Brexit

Wird Großbritannien zum sozialrechtlichen Niemandsland?

Ob Städte-Trip nach London oder Wandern in den schottischen Highlands: Nach dem Brexit kann das im Krankheitsfall zum Albtraum werden. Denn sozialversicherungsrechtlich gilt Großbritannien künftig als Drittland. Was kommt auf Ärzte und Patienten zu?

Von Detlef Drewes Veröffentlicht:
Noch sind die Würfel im Brexit-Poker nicht sortiert. Ein Grund zur Besorgnis sind derzeit etwa unklare sozialrechtliche Regelungen.

Noch sind die Würfel im Brexit-Poker nicht sortiert. Ein Grund zur Besorgnis sind derzeit etwa unklare sozialrechtliche Regelungen.

© Roman Motizov / stock.adobe.com

LONDON. Zwischen Versprechen und Realität liegen in der Stellungnahme der EU-Kommission von vergangener Woche nur wenige Zeilen. „Die Bürger sollen nicht den Preis für den Brexit zahlen“, heißt es zunächst beruhigend. Das gilt, aber eben nur bis zum 29. März. Und wenn es bis dahin keinen Deal gibt?

„Unser Vorschlag kann jedoch in keiner Weise die erheblichen Vorteile des am 14. November vereinbarten Austrittsabkommens nachbilden“, schreibt die Behörde.

Tatsächlich hängt alles vom konkreten Austrittsdatum und der Vereinbarung ab, die London und Brüssel ausgehandelt haben. So ändert sich, das wollte die Kommission sagen, bis zum derzeit geplanten Brexit am 29. März gar nichts. Danach aber wird’s ohne Abkommen heftig.

Heile Welt – bis zum Austritt

Brexit-Blog

In seinem Brexit-Blog berichtet unser Londoner Korrespondent Arndt Striegler regelmäßig über die Folgen des EU-Austritts:

www.aerztezeitung.de/brexit

Wer im Vereinigten Königreich lebt und arbeitet, erwirbt bis zu diesem Datum weiter Sozialversicherungsansprüche und bleibt im Krankheitsfall durch die Europäische Krankenversicherungskarte (EHIC) geschützt. Auch bei der Berechnung der Rentenansprüche, so die EU-Behörde, „sollte dieser Zeitraum (bis zum Austritt) von den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem Bürger in Ruhestand geht, berücksichtigt werden“.

Das alles endet schlagartig an dem Tag, an dem Großbritannien die EU verlässt – wann auch immer das ist. Denn in London wird ja auch eine Verschiebung des Brexit um einige Monate diskutiert. Der Austrittsvertrag sieht eine Übergangsphase vor, die zunächst bis Ende 2020 dauert, dann aber nochmals bis Dezember 2022 verlängert werden könnte.

Doch dazu müsste der mehrfach abgelehnte Vertrag erst einmal vom Unterhaus in London angenommen werden. Für die EU-Bürger auf der Insel wäre dieser Weg – ebenso wie für die rund eine Million Briten in anderen EU-Ländern – der beste Weg. Denn es bliebe bei dem Grundsatz, dass der Sozialversicherungsschutz als Rundum-Sorglos-Paket erhalten wird.

Die EHIC wäre auch weiterhin die Eintrittskarte zur Gesundheitsversorgung. Bis zum Ende der Übergangsfrist müssten die britische Regierung und die EU ein Abkommen über die beiderseitigen Beziehung aushandeln – es soll, so die Absicht, auch alle Fragen zur Vorsorge in Alter, Krankheit und Pflege regeln.

Beim harten Brexit gilt Tabula rasa

Gelingt das nicht, bleibt das Inselreich in einer Zollunion mit der EU verbunden (Backstop), bis man sich geeinigt hat. Die Auswirkungen auf den sozialen Schutz sind fraglich. Das mit Abstand schlimmste Szenario für alle Beteiligten wäre ein harter Bruch, also ein Austritt ohne Deal. Denn dann enden alle bisherigen Vereinbarungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich von einem Tag auf den anderen.

Ohne Vertrag fällt Großbritannien auf den Status eines Drittstaates zurück, mit dem es keine Abmachungen über die Gesundheitsversorgung, über den Erwerb von Rentenanwartschaften oder sonstige Sozialleistungen gibt. Wer auch nur zu einem Wochenendbesuch in die britische Hauptstadt reist, müsste sich vorab um einen privaten Krankenschutz kümmern.

Das Gleiche gilt für Engländer, Waliser, Schotten oder Nordiren in Europa. Der kurze Besuch beim bisherigen Hausarzt würde unmöglich, weil die bisherigen Regelungen innerhalb der EU keinen Bestand mehr haben.

Arbeitgeber, die ihre entsendeten Beschäftigten bisher mit einem relativ einfachen Formular (A 1) bei der heimischen Sozialversicherung anmelden konnten, müssten sich schleunigst etwas anderes einfallen lassen. Aber was?

Zwar weisen Experten darauf hin, dass zwischen der Bundesrepublik und Großbritannien immer noch ein bilateraler Vertrag aus den 1960er Jahren besteht, der nach dem Beitritt Londons zur EU in Tiefschlaf versetzt wurde. Er sieht die gegenseitige Anerkennung von Sozialversicherungsrechten vor. Aber ob die Behörden im Vereinigten Königreich diese Vereinbarungen noch als gültig betrachten und zum Beispiel die britische Ärzteschaft die entsprechenden Regeln kennen, ist völlig unklar.

Dieses trübe Fazit schien über Jahrzehnte hinweg in dieser EU völlig undenkbar: Niemand weiß, was nach dem 29. März wirklich gilt. Aus der Gemeinschaft ist nicht nur versicherungsrechtlich ein Chaos-Club geworden.

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