INTERVIEW

"Wer rationiert, muss auch dazu stehen"

DÜREN. Kein Verständnis dafür hat Professor Jörg-D. Hoppe, dass Politiker seit Jahren einer Diskussion um das Thema Rationierung ausweichen. Er fordert ein offenes und ehrliches Wort darüber, wie und von wem der künftige finanzielle Mehrbedarf geschultert werden soll. Zudem bricht Hoppe eine Lanze für die Vertragsärzte und erinnert Ulla Schmidt an ihr Versprechen, das Honorarvolumen deutlich zu erhöhen. Mit dem Präsidenten der Bundesärztekammer sprach Wolfgang van den Bergh.

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Professor Jörg-D. Hoppe in seinem Arbeitszimmer in Düren: "Wir brauchen den hausärztlichen Nachwuchs."

Professor Jörg-D. Hoppe in seinem Arbeitszimmer in Düren: "Wir brauchen den hausärztlichen Nachwuchs."

© Foto: aev

Ärzte Zeitung: Professor Hoppe, Sie haben kürzlich eine aufrichtige Debatte über das Thema Rationierung angemahnt. Welche Reaktionen haben Sie darauf erhalten?

Hoppe: Die Politik weicht dem Thema aus - schon seit Jahren. Unsere Botschaft ist aber angekommen. Das weiß ich aus diversen Einzelgesprächen. Es ist deutlich geworden, dass wir den Druck, der auf uns lastet, nun an die Politik weiterreichen. Die Bürger müssen wissen, wer die Verantwortung für Rationierung trägt. Ich finde es deshalb unerträglich, wie die Patientenbeauftragte der Bundesregierung über die wahren Verhältnisse hinwegtäuscht und die Probleme in der Versorgung schönredet.

Ärzte Zeitung: Nun mahnt die Ärzteschaft fast rituell bei jedem Ärztetag eine Debatte über die begrenzten Mittel im Gesundheitswesen an. Warum gelingt es nicht, eine gesellschaftliche Diskussion anzustoßen?

Hoppe: Das sehe ich anders. Die Debatte hat längst begonnen, nicht nur auf Fachebene, auch in der breiten Öffentlichkeit. Erst vor wenigen Wochen hat das ARD-Magazin "Fakt" einen bemerkenswerten Beitrag zum Thema Rationierung gebracht. Die Menschen kennen die Probleme auch aus eigener Erfahrung: Hausärztemangel, Marathondienste im Krankenhaus, Pflegenotstand und zunehmende Probleme bei der Leistungsgewährung haben Rationierung spürbar werden lassen.

Ärzte Zeitung: Wenn wir über das Thema Rationierung reden, müssen wir den Blick auf den Leistungskatalog richten. In den aktuellen gesundheitspolitischen Leitsätzen der Ärzteschaft (Ulmer Papier) heißt es, den Katalog nach dem Versorgungsbedarf der Patienten und nicht nach der Finanzierbarkeit auszurichten. Wie muss man sich das vorstellen?

Hoppe: In einer Gesellschaft des langen Lebens steigt auch der Versorgungsbedarf. Wir werden zum Beispiel deutlich mehr Demenzerkrankungen in der nahen Zukunft haben. Eine gute Versorgung dieser Menschen kostet Geld, das haben auch die regierenden Politiker begriffen. Dann haben sie aber auch die Pflicht zu sagen, wie diese zusätzlichen Mittel generiert werden sollen: durch höhere Beiträge, eine stärkere Steuerfinanzierung der GKV oder durch eine Konzentration der Leistungen auf eine Grundversorgung. Wir sehen aber auch noch Möglichkeiten, innerhalb des Systems zu vernünftigen Lösungen zu kommen.

Ärzte Zeitung: . . . bedeutet das zwangsläufig eine höhere Selbstbeteiligung für Versicherte?

Hoppe: Letztlich ist das eine Entscheidung des Gesetzgebers. Wir messen der Selbstbeteiligung eine steuernde Wirkung zu, sehen darin aber kein Instrument für eine nachhaltige Finanzierung. Wesentlich zukunftsgerichteter ist unser Vorschlag, Mindereinnahmen der GKV infolge der zunehmenden Zahl von Rentnern durch einen demografiebezogenen Ausgleichsfaktor und einen "Gesundheitssoli" auszugleichen. Hier muss die Politik endlich Farbe bekennen. Das könnte beispielsweise auch Thema des nächsten Wahlkampfes sein.

Ärzte Zeitung: Professor Hoppe, wir erleben, dass die ambulante Versorgung immer stärker durch individuelle Verträge geprägt wird. Das Monopol der Körperschaften schwindet. Wird das Auswirkungen auf die Versorgungsqualität haben?

Hoppe: Der Gesetzgeber wollte eine neue Vertragslandschaft, ohne das Kollektivsystem grundlegend infrage zu stellen. Das wird sich aber als Trugschluss erweisen. Ich bin skeptisch, dass es bei zunehmender Zahl von Selektivverträgen noch gelingen kann, das heutige Qualitätsniveau einer flächendeckenden Versorgung aufrechtzuerhalten. Wir schlittern in einen Preiswettbewerb unter den Leistungsanbietern, der dem Gesamtsystem nicht gut tun kann.

Ärzte Zeitung: Der Hausarzt soll in der ambulanten Versorgung eine Schlüsselfunktion einnehmen. Doch wer soll diesen Job machen, wenn bereits jetzt schon in einzelnen Landstrichen die Kollegen knapp werden?

Hoppe: Wir brauchen hausärztlichen Nachwuchs, um die Lücken zu füllen, die ältere Kollegen in den nächsten Jahren hinterlassen werden. Deshalb ist es ja so wichtig, endlich attraktive Rahmenbedingungen zu schaffen, die es jungen Menschen leicht machen, den Hausarztberuf zu ergreifen. Das muss bereits in der Ausbildung beginnen. Dazu gehört aber auch eine bessere, leistungsgerechtere Vergütung. Und da kann die Gesundheitsministerin nicht mit dem Finger auf die Ärzte zeigen und sagen: "Nun macht mal schön." Frau Schmidt muss ihr Versprechen halten und mit der Honorarreform auch eine deutliche Erhöhung des Vergütungsvolumens garantieren. Sonst wird die Frustration der Ärzte 2009 in massiven Protest umschlagen.

Ärzte Zeitung: Sie sprechen von einer leistungsgerechten Vergütung: Warum nimmt dieses Kapitel in den Ulmer Leitsätzen nur einen verhältnismäßig geringen Raum ein?

Hoppe: Qualität geht vor Quantität. Vielleicht sind drei Seiten gerade das, was die Politik noch problemlos verarbeiten kann. Die Aussagen zur Vergütung lassen jedenfalls an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Wir erwarten, dass die niedergelassenen Ärzte endlich angemessen für ihre Arbeit bezahlt werden. Wenn Politik und Kassen darauf nicht eingehen, wird es eine Massenflucht von Ärzten aus dem bisherigen, kollektivvertraglich geregelten System geben.

Ärzte Zeitung: Das Thema Weiterbildungsordnung sorgt weiter für Diskussionsstoff. Eine einheitliche Linie ist nicht zu erkennen. Der Eindruck von außen kann lauten: Die Kammern sind nicht mehr in der Lage, originäre Fragen der Selbstverwaltung verbindlich umzusetzen. Was sagen Sie zu diesem Eindruck?

Hoppe: Wenn man sich die Geschichte der Weiterbildungsordnung ansieht, dann wird klar, wie differenziert und komplex die ganze Angelegenheit ist. Das war schon immer schwieriges Terrain. Wäre es einfacher, hätte der Staat die Weiterbildung schon längst unter seine Fittiche genommen. Aber natürlich müssen wir darauf achten, dass nicht der Eindruck entsteht, wir wären damit überfordert. Wir brauchen den Konsens in der Ärzteschaft, daran wird man uns messen. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir auch das schaffen. Sehr wohl wäre zu überlegen, inwiefern bestimmte Entscheidungen künftig vorab in den Kammern soweit vorbereitet werden, um dieses dann gemeinsam beim Ärztetag zu beschließen. Wir arbeiten daran.

Zur Person

Professor Jörg-Dietrich Hoppe ist Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages. Erstmals wählten ihn die Delegierten beim Ärztetag in Cottbus 1999 an die Spitze der Ärzteschaft. In den Jahren 2003 (Köln) und 2007 (Münster) wurde er in seinem Amt bestätigt. Seit 1975 ist Hoppe Mitglied im Vorstand der Bundesärztekammer. 1991 wurde er Vizepräsident der BÄK. Seit 1993 ist er Präsident der Ärztekammer Nordrhein. Noch heute arbeitet Professor Hoppe als Pathologe in Düren.

Lesen Sie dazu auch: "Frustration kann wieder in Protest umschlagen"

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