Transplantationsskandal

Anklage ficht Freispruch mit Revision an

Im Verfahren gegen einen Chirurgen an der Uni Göttingen begründet die Staatsanwaltschaft ihre Revision beim BGH.

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GÖTTINGEN. Sieben Monate nach dem Ende des Prozesses um den Transplantationsskandal am Göttinger Uni-Klinikum hat die Staatsanwaltschaft Braunschweig die Begründung für ihren Antrag auf Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) vorgelegt.

Die Anklagebehörde habe darin dargelegt, warum sie die rechtlichen Bewertungen des Landgerichts Göttingen für fehlerhaft halte, teilte Sprecherin Birgit Seel am Montag mit.

Die Schwurgerichtskammer hatte Anfang Mai den früheren Leiter der Göttinger Transplantationschirurgie freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte dagegen acht Jahre Haft und ein lebenslanges Berufsverbot gefordert.

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hat sich der Göttinger Chirurg in elf Fällen des versuchten Totschlages sowie in drei Fällen der vorsätzlichen Körperverletzung mit Todesfolge strafbar gemacht.

Er sei dafür verantwortlich, dass an der Göttinger Universitätsmedizin systematisch Patientendaten manipuliert und falsche Angaben gegenüber der Organverteilungsstelle Eurotransplant gemacht wurden.

Damit habe er billigend in Kauf genommen, dass andere Patienten auf der Warteliste nach hinten rutschten und der Gefahr des Todes ausgesetzt wurden.

Um die Zahl der Lebertransplantationen in die Höhe zu treiben, habe er sich über Richtlinien der Bundesärztekammer hinweggesetzt. Der Angeklagte habe zudem drei Patienten eine Leber eingepflanzt, ohne dass dies indiziert gewesen sei. Die Patienten waren später an Komplikationen gestorben.

Von Manipulationen gewusst - oder sie veranlasst

Das Landgericht Göttingen war zwar ebenfalls überzeugt, dass der Chirurg die Manipulation von Patientendaten veranlasst oder darum gewusst hatte. Trotzdem sprachen die Richter ihn frei. Grund: Die Manipulationen seien zwar nach moralischen Wertvorstellungen zu missbilligen, zum damaligen Zeitpunkt aber nicht strafbar gewesen.

Der Chirurg habe auch gegen Richtlinien der Bundesärztekammer (BÄK) verstoßen. Dies sei jedoch strafrechtlich nicht relevant, weil die Richtlinien verfassungswidrig seien.

Diese schreiben vor, dass alkoholkranke Patienten nur dann eine Spenderleber erhalten dürfen, wenn sie sechs Monate lang trocken waren.

Alkoholikern dürfe nicht generell der Zugang zu einer medizinischen Behandlung versperrt werden, befand die Kammer. Außerdem bezweifelte sie, dass die Ärztekammer legitimiert sei, derart weitreichende Fragen von Leben und Tod zu regeln. Dies obliege dem Gesetzgeber.

Zuständig für das Revisionsverfahren ist der BGH-Senat in Leipzig. Dieser muss nun entscheiden, ob er die Rechtsauffassung des Göttinger Landgerichts teilt oder das Verfahren neu aufgerollt werden muss.

Da es bislang keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu derartigen Fällen gibt, wird das Votum des BGH auch andernorts mit großer Spannung erwartet.

Wie unsicher die Rechtslage ist, zeigt sich auch daran, dass die inzwischen erhobenen Anklagen gegen Transplantationsmediziner anderer Kliniken sehr unterschiedlich ausgefallen sind. (pid)

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