Telenotärzte

Leuchtturm trotz rechtlicher Hürden

Telemedizin ist für viele die Antwort auf den Ärztemangel im Rettungsdienst. Aber was ist mit dem Fernbehandlungsverbot? Eine Expertin gibt Entwarnung.

Von Jonas Tauber Veröffentlicht:
Rennender Notarzt: In Aachen sollen sie dank Telemedizin nicht mehr so viel laufen.

Rennender Notarzt: In Aachen sollen sie dank Telemedizin nicht mehr so viel laufen.

© Papsch / imago

AACHEN. Viele Beobachter sehen in der Telemedizin eine Lösung für den drohenden Ärztemangel im Rettungsdienst. Rechtlich gesehen gibt es zumindest keine Hindernisse für die Einführung der Technik - auch nicht das sogenannte Fernbehandlungsverbot.

Zu diesem Schluss kommt Dr. Stefania Schrag-Slavu, Wissenschaftlerin am Institut für Medizinrecht an der Universität Köln. Weil die Notrufe Jahr für Jahr zunehmen, haben Notärzte immer mehr Einsätze zu leisten.

Beim Modellprojekt TemRas (siehe Kasten) wird derzeit erprobt, inwieweit Aufgaben an Rettungsassistenten delegiert werden können. Zugeschaltet über Handy und Videokamera unterstützen Telenotärzte vom Schreibtisch aus die Rettungseinsätze.

Die Mediziner haben Zugriff auf die Vitaldaten der Patienten und können so aus der Ferne Entscheidungen über die notwendige Therapie treffen.

"Das sogenannte Fernbehandlungsverbot spricht nicht gegen den Einsatz von Telemedizin im Rettungsdienst", sagt die Medizinrechtlerin Schrag-Slavu, die ein Rechtsgutachten über die Vorstufe des Modellprojekts TemRas an der Uniklinik Aachen mitverfasst hat.

Unmittelbarkeit wegen der Fülle an Informationen

"Fernbehandlungsverbot" ist die umgangssprachliche Bezeichnung für den Paragrafen 7 Absatz 4 der Musterberufsordnung (MBO). In der Vorschrift heißt es, dass Ärzte nicht ausschließlich über Kommunikationsmedien behandeln und beraten dürfen.

2011 ergänzte der Ärztetag den Schriftsatz: Auch bei telemedizinischer Behandlung sei zu gewährleisten, dass ein Arzt den Patienten unmittelbar behandelt. TemRas hält den Vorgaben aus Schrag-Slavus' Sicht Stand.

"Bei TemRas wird nicht ausschließlich über Medien behandelt, sondern es befindet sich qualifiziertes Fachpersonal vor Ort", sagt sie.

Die eingeforderte Unmittelbarkeit sei durch die Fülle an Informationen über den Patienten gegeben, auf die der Telemediziner zugreifen kann. Der Zugriff auf die Daten in Echtzeit ermögliche dem Arzt eine kompetente medizinische Einschätzung.

Für die Gewährleistung des Datenschutzes ist wichtig, dass Patienten der telemedizinischen Behandlung vorab zustimmen. "Telemedizin funktioniert generell nicht ohne die Übertragung von patientenbezogenen Daten", sagt Schrag-Slavu.

Dafür sei die Zustimmung des Patienten nötig. "Außerdem müssen die technischen Voraussetzungen für eine sichere Datenübertragung stimmen", sagt sie. Bei TemRas werden die Daten deshalb verschlüsselt versendet.

Ampulle vor die Kamera

Haftungsrechtlich trage der Telemediziner die Gesamtverantwortung für von ihm angeordnete Maßnahmen, solange kein Notarzt vor Ort ist. Der Rettungsassistent muss für Fehler gerade stehen, wenn er eine Behandlung nicht korrekt ausführt.

Kommt ein Notarzt dazu, liegt die letzte Entscheidung bei ihm, und er kann sich vom Telemediziner beraten lassen. Bei TemRas verabreichen Rettungsassistenten im Einzelfall auch Betäubungsmittel.

Das ist aus Schrag-Slavus' Sicht trotz strenger gesetzlicher Vorgaben kein Problem, weil der Mediziner sich über Vitaldaten, Videobild und Sprachverbindung ein klares Bild von der Situation machen kann.

Dennoch müsse sich der Arzt vergewissern, dass der Rettungsassistent über die nötige Kompetenz verfügt.

Damit es bei der Applikation keine folgenschweren Missverständnisse gibt, setzt der medizinische Leiter von TemRas, Dr. Jörg Christian Brokmann, auf das Vier-Augen-Prinzip: "Der Telemediziner vergewissert sich, dass der Rettungsassistent die verordnete Behandlung richtig verstanden hat, indem er ihn den Medikamentennamen und die Dosierung laut und deutlich wiederholen lässt."

Für eine optische Gegenkontrolle hält der Assistent gleichzeitig das Medikament vor die im Rettungswagen installierte Kamera.

TemRas - der Notarzt ist "online" dabei

  • Sechs mit zusätzlicher Technik bestückte Rettungswagen fahren derzeit im Rahmen des Modellprojekts "Telemedizinisches Rettungsassistenzsystem", kurz TemRas, Notfalleinsätze in Aachen, Düren, Heinsberg, Euskirchen und Köln.
  • Die Besatzungen der Rettungswagen können über ihre Headsets von ihren jeweiligen Einsatzorten aus jederzeit eine Mobilfunkverbindung zu einem der beiden Telenotärzte in der Rettungswache Nord in Aachen aufnehmen. Auf diese Weise können sie etwa wichtige Patientendaten durchgeben oder einen der Ärzte um Rat bitten.
  • Ermitteln Rettungsassistent und Rettungssanitäter über die Monitoring-Einheit Vitalparameter wie etwa den Blutdruck, werden diese Daten automatisch auf den Bildschirm des Telefonnotarztes in der Rettungswache übertragen.
  • Für den Fall, dass der Notarzt nicht schnell genug vor Ort sein kann, können die Telemediziner auf der Rettungswache auf Grundlage dieser Informationen entscheiden, welche Maßnahmen der Rettungsassistent vor Ort ergreifen soll.
  • Das "Telemedizinische Rettungsassistenzsystem" TemRas ist ein Gemeinschaftsprojekt der Universitätsklinik Aachen, der Universität Aachen und einiger Unternehmen aus der Privatwirtschaft.
  • Die seit August 2012 laufende Evaluationsphase soll im Juli 2013 abgeschlossen sein. Das Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung in Nordrhein-Westfalen und die Europäische Union stellen Fördergelder für das Pilotprojekt bereit.

Lesen Sie dazu auch: Notfallsanitäter: Rettung für den Rettungsdienst Neuer Beruf: Notfallsanitäter im Kabinett

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