Nutzen

IQWiG betont Zweitmeinungsverfahren und Evidenz für Orphan Drugs

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Köln. Ein Fokus der Gesundheitspolitik der neuen Bundesregierung liegt auf einer stärkeren Orientierung an evidenzbasierter Medizin – also einer medizinischen Behandlung auf Grundlage empirisch nachgewiesener Wirksamkeit. Vor diesem Hintergrund thematisiert das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in seinem Jahresbericht 2021 eine Reihe von „Baustellen“, die sich seiner Ansicht nach aus dieser Zielsetzung ergeben. „Wir erwarten, dass evidenzbasierte Medizin – also das sorgfältige Hinschauen, was Nutzen und Schaden von Interventionen angeht – eine neue und andere Rolle spielen wird als bisher“, so Institutsleiter Professor Jürgen Windeler. „Wir sind sehr gespannt, was die Verbesserung und Stimulation der Evidenzbasierung im System nach sich ziehen wird.“

Zu den größeren Baustellen zählt Windeler die Frage, inwieweit eine Erprobung von Maßnahmen im medikamentösen und nicht-medikamentösen Bereich gleichzeitig mit einer breiten Verfügbarkeit dieser Maßnahme im System erfolgen kann. „Dort ist Einiges an Evaluation und auch Revision notwendig“, sagt er mit Blick auf die anwendungsbegleitende Datenerhebung (AbD) und die ebenfalls noch recht neuen Regelungen zur Bewertung von Methoden mit Medizinprodukten hoher Risikoklasse nach Paragraph 137h des Sozialgesetzbuches V.

Pro Zweitmeinung

In seinem Jahresbericht schlägt das IQWiG außerdem 15 weitere Eingriffsarten vor, bei denen Patienten nach Meinung des Instituts die Möglichkeit haben sollten, eine ärztliche Zweitmeinung einzuholen.

Seit vielen Jahren werde für Industrienationen eine mögliche Überversorgung mit medizinischen Leistungen diskutiert, stellt das Institut fest. Dabei gehe es auch um die Frage, ob alle Maßnahmen, die Ärzte empfehlen, aus medizinischer Sicht notwendig sind und wo Ermessensspielräume bestehen. „Die Situation könnte sich unter anderem dadurch verbessern, wenn Patientinnen und Patienten stärker in sie betreffende medizinische Entscheidungen eingebunden werden“, schreibt das IQWiG. Würden Betroffene umfangreich informiert, könne das die Fähigkeit fördern, notwendige von nicht notwendigen Gesundheitsleistungen zu unterscheiden.

Mandeloperationen und die Gebärmutterentfernung waren 2018 die ersten Interventionen, für die GKV-Versicherten ein Zweitmeinungsanspruch zugestanden wurde. Es folgten die Schulterarthroskopie, die Knie-Totalendoprothese sowie Eingriffe an der Wirbelsäule, das Diabetische Fußsyndrom.

die Herzkatheter-Untersuchung und die Implantation eines Herzschrittmachers, eines Defibrillators oder eines CRT-Aggregats.

Besonders profitieren könnten Patienten von einer zweiten ärztlichen Meinung außerdem bei

radiologischer Herzdurchblutungsdiagnostik,

Trommelfellschnitt,

Nasenoperationen,

Herzklappenersatz,

Koronararterien-Bypassoperation,

Endarteriektomie,

Aortenaneurysma-Eingriffen,

bariatrischer Chirurgie,

Cholezystektomie,

Prostatektomie,

Hüftgelenkersatz,

Untersuchung und Verödung übererregbaren Herzgewebes,

perkutane Koronarintervention

Bewertungsforderung für Orphan Drugs

Das IQWiG bekräftigt in seinem Jahresbericht außerdem seine Forderung, dass auch Arzneimittel gegen seltene Leiden, sogenannte Orphan Drugs, schon zum Zeitpunkt des Markteintritts ein reguläres Nutzenbewertungsverfahren durchlaufen sollten. In Deutschland ist das bislang erst ab einem Jahresumsatz von 50 Millionen Euro der Fall.

Das IQWiG ist mit dieser Verfahrensweise nicht einverstanden. „Für die Versorgung von Patientinnen und Patienten bedeutet dies, dass man zu Beginn der Markteinführung in Deutschland nicht weiß, ob Orphan Drugs besser, gleich gut oder eventuell sogar schlechter sind als Therapie-Alternativen“, so Thomas Kaiser, Leiter des IQWiG-Ressorts Arzneimittelbewertung. (bel)

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