Hintergrund

Der Arbeitsmediziner: "Billiger als der TÜV"

Kein Nachtdienst, kaum Bürokratie und Unabhängigkeit vom GKV-System - Vorteile, die Arbeitsmediziner Dr. Michael Haas in seiner Arbeit sieht. Doch es ist nicht alles eitel Sonnenschein: Der Ruf des Fachs unter den Kollegen ist "nicht besonders toll". Das Honorar muss er selbst aushandeln.

Von René Schellbach Veröffentlicht:
Seit 2001 arbeitet Dr. Haas als selbstständiger Betriebsarzt.

Seit 2001 arbeitet Dr. Haas als selbstständiger Betriebsarzt.

© René Schellbach

"Ich bin rundum zufrieden mit meinem Beruf." Was der 53-jährige Michael Haas über seinen Alltag sagt, klingt für viele Arztkollegen wie das Paradies. Er muss nicht kämpfen mit den Kontingenten der GKV, er hat keine Privatpatienten und macht sich dennoch keine finanziellen Sorgen.

"Meine Arbeit ist sehr familienfreundlich - keine Nachtdienste und keine Notfälle. Ich bin meistens abends pünktlich daheim." Seit 2001 ist Haas selbstständig mit eigener Praxis für Arbeitsmedizin in Ulm.

Aber das reine Paradies ist seine Arbeit natürlich nicht. Haas betreut rund hundert Firmen von Stuttgart bis ins bayerische Unterallgäu, muss mit ihnen sein Honorar und die dafür zu erbringenden Leistungen selbst aushandeln. "Ich bin billiger als der TÜV", sagt er von sich und ordnet sich im mittleren Preisbereich ein.

Ein knappes Drittel seiner Firmen sind Kleinbetriebe, bei denen er selten ist - den vorgeschriebenen Betriebsbegehungen und ansonsten nur auf Anforderung. Wichtig für die Praxis sind mittelständische Metall- und Chemiebetriebe, Banken, eine Reha-Klinik, einige Kommunen, allen voran die Stadtverwaltung Ulm.

Das städtische Theater Ulm zeigt, wie vielfältig der Job von Arbeitsmedizinern sein kann: Die gesundheitlichen Gefahren reichen von Dämpfen beim Lackieren in der Schreinerei über mögliche Quetschungen beim hektischen Bühnenumbau während der Aufführungen bis hin zu Hörschäden bei Berufsmusikern.

Da Haas aber insgesamt für die Stadtverwaltung arbeitet, zählen auch Altenpflegerinnen zu seinem Klientel. Zu seinem Repertoire gehören Impfungen, Gesichtsfeldmessungen ebenso wie Lungenfunktionsprüfungen, der Fitness-Check auf dem Ergometer oder medizinische Gutachten für den Führerschein.

Laborleistungen kauft er selbst ein und stellt sie den Firmen in Rechnung. Haas hat die Befugnis zur Weiterbildung von Arbeitsmedizinern. "Mit meinen vielen Auftraggebern komme ich in ganz unterschiedliche berufliche Welten. Das ist mir viel lieber als fest in einem Großunternehmen zu sein."

Michael Haas hat sich, wie er sagt, auch schon "den Luxus geleistet", Firmen den Vertrag zu kündigen, wenn sie nicht kooperieren. Seine Praxis sei "sehr gut ausgelastet". Er hat mittlerweile zwei Kollegen, die er auf Honorarbasis je nach Bedarf einbindet. Außerdem arbeiten vier Medizinische Fachangestellte als 400-Euro-Kräfte in der Praxis.

"Ich bin kein Zahlenmensch, Betriebswirtschaft und Bürokratie liegen mir gar nicht", sagt er beim Rundgang durch die Praxis, in der nur tageweise viele Termine anstehen.

Er fährt rund 20.000 Kilometer im Jahr mit dem Auto. Und weiß, dass der Ruf der Arbeitsmediziner unter den Arzt-Kollegen "nicht besonders toll" ist. "Es stimmt: wir heilen nicht, aber Prävention ist doch viel wichtiger."

Und auch in den Betrieben braucht es Feingefühl: "Wir gelten schnell als der Doc vom Chef." Um Vertrauen aufzubauen, geht er nie im Anzug oder im weißen Kittel in die Unternehmen. Er gelte eher als der Anwalt der Mitarbeiter.

Aber jeder Euro, den die Firmen in die Prävention stecken, werde innerhalb von ein paar Jahren mindestens drei Euro sparen, vor allem wenn die Belegschaften immer älter werden. Die Krankenquoten würden zwar sinken, psychische Probleme beschäftigten ihn aber immer mehr.

Haas weiß aber auch: "Ein Selbstläufer ist die Arbeitsmedizin nicht. Gesundheit muss im Unternehmen auch gelebt werden." Als Betriebsarzt müsse man mit allen Hierarchie- Ebenen gut zurecht kommen. Besonders viel Spitzengefühl braucht er im Umgang mit Künstlern: "Schauspieler, Musiker und Regisseure sind äußerst sensibel und schnell eingeschnappt."

Zudem kämpfe das Ulmer Drei-Sparten-Theater mit Schauspiel, Ballett und Musiktheater, das er betreut, wie viele ähnliche Kulturbetriebe seit Jahren mit knappen städtischen Finanzen. "Da kann man nicht alles durchsetzen, was ideal wäre - aber das ist in vielen Firmen nicht anders."

Was kranke Arbeitnehmer die Unternehmen kosten

Nach einer Studie der Strategieberatung Booz & Company im Auftrag der Felix-Burda-Stiftung zahlt sich jeder Euro, der in die betriebliche Gesundheitsvorsorge investiert wird, mit fünf bis 16 Euro aus. Dabei kosten laut den Beratern die reinen Fehlzeiten Arbeitgeber 1199 Euro pro Mitarbeiter und Jahr. Viel höher seien jedoch die Kosten, die Arbeitgebern dadurch entstehen, dass Mitarbeiter trotz Krankheit am Arbeitsplatz erscheinen. Diese liegen nach der Studie bei jährlich 2399 Euro pro Mitarbeiter. Als Gründe für diese Kosten führen die Berater eine eingeschränkte Einsatzfähigkeit und dadurch eine verminderte Arbeitsqualität sowie ein höheres Risiko für Fehler und Unfälle an. Für den Arbeitgeber würden damit die krankheitsbedingten Kosten auf 3598 Euro pro Arbeitnehmer und Jahr ansteigen. Hochgerechnet auf alle Unternehmen seien 2009 somit Kosten in Höhe von rund 129 Milliarden Euro angefallen. (reh)

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