MVZ-Imperium Kielstein
Ein Schlaraffenland für angestellte Ärzte
In Thüringen erlebt die DDR-Poliklinik eine Renaissance. Dass ein MVZ auch ohne angedockte Klinik funktioniert, zeigt Volker Kielstein. Der Allgemeinmediziner hat ein kleines MVZ-Imperium aufgebaut. Seine angestellten Ärzte schwärmen von "idealen Bedingungen".
Veröffentlicht:ERFURT. "Ich habe einfach keine Lust, aufzuhören", sagt Ilka Ledermann und lacht. Sie wirkt entspannt, trotz der kleinen Warteschlange, die sich vor ihrem Behandlungszimmer gebildet hat.
Ledermann hätte all das nicht mehr nötig. Sie wird bald 80 und arbeitet seit über einem halben Jahrhundert in Erfurt als Hausärztin.
"Einmal Arzt, immer Arzt. Die Patienten sind mein Leben", erklärt die agile Frau mit den freundlichen Lachfalten um die Augen. Ledermann wirkt nicht nur entspannt, sie ist es auch.
Nach einer schweren Hüft-Operation gab sie ihre eigene Niederlassung auf und zog unter das Dach der "Dr. med. Kielstein Ambulante Medizinische Versorgung GmbH". Es ist eines der wenigen unabhängigen MVZ in Thüringen und mit fast 30 angestellten Ärzten und 100 Mitarbeitern an neun Standorten auch eines der größten.
"Nun mache ich nicht mehr so viele Stunden, weniger Hausbesuche. Es ist optimal", sagt Ledermann, reicht noch höflich die Hand und schließt die Tür. Patienten sollte man nicht unnötig warten lassen.
"Ärzte sind keine Kaufleute"
MVZ Kielstein
Neun Standorte: je drei Standorte in Erfurt und Jena sowie Standorte in Rothenstein, Eisenberg, Schkölen
Akademische Lehrpraxis des Universitätsklinikums Jena (Famulaturen, Blockpraktika, PJ-Tertiale, Weiterbildungsermächtigungen)
Fachrichtungen: Allgemeinmedizin, Innere Medizin, Diabetologie, Kinderheilkunde, Neurologie, Augenheilkunde, Psychiatrie
80.000 Patienten bisher in Behandlung
Entlastung auch durch zwei VERAH-Schwestern
Volker Kielstein ist mit seinen 43 Jahren halb so alt wie seine angestellte Senior-Ärztin. Er sitzt im Konferenzraum seiner MVZ-Zentrale im Erfurter Südosten, an deren Fassaden in Großbuchstaben "Polyklinik" steht.
Von hier aus dirigiert Kielstein sein 2007 gegründetes MVZ-Imperium, das bis nach Eisenberg in Ostthüringen reicht. Er klickt sich durch eine Powerpoint-Präsentation und will beweisen, dass hinter dem Konzept der Medizinischen Versorgungszentren viel mehr steckt als nur ein "Saugrüssel", mit dem Krankenhäuser ihre Betten füllen.
Für Kielstein ist der Nachfahre der DDR-Poliklinik die Zukunft. "Wir müssen mit der Ressource Arzt sorgsamer umgehen", erklärt er. Es ist einer seiner Lieblingssätze. Der 43-Jährige hat Allgemeinmedizin in Jena studiert und später noch BWL. Wenn eine Ressource knapp ist, muss man sie effizienter einsetzen.
Für Kielstein heißt das: den Arzt von allem nicht-medizinischen Ballast befreien. Das MVZ biete enorme Verbundvorteile. "Meine Philosophie: Bei uns macht der Arzt wirklich nur Medizin. Wir schirmen ihn so gut es geht vom Bürokratiemonster ab. Vor allem sind Ärzte keine Kaufleute", sagt Kielstein.
Mit dem Abrechnungshorror und KV-Regularien müsse sich niemand mehr auseinandersetzen. "Viele haben nur noch wenig Ahnung von EBM und GOÄ, weil sie sich damit nicht mehr beschäftigen müssen."
Sein MVZ bietet sozusagen einen Rundum-Wohlfühl-Service: Medizinische Fachangestellte gehen zur Hand. Der Notdienst wird im Pool koordiniert. Telefonische Terminanfragen werden zentral für alle neun Standorte in Erfurt abgearbeitet. Die interne Kommunikation im MVZ ist zu 100 Prozent papierlos und vernetzt.
"Die Älteren machen natürlich keine Notdienste. Hier haben Ärzte Luxusbedingungen. Manche blühen wieder auf, sind ausgeglichen und das spürt natürlich auch der Patient", sagt Kielstein selbstbewusst.
Selbst Regresse sind kein Thema. Ein internes Controlling sendet im Zweifelsfall Warnhinweise, nennt die Leitsubstanzen und nimmt einen permanenten Preisvergleich vor. "Wir sind bei den Richtgrößen daher leicht unter dem Fachgruppenschnitt", so Kielstein.
Kleine Einzelfallregresse geschehen zwar hin und wieder, werden aber vom MVZ übernommen. Eines sei ihm besonders wichtig: "Die Ärzte sind medizinisch weisungsfrei im Gegensatz zur Klinik."
Viel Flexibilität bei der Anstellung
Und Kielstein möchte noch auf einen anderen Unterschied hinweisen: "Wir gründen unsere Standorte in der Fläche, dort wo Versorgungslücken sind, und nicht, wo es sowieso genug Ärzte gibt."
Beispiel Eisenberg: In der Kleinstadt bei Jena suchte die Kassenärztliche Vereinigung händeringend einen Hausarzt. Kielstein fand schließlich eine junge Frau, die als Ärztin in einer Behörde untergetaucht war. "Die Praxis läuft rund und fast am Anschlag", freut er sich über den Erfolg.
Für den Nachbarort Schkölen konnte er eine junge Ärztin engagieren, die vor zehn Jahren nach England ausgewandert war. Der Deal: Sie arbeitet Teilzeit und bekommt noch eine "Buschzulage", weil sie in Jena wohnt, erklärt Kielstein.
Die Beispiele zeigen, mit welcher Flexibilität die Anstellung im MVZ lockt. Gerade Frauen finden das offensichtlich attraktiv. Rund 70 Prozent seiner Ärzte sind weiblich. Selbst der Verdienst sei kein Problem.
Ganz im Gegenteil, meint Kielstein. "Wir bezahlen sehr gut. In der Regel mehr pro Stunde, als man in der Niederlassung verdient." Die meisten seien zufrieden mit dem Festgehalt, zumal er regelmäßig noch Zulagen zahle.
Das MVZ selbst erwirtschafte schwarze Zahlen und komme ohne Fremdmittel aus, obwohl die Erlöse zu 97 Prozent aus KV-Mitteln stammen. Aber genauer will Kielstein nicht werden.
Großer Zusammenhalt im Team
Und noch eine Kritik am MVZ möchte er pauschal nicht gelten lassen: Dass angestellte Ärzte weniger schaffen als freiberufliche, möge vielleicht auf Klinik-MVZ zutreffen, sagt Kielstein. "Unsere Ärzte arbeiten aber mindestens das, was einer in Niederlassung schafft. Viele liegen sogar über Fachgruppenschnitt. Weniger Bürokratie heißt, Zeit für mehr Patienten."
Deshalb ärgert es ihn, wenn die Politik "regelrechte Hetzkampagnen" gegen MVZ fahre und alle über einen Kamm geschoren werden. Zumal er einen eklatanten Nachteil bei der Abrechnung hinnehmen müsse - politisch gewollt: Wird ein Patient innerhalb des MVZ überwiesen, kann er über das individuelle Punktzahlvolumen nur einmal abgerechnet werden.
"Wenn ich alles als Einzelpraxen betreiben würde, wäre es für die Krankenkassen um 50 Prozent teurer", sagt Kielstein.
Wenn er wollte, könnte das MVZ-Konglomerat noch weiter expandieren. Anfragen von Ärzten, die ihre Praxis einbringen möchten, gebe es genug. Doch Kielstein will mit Bedacht wachsen. Schon jetzt sei die Koordination sportlich. Einmal pro Woche fahre er in jeden der neun Standorte zur Dienstbesprechung.
Nicht zu vergessen, seine eigene Zulassung als Hausarzt - eine Hälfte in Jena, die andere in Erfurt. Seine Frau halte ihm den Rücken frei. Und nicht nur das, sie kommt jeden Tag mittags in die Erfurter Poliklinik, grüßt ihren Mann und kocht für das Praxisteam eine warme Mahlzeit.
"Wir sind ein Familienunternehmen", sagt Kielstein lachend. Deshalb sei ihm der Zusammenhalt auch wichtig. Grillfeste, gemeinsame Bootstouren im Sommer, gehören dazu.
Ein Schlaraffenland für Ärzte? Zumindest für Strahil Gerchev, Facharzt für Innere Medizin. "Ich war im Krankenhaus. Eine Knochenmühle. Jetzt mache ich hier meine 30 Stunden pro Woche und habe deutlich mehr Freizeit als sonst. Es sind ideale Bedingungen. Ich kann mir nichts Besseres vorstellen."