Chefärzte in der Schraubzwinge des Geldes

Der ökonomische Druck, unter dem Chefärzte leiden, ist teilweise enorm. Einer von ihnen plaudert nun aus dem Nähkästchen und beschreibt, wie sich der Druck auswirkt.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:
Unter Druck: Die Ökonomisierung der Medizin bringt auch Chefärzte zunehmend in Zugzwang.

Unter Druck: Die Ökonomisierung der Medizin bringt auch Chefärzte zunehmend in Zugzwang.

© G.Krautberger/fotolia.com

BERLIN. "Früher war Geld Mittel zum Zweck der Versorgung von Kranken, heute dient die Versorgung von Kranken als Mittel zum Zweck der Erzielung und Optimierung von Einnahmen."

Harte Worte, aber Professor Hans-Friedrich Kienzle hatte auch einige Beispiele im Gepäck, die zeigen, wie sich der ökonomische Druck auf Klinikärzte - insbesondere Chefärzte - zunehmend erhöht. Eine Entwicklung, die beunruhigende Gefahren birgt: für Patienten und Ärzte.

Eine variable Vergütung von bis zu 30 Prozent, die vorwiegend an wirtschaftliche Zielgrößen gebunden ist - so sehen mittlerweile laut Kienzle, der über Jahre hinweg selbst Chefarzt an der Chirurgischen Klinik des Städtischen Krankenhauses Köln Holweide war, die Arbeitsverträge von Chefärzten aus.

Auf dem Rechtssymposium der Kaiserin Friedrich-Stiftung in Berlin beschrieb er, welche Folgen das für die Patientenversorgung hat.

Op-Minuten werden gerechnet

Die Kliniken prüften die ökonomischen Zielvorgaben sehr genau. "Die Chefärzte werden durch die Monatsbesprechungen, in denen ihnen vorgerechnet wird, wie effektiv oder eben nicht effektiv ihre Abteilung ist, stark beeinflusst", so Kienzle.

Diesem Druck - vor allem auch den Benchmarks mit anderen Abteilungen - könnten sich die Ärzte auf Dauer kaum entziehen.

Im Operationssaal würde etwa in Op-Minuten gerechnet, "wie im Reinigungsbetrieb". "Der schnellste Operateur ist da der preiswerteste", berichtete Kienzle. Dabei sei Hetze im Operationssaal häufig der Auslöser für Fehler.

Und die treffen Patienten, aber auch die Ärzte müssen anschließend für Fehler gerade stehen. Aber das macht laut Kienzle wenig Eindruck auf die Op-Manager.

Es sei sogar vorgekommen, dass man Abteilungsleitern etwa nahegelegt habe: "Der Arzt ist der schnellere, preiswertere, wollen sie den langsameren Kollegen nicht lieber in die Notaufnahme stecken?"

Aber es gibt laut Kienzle noch andere Auswüchse der Ökonomisierung. Patienten, die "einigermaßen krank seien" würden gerne auf die Intensivstation verlegt, weil die Klinik so entsprechend mehr verdiene.

Oder aber eine an sich einheitliche Behandlung werde gesplittet - etwa bei Darmkrebspatienten in Diagnostik, Operation und Chemotherapie mit einer entsprechenden Zeit dazwischen. Denn so könnte die Klinik für jeden einzelnen Behandlungsabschnitt eine eigene Fallpauschale bekommen.

Je kleiner das Kind, umso höher der Basisfallwert

Ganz konkretes Zahlenmaterial hatte Kienzle für die laparoskopische Gallenblasenentfernung dabei: Würde die Klinik hier eine Verweildauer von zwei Tagen unterschreiten, bedeute dies ein Umsatzminus in Höhe von 700 Euro, denn die Klinik bekomme dann statt 2600 Euro nur 1900 Euro für die Behandlung.

Noch ein Beispiel: Die Gewichtsbestimmung bei Frühchen. Je kleiner das Kind, umso höher ist der Basisfallwert (Base Rate) für die DRG.

Kienzle: "Wenn ein Gramm Unterschied 10.000 Euro mehr bedeuten, dann kann man sich schon fragen, ob die Waage immer genau stimmt und ob Sie 1499 oder 1500 Gramm ablesen."

Denn für Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht kleiner 600 Gramm betrage der Basisfallwert rund 98.590 Euro, bei einem Geburtsgewicht zwischen 601 und 749 Gramm seien es rund 79.323 Euro.

Doch Kienzle ging es gar nicht darum anzuklagen. Er wünscht sich eher, dass die Zielvereinbarungen in den Chefarztverträgen künftig anders formuliert werden - eben damit sie auch einer besseren Versorgung der Patienten nutzen.

Sein Vorschlag: "Die medizinische Qualität sollte im Vordergrund stehen." Chefärzte sollten per Vertrag zur Einführung und Fortentwicklung eines CIRS verpflichtet werden, Behandlungspfade etablieren, die ärztliche Weiterbildung sichern und auf zeitgerechte Arbeitszeitmodelle in ihren Abteilungen achten.

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Kommentare
Dr. Dimitra Avramidou-Neuböck 30.03.201207:30 Uhr

Nein zu Ökonomisierung der Medizin

Es ist leider eine Tatsache, Medizin ökonomiesieren und kapitalisieren zu wollen.
Zum Glück gibt es Kollegen, wie in Artikel, die sich dagegen wehren und kritisch bleiben.
Eine Aufgabe der Bundesärztekammer und des Gesetztgebers ist der Beruf als Arzt in seiner ethischen Umfang zu schützen und aufrechtzuerhalten.
Das Versorgungsgesetzt sollte strickt sachlich den Verwaltungssektor und medizinischen Sektor definieren.
Kapitalgesellschaften, die Krankenhäuser betreiben und Zielvorgaben mit Bonuspunkte verteilen, haben nicht in der Medizin zu suchen.
Zum Glück wurde einerseits mit dem neuen Versorgungsgesetzt der Trend MVZ von großen Kapitalgesellschaften zu betreiben erstamals gebremst. Wir leben in Europa und nicht in Amerika. Der Patient und seine Bedürfnisse sind und bleiben im Mittelpunkt.

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