"Mit den Kodierrichtlinien bricht nicht das Chaos aus"

Hausarzt Dr. Hans-Reinhard Pies arbeitet seit Anfang des Jahres mit den Ambulanten Kodierrichtlinien. In der ersten Zeit sei die Umstellung zwar ungewohnt, aber machbar. Er teilt jedoch die Kritik, dass die AKR zum Teil an der Realität der Hausarztpraxen vorbeigehen.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Dr. Hans-Reinhard Pies hat die neuen Kodierrichtlinien bereits in seiner Praxis getestet.

Dr. Hans-Reinhard Pies hat die neuen Kodierrichtlinien bereits in seiner Praxis getestet.

© privat

KÖLN. Die Umstellung auf die Ambulanten Kodierrichtlinien (AKR) beschert den Niedergelassenen zunächst einen deutlichen Mehraufwand. Hat sich die Arbeit mit dem neuen System aber erst einmal eingespielt, wird die zusätzliche Belastung überschaubar. Diese Erfahrung hat Dr. Hans-Reinhard Pies gemacht, Hausarzt im rheinischen Nettetal.

Pies hat eine Einzelpraxis und beschäftigt drei Medizinische Fachangestellte (MFA). Er arbeitet mit der Albis-Praxissoftware und hat Anfang 2011 auf die AKR umgestellt. Der Internist ist Vorsitzender des Ausschusses "Kodieren" der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein.

"In der ersten Zeit haben die AKR in meiner Praxis eine nicht unerhebliche Mehrarbeit erfordert", sagt Pies der "Ärzte Zeitung". Den Hauptaufwand verursacht nach seinen Angaben die neue Diagnosen-Systematik.

Bei allen Diagnosen, die das System dem Arzt für einen Patienten anzeigt, muss er entscheiden, ob es sich um anamnestische oder Behandlungsdiagnosen handelt. Hinzu kommen die Akutdiagnosen.

"Das EDV-System zeigt zunächst alle als anamnestischen Diagnosen an, und man muss die für die Behandlung relevanten manuell auf Behandlungsdiagnosen umstellen", berichtet er.

Das nehme am Anfang des Startquartals viel Zeit in Anspruch. Der Aufwand werde dann aber deutlich geringer - weil viele Patienten häufiger kommen und die erste Eingabe dauerhaft weiter gilt, solange der Arzt sie nicht verändert.

Der Aufwand wird mit der Zeit deutlich geringer

Bei der Eingruppierung der Diagnosen müssen die Niedergelassenen sich genau vor Augen führen, was für die aktuelle Behandlung relevant ist, sagt Pies. So machten Kennzeichnungen wie "Zustand nach Schlaganfall" in der neuen Systematik keinen Sinn mehr.

"Was zählt, sind die relevanten Folgen einer Erkrankung." Das ist etwa die Halbseitenlähmung beim Schlaganfall. Bei einer Patientin mit Brustkrebs, die eine Tamoxifen-Therapie erhält, lautet die Diagnose "MammaCa", bis die Behandlung abgeschlossen ist.

"Man muss genau überlegen, um die Diagnose so zu stellen, dass sich der Behandlungsaufwand wiederfindet", erläutert Pies. Gerade die Unterscheidung und Kennzeichnung von anamnestischen und Behandlungsdiagnosen sei für viele Niedergelassene ungewohnt.

Allerdings hätten es die meisten Ärzte in ihren Praxen nicht mit einer sehr großen Zahl unterschiedlicher Erkrankungen zu tun. "Die wesentlichen Diagnosen hat man relativ schnell im Hinterkopf", berichtet der Hausarzt.

Das Softwareprogramm bietet zudem die Möglichkeit, eine kleine Liste mit den häufigsten Diagnosen in der Praxis zu erstellen. Das erspare in vielen Fällen die aufwendige Suche in der großen Datenbank.

Pies schätzt, dass die Kodierung in seiner Praxis zu Beginn 45 Minuten pro 100 Patienten in Anspruch genommen hat. Bei häufigen Dauerdiagnosen können zwei der MFA, die dafür geschult sind, die Voreinstellung vornehmen.

Ob das korrekt gelaufen ist, sieht der Arzt, wenn er abends die Liste mit den Kodierungen überprüft. Zu Beginn der Arbeit mit den AKR hat Pies nach der Sprechstunde eine bis anderthalb Stunden für die Überarbeitung der Listen gebraucht. "Zunächst musste ich viel nacharbeiten, das ist heute nicht mehr der Fall."

An einem normalen Praxistag kosten ihn die AKR jetzt 15 bis 20 Minuten zusätzlich. "Ob sich das noch weiter reduzieren lässt, kann ich noch nicht absehen", sagt Pies. Er profitiert davon, dass er sich bereits intensiv mit dem Thema beschäftigt hat. "Ich weiß, worauf ich achten muss, dadurch geht es leichter."

Er teilt die Kritik des Hausärzteverbands, dass die AKR zum Teil an den Realitäten in der Hausarztpraxis vorbei gehen. So müssen die Ärzte bei Erkrankungen des Bewegungsapparates mit einem fünfstelligen Code genau angeben, welcher Knochen von Osteoporose betroffen ist.

"Die vorgegebene Präzision ist sehr aufwendig und für die hausärztliche Praxis unsinnig." Gerade im Bereich des Bewegungsapparates bräuchten die AKR eine wesentlich einfachere Struktur, betont Pies. "Wenn man ein System so extrem kleinteilig anlegt, macht man es extrem fehleranfällig."

Pies hält das Prinzip der Kodierrichtlinien für sinnvoll

Niemand könne erwarten, dass die Vorgaben eins zu eins umgesetzt werden, sagt Pies. "Ich habe den Verdacht, dass manche Einteilungen eher den Interessen der Krankenkassen an der Arbeitsunfähigkeits-Statistik geschuldet sind als unserem Interesse, Morbidität genau abzubilden."

Grundsätzlich hält er das Prinzip, die Vergütung an der Morbidität zu orientieren, für sinnvoll und einen Fortschritt gegenüber der Grundlohnsummen-Anbindung. "Wenn wir in der Vergütung weiterkommen wollen, müssen wir die Morbidität vernünftig abbilden", sagt Pies.

Auch wenn die AKR voraussichtlich erst zum 1. Januar 2012 scharf gestellt werden, empfiehlt er allen Niedergelassenen, sich rechtzeitig mit der Systematik zu befassen.

Das gebe ihnen die Zeit, sich mit dem neuen Regeln vertraut zu machen, und verhindere fehlerhafte Abrechnungen. Die Kollegen bräuchten nicht zu fürchten, dass mit den AKR das Chaos ausbricht, sagt Pies. "In meiner Praxis ist nicht alles zusammengebrochen."

Mehr zum Thema

Abrechnung

SpiFa meldet sich zu Hybrid-DRG

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer

NHANES-Analyse

Bei Hörminderung: Hörgeräteträger leben länger

Hauptstadtdiabetologinnen

Ein Netzwerk für Diabetologinnen

Lesetipps
Neue Hoffnung für Patienten mit Glioblastom: In zwei Pilotstudien mit zwei unterschiedlichen CAR-T-Zelltherapien blieb die Erkrankung bei einigen Patienten über mehrere Monate hinweg stabil. (Symbolbild)

© Richman Photo / stock.adobe.com

Stabile Erkrankung über sechs Monate

Erste Erfolge mit CAR-T-Zelltherapien gegen Glioblastom

Die Empfehlungen zur Erstlinientherapie eines Pankreaskarzinoms wurden um den Wirkstoff NALIRIFOX erweitert.

© Jo Panuwat D / stock.adobe.com

Umstellung auf Living Guideline

S3-Leitlinie zu Pankreaskrebs aktualisiert