Uniklinik Homburg

„Ich habe keine Zweifel an den Missbrauchsvorwürfen“

Claudia Willger hat die Ermittlungen um möglichen Kindesmissbrauch an der Homburger Universitätsklinik ins Rollen gebracht. Ein Interview mit der Saarbrücker Rechtsanwältin.

Von Andreas Kindel Veröffentlicht:

Ärzte Zeitung: Frau Willger, wann haben sie zum ersten Mal von den Missbrauchsvorwürfen an der Homburger Uniklinik erfahren?

Claudia Willger: Die ersten Eltern hatten sich im April dieses Jahres an mich gewandt.

Rechtsanwältin Claudia Willger vertritt mehrere Betroffene: Im Saarland beschäftigen sich mittlerweile ein Untersuchungsausschuss, ein Sonderermittler und externe Gutachter mit den Missbrauchsverdachtsfällen an der Uniklinik Homburg. (Archivbild)

Rechtsanwältin Claudia Willger vertritt mehrere Betroffene: Im Saarland beschäftigen sich mittlerweile ein Untersuchungsausschuss, ein Sonderermittler und externe Gutachter mit den Missbrauchsverdachtsfällen an der Uniklinik Homburg. (Archivbild)

© Katja Sponholz/dpa

Wie viele Kinder vertreten sie jetzt?

Willger: Inzwischen sind es zwölf.

Wie sicher sind sie sich, dass es an der Uniklinik sexuellen Missbrauch von Kindern tatsächlich gegeben hat?

Willger: Ich persönlich habe keine Zweifel an den Missbrauchsvorwürfen. Die Übergriffe erfolgten auf ganz unterschiedliche Weise und werden durch verschiedene Indizien belegt. Die Uniklinik selbst war bei der Erstattung der Strafanzeige Ende 2014 von einem Missbrauchsverdacht ausgegangen und hat sich hierbei auf Dokumentationen in den Patientenakten und auf Mitteilungen des Personals gestützt. Dazu kamen über die Jahre weitere Verdachtsmomente, etwa durch eine anonyme Mitteilung aus dem Jahr 2011.

Die Uniklinik hat gerade die Ergebnisse eines Gutachtens der Ravensburger Jugendpsychiatrie-Professorin Renate Schepker veröffentlicht, nach dem nach Aktenlage keine sexuellen Übergriffe in der Ambulanz feststellbar waren ...

Willger: ... ja, nach Aktenlage. Dabei muss jedem klar sein, dass eine Akte immer nur eine Aktenwahrheit wiedergibt. Niemand dokumentiert einen Übergriff in einer Patientenakte. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass eine Reihe von nicht indizierten körperlichen Untersuchungen erfolgt ist. Dies ergibt sich aus dem Patientenakten und war auch schon vorher bekannt und von einem externen Gutachter gegenüber der Staatsanwaltschaft bestätigt. Für mich ist es bereits nicht nachvollziehbar, warum die Klinik dieses Gutachten überhaupt in Auftrag gegeben hat.

Was fehlt in dem Gutachten?

Willger: Das Gespräch mit Patienten und deren Eltern wurde nie gesucht und deren persönliche Erfahrungen zu keinem Zeitpunkt dokumentiert. Auch die Gutachterin hat die Eltern nicht befragt. Allein aus Berichten von Eltern und den früheren Patienten ergeben sich weitere Behandlungen, die nicht in der jeweiligen Patientenakte dokumentiert sind und auch nicht dokumentierte Umstände von Behandlungen. Ich kenne Eltern, bei deren Kind jedes Mal über Jahre eine Genitaluntersuchung gemacht worden ist, nur ein Bruchteil hiervon steht in der Akte. Auch dann, wenn rektale Untersuchungen oder auch genitale Untersuchungen in der Akte festgehalten sind, ergibt sich keine Indikation hierfür aus der Akte.

Die Uniklinik hatte im Sommer Transparenz versprochen, um alle Vorwürfe aufzuklären. Wie sind ihre Erfahrungen?

Willger: Eine vorbehaltlose Aufklärung, die wieder für Vertrauen sorgt, gibt es bisher nicht. Das von ihnen zitierte Gutachten wurde ohne Mitteilung an die Eltern beziehungsweise früheren Patienten jetzt in Auftrag gegeben und das Ergebnis von der Uniklinik veröffentlicht. Auch hierüber wurden Betroffene ausschließlich durch die Presseberichterstattung informiert. Aus meiner Sicht sind dies Verstöße gegen die ärztliche Schweigepflicht und gegen den Datenschutz, die weder aus Patientenfürsorge gerechtfertigt sind, noch zu mehr Transparenz und Vertrauen in die Uniklinik führen.

Nur wenige Monate nach den Vorwürfen gegen die Kinder- und Jugendpsychiatrie kamen plötzlich Missbrauchsvorwürfe gegen die HNO-Klinik in Homburg. Ist so eine Häufung realistisch?

Willger: Ja, eine Mutter hatte in den Medien von den Vorgängen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie erfahren und sich dann gemeldet. Ihr Kind hatte 2012 nach einer Mandel-Operation einen Dammriss von der Vagina bis zum Analbereich. Die Rechtsmedizin kam schon damals zu dem Schluss, dies könne nur durch äußere Einwirkung geschehen sein.

Trotzdem. Ein Missbrauch im OP-Saal lässt sich doch nicht verheimlichen.

Willger: Es ist aber geschehen. Eine sexuelle Gewalttat kann sehr schnell erfolgen und es gibt für viele Täter einen besonderen Reiz darin, nicht entdeckt zu werden. Es gibt leider auch sadistische Täter, die Befriedigung darin finden, Kinder zu verletzen.

Sie haben wegen der Vorgänge in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Strafanzeigen gegen Verantwortliche der Uniklinik und eine damals zuständige Staatsanwältin gestellt. Bislang ohne Erfolg. Was ist ihr Ziel?

Willger: Ich will erreichen, dass alle Verantwortlichen sich rechtfertigen müssen. Auch die Staatsanwaltschaft hat hier erhebliche Rechtsverstöße begangen. Der Missbrauchsverdacht hat sich im Zuge der Hausdurchsuchung bei dem früheren Assistenzarzt erheblich verdichtet. Insbesondere die Entscheidung, die Eltern auch danach nicht zu informieren, stellt aus meiner Sicht einen unglaublichen Vorgang dar und erschüttert das Vertrauen in die Justiz. Die Vorgänge in Homburg stellen für Betroffene kein individuelles Schicksal dar, sondern hier handelt es sich eindeutig um erlittenes Unrecht. Für die Betroffenen zählt daher vor allem eines: Gerechtigkeit. Das ist ihr Hauptanliegen.

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