Auf die Ethik berufen

Katholische Kliniken verweigerten Hilfe

Unglück im Unglück: Zwei katholische Kliniken in Köln haben einer vermutlich vergewaltigten Frau die Behandlung verweigert. Der Grund: Religiöse Grundsätze. Die Empörung ist groß.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Auch hier wurde die Frau abgewiesen: das Heilig Geist-Krankenhaus in Köln.

Auch hier wurde die Frau abgewiesen: das Heilig Geist-Krankenhaus in Köln.

© Henning Kaiser / dpa

KÖLN. In Köln sorgt die Weigerung zweier katholischer Kliniken, eine Frau zu behandeln, die vermutlich Opfer einer Vergewaltigung wurde, für Aufregung.

Ärzte in zwei katholischen Kölner Krankenhäusern hatten bei einer 25-Jährigen sowohl die gynäkologische Untersuchung als auch eine Beweissicherung abgelehnt.

Die Frau war in eine Notdienst-Praxis gekommen, nachdem sie mit großen Erinnerungslücken auf einer Parkbank wach geworden war. Die behandelnde Allgemeinmedizinerin vermutete nach einem Bericht des "Kölner Stadt-Anzeigers", dass der Frau K.o.-Tropfen verabreicht wurden und sie möglicherweise vergewaltigt wurde.

Beide Krankenhäuser begründeten ihre Weigerung, der Frau zu helfen mit dem Verweis auf die ethischen Grundsätze des konfessionell gebundenen Klinikträgers, die eine eventuell geforderte Abgabe der "Pille danach" verböten und deshalb auch die vorausgehenden Untersuchungen. Versorgt wurde die Frau erst in einer dritten Klinik.

Die Klinikärzte hätten sich falsch verhalten, räumt Christoph Leiden ein, Sprecher der Stiftung der Cellitinnen, zu der beide jetzt in der Kritik stehenden Häuser gehören.

Nur ein Missverständnis?

"Ob dies aus Unwissenheit oder aufgrund von Fehlinformationen geschah, ist noch nicht klar." Zwar habe der Träger im November eine ethische Stellungnahme zum Umgang mit Patienten nach einem vermuteten Sexualdelikt erstellt.

Sie sehe aber gerade die Notfalluntersuchung und die Beweissicherung ausdrücklich vor. Lediglich die Notfallkontrazeption sei ausgeschlossen, sagt Leiden.

"Wir führen natürlich die Erstversorgung durch, inklusive der psychologischen und seelischen Begleitung." Dass sich die Ärzte in dem fraglichen Fall anders verhielten, führt Leiden auf ein "Kommunikationsproblem" zurück.

Bei einem so schwierigen Thema dürfe sich der Klinikträger nicht auf die Veröffentlichung einer Stellungnahme beschränken, moniert der Präsident der Ärztekammer Nordrhein und Vorsitzende des Marburger Bundes, Rudolf Henke.

"Solch komplexe Fragestellungen muss die Leitung mit den Mitarbeitern persönlich erörtern, um Missverständnisse zu vermeiden." Die Ärzte wiederum müssten die Klärung offener Fragen einfordern.

"Gerade ein christliches Krankenhaus muss sich Menschen zuwenden, die sich in einer Notfallsituation befinden", betont Henke.

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Kommentare
Claus F. Dieterle 18.01.201323:28 Uhr

Der barmherzige Samariter

War den Ärzten in den zwei katholischen Kliniken nicht mal "Das Beispiel vom barmherzigen Samariter" aus Lukas 10,25-37 bekannt???
Handelte es sich um "U-Boot-Christen", die nur gelegentlich zum Gottesdienst auftauchen und sonst nicht als Christen zu erkennen sind?

Mit guten Segenswünschen
Claus F. Dieterle

Dr. Thomas Georg Schätzler 18.01.201309:10 Uhr

Radikal-religiöser, katholischer Fundamentalismus?

Ja, es gibt sie tatsächlich mitten in unserer Gesellschaft. Eine frauenverachtende, mit der islamistischen Scharia vergleichbare, quasi „katholizistische“ Rechtsordnung a u ß e r h a l b von Legislative, Judikative und Exekutive unserer föderalen Bundesrepublik Deutschland.

Eine weltfern zölibatär lebende, männliche Priesterelite zwingt Frauen über dogmatisch-verquaste, katholische Natur- und Morallehren dazu, nach Vergewaltigungen, Missbrauch und allen anderen Formen sexualisierter Gewalt postkoitale Kontrazeptionsmöglicheiten auszuschlagen, um die mit einem Unrecht erzwungenen Schwangerschaften auszutragen. Frauen als verfassungsmäßig gleichberechtigte Mitglieder unserer Gesellschaft werden auf die Funktion von Gebärmaschinen reduziert.

Dies ist meine persönliche Reaktion auf die beschriebenen Vorkommnisse in zwei katholischen Kölner Kliniken, die sich bei Patientenbetreuung und gynäkologisch-geburtshilflicher Tätigkeit auf moraltheologische Grundsätze der römisch-katholischen Weltkirche berufen. Meine individuelle Empörung speist sich aus zwei wesentlichen Gründen:

Zum einen soll und kann m. E. niemand gezwungen werden, eine ungewollte oder durch kriminelle Handlungen erzwungene Schwangerschaft auszutragen. Aufgeklärte, offene, säkulare Gesellschaften garantieren in ihren Verfassungen Selbstbestimmung, freie Entfaltung der Persönlichkeit und Rechte auf Unversehrtheit im Rahmen individualisierter Freiheitsräume für Frauen u n d Männer. Dies, und der medizinisch-pharmakologische Fortschritt, die „Machbarkeit“ von Kontrazeption, Reproduktion und Antikonzeption, bestimmen im Besonderen eigenbestimmtes reproduktives oder kontrazeptives Verhalten.

Für den zweiten Grund ist gewissermaßen ein historischer Exkurs erforderlich: von 1979 bis 1981 war ich gynäkologisch-geburtshilflicher Assistenzarzt in einem Evangelischen Lehrkrankenhaus der Ruhr Universität Bochum in Herne. Mein damaliger Chef, Prof. Fuhrmann, hatte mit dem Krankenhausträger, einem evangelischen Kirchenkreis, einen Dienstvertrag, der Gynäkologie und Geburtshilfe „von der Wiege bis zur Bahre“ umfassend einschloss. Selbstverständlich hatten sich mein Chef und die gesamte Abteilung um vergewaltigte Frauen gekümmert. Selbstverständlich führten wir legale Schwangerschaftsabbrüche durch, legten die „Spirale“, führten postkoitale Kontrazeption durch, halfen bei Konflikt- und Risikoschwangerschaften, unterstützten einzelne Adoptionsfreigaben. Ebenso, wie wir gynäkologische Tumorpatientinnen, Risikogeburten und differenzierte, lokoregionäre und systemische Brustkrebstherapien machten.

Nach dieser klinischen Zeit war ich knapp 10 Jahre als ärztlicher Spezialist für Familienplanung, Schwangerschaftskonflikte und Fragen der Sexualität in einem interdisziplinären Team im Essener Beratungszentrum der Arbeiterwohlfahrt, Lore-Agnes-Haus, tätig, bevor ich mich als Haus- und Facharzt für Allgemeinmedizin in Dortmund vertragsärztlich niederließ.
Diese Ausbildungs- und Arbeitsjahre haben mich geprägt, jeder Art von moralisch-ethischer Überheblichkeit, von religiösem Dogmatismus und dem Verfechten einer „reinen Lehre“ kritisch-aufklärerisch entgegen zu treten.

Der Arztberuf ist als Freier Beruf in besonderem Maße dazu geeignet, Grenzen des eignen Denkens, Fühlens, Wollens und Handelns zu verändern, den Forschungs-, Wissens- und Erklärungshorizont ständig weiter zu fassen. Weil unsere Patientinnen und Patienten uns vor immer neue Herausforderungen und mögliche Bewältigungsstrategien stellen, uns konfrontieren mit dem „wirklichen“ Leben mit seinen Chancen, Risiken, Abgründen, hellen und dunklen Seiten: „Helfen, Heilen, Lindern, Schützen … und Loslassen!“

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Dr. Florian Baier 17.01.201320:30 Uhr

DRG-Vergütung der Beweissicherung?

Läuft in der Medizin etwas falsch, geht es meistens ums Geld.
Aufwendige Untersuchung und Beweissicherung in einem operativen Fach, auf Grund der rechtlichen Relevanz womöglich noch durch einen Facharzt persönlich...
Klingt zwar polemisch, aber jeder Hausarzt kennt das: Wenn die Vergütung nicht stimmt, ist der Aufenthalt beim Facharzt/Krankenhaus oft sehr kurz.

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