Problemfall Polymedikation

Klinik holt Apotheker auf Station

Wie bekommen Kliniken die mit der Polymedikation verbundenen Probleme in der Geriatrie in den Griff? Ein Krankenhaus in Münster setzt auf die Interaktion zwischen Ärzten und Klinikapothekern auf Station.

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Möglichst wenige Interaktionen bei der Medikation, das ist ein Ziel des Medikamentenmanagements.

Möglichst wenige Interaktionen bei der Medikation, das ist ein Ziel des Medikamentenmanagements.

© Yuri Arcurs/fotolia.com

MÜNSTER. Ärzte und Apotheker können im Krankenhaus bei der Arzneimittelsicherheit viel erreichen, wenn sie an einem Strang ziehen.

Das zeigen die Erfahrungen am Prosper-Hospital in Recklinghausen. Dort ist ein Stationsapotheker schon bei der Aufnahme von internistischen und geriatrischen Patienten in das Medikationsmanagement einbezogen.

"Hat der Apotheker Zugriff auf die patientenbezogene Medikation, ermöglicht dies, pharmazeutisches Fachwissen einzubringen und konkrete Empfehlungen zur Arzneimitteltherapie zu machen", sagte die Chefapothekerin des Prosper-Hospitals Beate Heite auf einer Fachtagung des Bundesverbands Managed Care Nordrhein-Westfalen in Münster.

Apotheker prüft auf Arzneiinteraktion

Die Klinik hat im November 2011 ein Projekt initiiert, um die mit der Polymedikation verbundenen Probleme in der Geriatrie in den Griff zu bekommen. Ein Krankenhausapotheker war vier Wochen lang täglich auf der Station und hatte die Eingangsmedikation und die Daten der Patienten aufgenommen.

"Diese hat er anhand der ABDA-Datenbank auf mögliche Interaktion geprüft", berichtete Heite. Die Ergebnisse hat der Apotheker dann mit dem Arzt besprochen.

Die 113 einbezogenen Patienten mit einem Durchschnittsalter von 81,3 Jahren bekamen im Durchschnitt 9,5 Medikamente. Der Apotheker stieß bei 1070 verabreichten Medikamenten auf 408 Interaktionsmeldungen, das waren immerhin 38 Prozent.

Seither kommt der Apotheker an einem Tag pro Woche auf die geriatrische Station. Seine Aufgabe ist nicht auf den Interaktionscheck beschränkt, sondern er kümmert sich auch um das Medikationsmanagement. "Die Projektphase hat gezeigt, dass die Fokussierung auf die Interaktionen zu eng ist", so Heite.

Beim Medikationsmanagement gehe es darum, die adäquate Medikation bei einer möglichst geringen Anzahl verordneter Wirkstoffe zu finden, die Zahl der Interaktionen zu reduzieren, potenziell inadäquate Medikamente zu identifizieren und durch geeignete Alternativen zu ersetzen sowie die Wirkstoffe zu erfassen, die an den veränderten Stoffwechsel von geriatrischen Patienten angepasst werden müssen.

Der Apotheker schreibt eine Arznei-Therapieempfehlung, die in der Patientenakte hinterlegt werden kann. Einmal wöchentlich begleitet er die Oberarztvisite und bespricht die arzneimittelbezogenen Probleme mit dem behandelnden Oberarzt und dem Patienten.

Datenauswertung zeigt Erfolge

Nach einer Auswertung der Daten von 100 Patienten hat das Medikamentenmanagement die Zahl der eingesetzten Wirkstoffe um 5,2 Prozent reduziert. Die Gesamtzahl der Wechselwirkungen sank um 24,4 Prozent auf 189.

Die vorgeschlagenen pharmazeutischen Interventionen wurden nach Angabe von Heite zu 72,5 Prozent in der Entlassmedikation umgesetzt. Allerdings wurde nur in rund zehn Prozent der Fälle die Begründung für die Intervention in den Arztbrief übernommen. "Das ist nicht günstig, weil der Hausarzt dann nicht erkennen kann, warum es passiert ist", betonte die Apothekerin.Seit Januar 2014 ist ein Stationsapotheker fest im Stellenplan der Klinik vorgesehen.

 Das Medikationsmanagement wurde auf die internistischen Fachabteilungen ausgeweitet. Geplant ist die Einführung einer elektronischen Arzneimittel-Verordnungssoftware mit Entscheidungsunterstützung.

Für wichtig hält sie, dass die Initiative nicht bei der interdisziplinären Zusammenarbeit innerhalb der Klinik stehen bleibt. "Wir brauchen eine Vernetzung mit den einweisenden niedergelassenen Ärzten und den öffentlichen Apotheken, um das Ganze rund zu kriegen." (iss)

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Kommentare
Dr. Andreas Rahn 12.07.201412:18 Uhr

Die Problematik ist sehr komplex

Polymedikation beim multimorbiden Patienten ist ein äußerst komplexes Problem.
Wenn Ärzte und Apotheker dem gemeinsam begegnen, ist das als sehr positiv zu begrüßen.
Ein ABDA-Check auf Interaktionen ist dafür zwar sinnvoll, aber bei weitem nicht ausreichend. Nicht alle zu findenden Interaktionen sind auch relevant, manche wird man sogar in Kauf nehmen müssen. Dies kann man nur berücksichtigen, wenn man die medizinische Indikation und Therapiezielsetzung mit einbezieht.
Natürlich möchte man immer gerne die Zahl der einzunehmenden Medikamente reduzieren, aber die Zahl der Medikamente allein sagt nichts über die Qualität einer Therapie aus. Es gibt auch vielfach eine Unterbehandlung.
Ein großes Feld für Verbesserungen stellt die Kommunikation über die Arzneitherapie dar - wie im Artikel angedeutet. Seit wann und warum sowie mit welcher konkreten Zielsetzung bekommt ein Patient eine Medikation?
Die Apotheker können auch vor allem helfen, indem sie darauf hinweisen, wie die Medikation anzuwenden ist: was muss wie in Bezug zur Nahrungsaufnahme eingenommen werden? Was darf gleichzeitig genommen werden und was nicht?
Wie können wir dahin kommen, dass bei jeder Dauermedikation regelmäßig Indikation, Therapieergebnisse, -ziele und evtl. Probleme geprüft werden? Meiner Meinung nach sollte dies alle 3 Monate geschehen. Das kostet durchaus Zeit und Wissen - geht aber derzeit zu oft unter. Wie viel Geld wird für Arzneimittel ausgegeben im Verhältnis zu dem Aufwand, der bei der Indikationsstellung und Anwendung getrieben wird! Wer erklärt den Patienten (und Angehörigen) die Anwendung der Medikamente und zwar so lange bis sie das verstanden haben?
Die reine Anwendung von Leitlinien und pharmakologischem Wissen hilft nicht ausreichend weiter.
Die Anwendung von Medikamenten ist ein Kernelement der ärztlichen Heilkunde und sie ist Teil einer Kunst. Wenn in der Medizin der Fokus weniger auf Technik und Interventionen gesetzt würde, sondern mehr in Richtung Kommunikation, wäre das die bessere Zielrichtung. Es wird aber wohl noch lange dauern, bis so ein Umschwenken stattfinden wird, denn derzeit wird mit Technik und Interventionen auch viel Geld verdient.

PD Dr. Hans-Robert Böhme 11.07.201409:04 Uhr

Pharmazeuten sind keine Klinische Pharmakologen

Die Klinische Pharmakologie stellt die Instrumente für eine individualisierte, pathophysiologisch begründete Therapie auch unter den heutigen Bedingungen dümmlicher Restriktionen bereit. Pharmazeuten sind die Fachleute für die e x t r a biologischen Eigenschaften der Medikamente. Die Halbwertszeit gesicherten Wissens in der klinischen Arzneimitteltherapie ist mit etwa 3,5 Jahren der Elektronik gleich und die aufs Land strömenden Medizinstudenten haben das letzte Mal im sechsten Studeinjahr etwas zur Klinischen Pharmakologie gehört .Sie lernen vom zukünftigen Chefarzt bestenfalls " Moden"(Paracetamol mit Pantoprazol !).Die eigentlich verantwortlichen Landesärztekammern fördern eher Homöopathie"qualitäts"zirkel als eine rationelle Pharmakotherapie.Klinisch pharmakologisches Basiswissen fehlt, wie solche Konstrukte wie ARMIN exemplarisch zeigen.
s.a. www.drboehmeklipha.com Informationen für Fachkreise

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