"Wir arbeiten in moderner Leibeigenschaft"

Für Ärzte ist die Bundeswehr nur noch selten eine gute Adresse: Wie berichtet fehlen der Armee über 430 Sanitätsoffiziere. Über die Zustände im Sanitätsdienst sprach Rebecca Beerheide mit Wolfgang Petersen, Vorsitzender des Forums Sanitätsoffiziere.

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Ärzte Zeitung: Der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe stellt dem Sanitätsdienst der Bundeswehr in seinem aktuellen Bericht ein sehr schlechtes Zeugnis aus. Woran merken Sie, Herr Petersen, die Probleme in Ihrem Arbeitsalltag?

Petersen: Man merkt die Probleme an vielen Stellen. Sehr viele Ärzte verlassen die Bundeswehr. Zum Beispiel musste die einzige verbrennungsmedizinische Intensivstation im Bundeswehrkrankenhaus Koblenz aus Personalmangel geschlossen werden. Die Soldaten werden jetzt in zivilen Häusern behandelt. Außerdem merkt man vielen Kollegen den Motivationsmangel an. Er zeigt sich in der "inneren Kündigung" und Dienst nach Vorschrift.

Ärzte Zeitung: Wie unterscheidet sich Ihr Arbeitsalltag im Bundeswehr-Krankenhaus von dem eines zivilen Arztes?

Petersen: Die Unterschiede liegen darin, dass wir zu vielen militärischen Ausbildungen müssen. Dazu kommen dann die Auslandseinsätze ein bis zwei Mal pro Jahr. Wir haben in vielen Abteilungen der Krankenhäuser inzwischen nicht mehr die Anzahl an Patienten, so wie es früher einmal war. Der Case-Load ist einfach nicht mehr da. Die schweren Fälle können wir zum Teil nicht mehr behandeln. Auch eine umfassende Patientenversorgung in Form eines Trauma-Zentrums können wir aus Personalmangel oft nicht mehr leisten. Die notwendige Zusammenarbeit von Neuro-, HNO-, Mund- und Kieferchirurgie mit den anderen chirurgischen Abteilungen ist häufig eingeschränkt.

Ärzte Zeitung: Wie erleben Sie die von Robbe beschriebene "innerliche" Kündigung der Kollegen?

Petersen:Viele der Kollegen, die sich längerfristig verpflichten könnten, quittieren lieber den Dienst, obwohl es auch im zivilen Sektor nicht immer rosig aussieht. Außerdem glauben die Kollegen den Ankündigungen der Führungsspitze, dass es Verbesserungen geben soll, nicht mehr.

Ärzte Zeitung: Der Wehrbeauftragte Robbe macht sich Sorgen um die Zukunft des zentralen Sanitätsdienstes. Seiner Meinung nach ist die truppenärztliche Grundversorgung in Gefahr. Sind Sie der gleichen Meinung?

Petersen: Ja. Die truppenärztliche Grundversorgung droht zusammen zu brechen. Die wenigen Truppenärzte, die es noch gibt, sind häufig zu Fortbildungen oder im Auslandeinsatz. Die eingestellten Vertragsärzte können das nur bedingt auffangen und nicht die Funktion eines Hausarztes für den Soldaten übernehmen.

Ärzte Zeitung: Kann sich denn ein Arzt-Patienten-Verhältnis entwickeln?

Petersen: Nein. Der Patient trifft sehr häufig auf andere Ärzte oder wird für Untersuchungen an andere Standorte verlegt. Ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis ist nur in den wenigsten Fällen möglich.

Ärzte Zeitung: Robbe kritisiert auch die Führung des Sanitätsdienstes, da man die Probleme lange nicht ernst genommen habe. Auch Sie üben immer wieder Kritik. Werden Sie ernst genommen?

Petersen: Wir vom Forum Sanitätsoffiziere versuchen seit 2002 an die Führung heranzutreten. Der Inspekteur des Sanitätswesens hat dieses zunächst vehement abgelehnt. Inzwischen ist bei anderen hohen Sanitätsoffizieren ein Umdenken erkennbar, auch wir werden als Gesprächspartner akzeptiert. Aus meiner Sicht ist es so, dass die Sanitätsführung keinerlei Ideen hat, wie sie mit der prekären Lage umgehen soll. Auch im Verteidigungsausschuss gibt es, bis auf wenige Ausnahmen, kaum Unterstützung oder Interesse an den Problemen.

Ärzte Zeitung: Wie erklären Sie sich die mangelnde Unterstützung?

Petersen: Die Bundeswehr hat anscheinend keine Lobby. Bei der momentanen gesellschaftlichen Situation zum Beispiel wegen der Finanzkrise ist das augenscheinlich eher ein Randproblem. Afghanistan ist weit weg.

Ärzte Zeitung: Sie und Herr Robbe finden harte Worte für den Zustand des Sanitätswesens. Wer müsste ihnen zuhören, damit sich etwas ändert?

Petersen: Der Verteidigungsminister und der Verteidigungsausschuss sowie der Generalinspekteur müssten sich der Situation endlich bewusst werden. Auch viele Soldaten und Patienten müssten zuhören, denn es geht ja auch um ihre Gesundheit.

Ärzte Zeitung: Welche Verbesserungen schlagen Sie vor?

Petersen: Der Wasserkopf der Sanitätsführung müsste deutlich reduziert werden. Wir brauchen mehr Transparenz in der Führungsstruktur. Es muss kommuniziert werden, warum welche Neuerungen eingesetzt werden. Junge, unerfahrene Sanitätsoffiziere sollten nicht zu früh und schlecht ausgebildet in die Einsätze geschickt werden. Ausbildungsprogramme müssten geschaffen werden. Die unterschiedliche Bezahlung von Vertragsärzten im Vergleich zu Sanitätsoffizieren, die in den Auslandseinsatz gehen müssen, ist ein Fehler. Ein weiterer gravierender Fehler ist das Dienstrechtsneuordnungsgesetz, das den Soldaten fast alle Möglichkeiten genommen hat, die Bundeswehr vorzeitig zu verlassen. Aus meiner Sicht hat die Politik eine moderne Leibeigenschaft geschaffen.

Ärzte Zeitung: Würden Sie sich noch einmal für den Sanitätsdienst entscheiden?

Petersen: Nein. Sobald es mir möglich ist, werde ich die Bundeswehr verlassen, da zu wenig getan wird, um die Situation zu verbessern. Wir brauchen jetzt die Änderungen.

Zur Person: Wolfgang Petersen

Wolfgang Petersen ist Vorsitzender des Vereins Forum Sanitätsoffiziere. Der Verein setzt sich für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Ärzten in der Bundeswehr ein. Der 48-Jährige Chirurg und Unfallchirurg ist seit 1992 bei Auslandseinsätzen dabei. Sein erster Einsatz war in Kambodscha, danach folgte mehrere Einsätze im Kosovo, danach auf der "Rheinland-Pfalz" im Golf von Aden und beim Libanon-Einsatz auf der "Frankfurt". Auch in Kundus und Masar-i-Sharif versorgte er Soldaten. Petersen ist im Bundeswehrkrankenhaus in Koblenz stationiert.

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