pflicht sehen, meint Professor Ferdinand Gerlach, Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen.

"Ich glaube, dass Ärzte sich engagieren sollen und müssen, damit es nicht anderen Berufsgruppen überlassen bleibt, die Versorgung der Bevölkerung zu gestalten", sagte Gerlach beim 6. Westfälischen Ärztetag in Münster.

Er stand unter dem Motto: "Zwischen Altruismus und ökonomischen Interessen: Wann ist der Arzt ein 'guter' Arzt?". Bei dieser Frage sieht Gerlach vor allem zwei Herausforderungen: den Einsatz für ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis und den Schutz der Patienten vor zu viel und vor falscher Medizin.

Hausärzte hätten zu viele Patientenkontakte und zu wenig Zeit für die Patienten. Um dieses strukturelle Problem zu beheben, sind für Gerlach, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) ist, neue Anreizsysteme notwendig.

Sie müssten mehr auf die Qualität der Versorgung zielen und nicht auf die Menge. "Da kann auch die Selbstverwaltung eine Menge machen", sagte er.

Nach Einschätzung von Gregor Bornes, Sprecher der BundesArbeitsGemeinschaft der PatientInnenstellen und -initiativen, sind die Ärzte selbst schuld an der hohen Zahl von Patientenkontakten.

"Als Ärzte kreieren Sie die Erwartung, dass man von Ihnen alles bekommen kann", sagte Bornes. Dabei sei vieles Wissen in der Medizin ungesichert, ohne dass es den Menschen deutlich gemacht würde. "Wir brauchen verlässliche gute Informationen und weniger Arzt."

Mehr Spaß in Baden-Württemberg

Professor Eckhard Nagel, Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik Essen, warnte vor einer Verteufelung der modernen Medizin. "Wir sollten nicht ein Grundmisstrauen säen gegen die Medizin und gegen den medizinischen Fortschritt."

Bei der Qualität ihres Handelns dürften sich Ärzte nicht auf den Verweis auf die schwieriger werdenden Rahmenbedingungen zurückziehen, sagte Nagel. "Die Grundbedingungen des Arztseins sind innere Wertentscheidungen."

Außer Acht lassen dürfe man das äußere Umfeld aber nicht, betonte der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands Ulrich Weigeldt. "Es hat viel mit den Rahmenbedingungen zu tun, dass 40 Prozent der Absolventen des Medizinstudiums nicht in der Versorgung landen."

Dabei gehe es nicht nur ums Geld. Viele Ärzte hätten das Gefühl, drangsaliert zu werden und nicht so entscheiden zu können, wie sie möchten. Das Beispiel des Hausarztvertrags in Baden-Württemberg zeigt nach Einschätzung Weigeldts, dass Selektivverträge ein Ausweg sein können.

"In Baden-Württemberg haben wir ein zunehmendes Interesse an dem Hausarztberuf und an der Niederlassung", sagte er. Die Kollegen hätten wieder mehr Spaß an der Arbeit.

Maria Klein-Schmeink, Sprecherin für Prävention und Patientenrechte der Grünen im Bundestag, setzt zur Entlastung der Ärzte und der Verbesserung der Versorgung auf regionale Verbünde.

"Ärzte sollten sich künftig als Teil eines gesamtversorgenden Settings verstehen", empfahl sie. Es gebe die rechtlichen Grundlagen dafür, um vor Ort auf den konkreten Bedarf zu reagieren.

"Es ist enttäuschend, wie lange wir brauchen, um die Versorgung tatsächlich umzugestalten", stellte Klein-Schmeink fest.

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