Minderjährige Schwangere

Abtreibung auch ohne elterliche Zustimmung

Bei einem Schwangerschaftsabbruch in jungen Jahren sei im Regelfall von einer „hinreichenden Reife“ auszugehen, so ein Gericht.

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Hamm. Minderjährige Schwangere dürfen auch ohne Zustimmung ihrer Eltern abtreiben. Sind sie „einwilligungsfähig“ und sich der Tragweite ihres Handelns bewusst, ist aufgrund ihres Selbstbestimmungsrechts der Schwangerschaftsabbruch zulässig, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Hamm.

Allerdings müssten die behandelnden Ärzte die Einwilligungsfähigkeit der minderjährigen Schwangeren genau prüfen.

Geklagt hatte eine damals 16-jährige Schülerin, die Ende September 2019 schwanger geworden war. Nach vielen Gesprächen mit ihrem 19-jährigen Freund, Freundinnen und ihren Eltern wollte sie das Kind jedoch nicht austragen.

In der AWO-Schwangerschaftsberatung führte sie in einem Gespräch an, dass sie sich körperlich und psychisch nicht um ein Kind kümmern könne. Sie verbaue sich zudem mit dem Kind ihre Zukunft.

Sorgeberechtigte Mutter war gegen Abort

Während ihr Vater mit dem Schwangerschaftsabbruch einverstanden war, verweigerte die ebenfalls sorgeberechtigte Mutter die Unterzeichnung einer Einverständniserklärung. Sie sei katholisch und könne sich einen Abbruch aus religiösen Gründen unter keinen Umständen vorstellen. Eine Woche vor Ablauf der Frist für eine straffreie Abtreibung entschied das OLG Hamm, dass die 16-Jährige auch ohne Zustimmung ihrer sorgeberechtigten Mutter die Schwangerschaft abbrechen darf.

Dies sei auch für eine minderjährige Schwangere eigenständig möglich, wenn sie „einwilligungsfähig ist, also nach ihrer geistigen und sittlichen Reife die Tragweite dieses Eingriffs erfassen und ihren Willen hiernach ausrichten kann“.

Verantwortungsbewusstsein zählt

1998 hatte das OLG noch gegenteilig entschieden. Doch mit den Änderungen durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20. Februar 2013 komme es auf die Geschäftsfähigkeit des Minderjährigen nicht mehr an. Je älter ein Kind werde, desto mehr müsse sein selbstständiges und verantwortungsbewusstes Handeln berücksichtig werden.

Die 16-Jährige könne auf ihr im Grundgesetz geschütztes Selbstbestimmungsrecht verweisen. Dies gelte umso mehr im „höchstpersönlichen Lebensbereich“ wie etwa die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch.

So dürften 16-Jährige auch bereits alleine über Organspenden nach ihrem Tod entscheiden. Entsprechend sei auch bei einem Schwangerschaftsabbruch im Alter von 16 Jahren im Regelfall von einer „hinreichenden Reife“ auszugehen.

Doch dies entbinde im jeweiligen Einzelfall den Arzt nicht vor einer genauen Prüfung, ob die Einwilligungsfähigkeit der minderjährigen Schwangeren besteht und ob deshalb auf die Zustimmung der sorgeberechtigten Eltern verzichtet werden kann. Dabei müsse die Jugendliche auch die psychischen Belastungen abwägen können.

Jugendliche hat intensive Gespräche geführt

Hier habe es sich die junge Frau mit ihrer Entscheidung nicht leicht gemacht. Sie habe sich intensiv mit ihrer Mutter, ihrem Freund und Freundinnen sowie dem Jugendamt und der AWO ausgetauscht.

Die Einwilligungsfähigkeit sei gegeben, so dass der Eingriff auch ohne Zustimmung der sorgeberechtigten Eltern durchgeführt werden könne. (fl/mwo)

OLG Hamm , Az.: 12 UF 236/19

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