Leitartikel

Ökonomisierung in den Kliniken ist politisch gewollt!

Rangiert in den Kliniken die Ökonomie vor der Empathie? Dieses Gefühl haben immer mehr Mitarbeiter in den Krankenhäusern und auch Patienten - sie leiden darunter. Doch daran wird sich für viele so schnell nichts ändern.

Christiane BadenbergVon Christiane Badenberg Veröffentlicht:
Die Zahl der Pflegekräfte ist deutlich gesunken. Das bleibt nicht ohne Folgen.

Die Zahl der Pflegekräfte ist deutlich gesunken. Das bleibt nicht ohne Folgen.

© Ernert

NEU-ISENBURG. In Gesprächen über Krankenhäuser in Deutschland wird viel vor der Ökonomisierung des Gesundheitswesens und ihren Folgen gewarnt. So viel, dass sich kürzlich sogar der Deutsche Ethikrat in einer öffentlichen Tagung damit beschäftigt hat.

Das Thema habe eine große gesellschaftliche Relevanz, hieß es. Schließlich sei jeder Bürger ein potenzieller Patient. Und "wir wollen, dass es auch den Menschen, die sich um uns kümmern, gut geht", so die Vorsitzende des Ethikrates Professor Christiane Woopen.

Sitzen in den Führungsetagen der Kliniken hauptsächlich Sparkommissare, denen das Wohl der Patienten und Mitarbeiter nur am Herzen liegt, wenn es sich auch rechnet? Und wenn ja, was hat dazu geführt, dass Ökonomen in Kliniken immer mehr Einfluss gewinnen?

Zurzeit wird auf vielen Baustellen im stationären Sektor gewerkelt. Eine hochrangig besetzte Bund-Länder-Kommission soll eine große Reform vorbereiten. Ein neues Qualitätsinstitut ist geplant - Leistungen sollen transparenter und besser vergleichbar werden.

Doch ist nicht vieles nur Augenwischerei? Weil sich niemand traut, wirklich Hand an die Probleme zu legen? Denn: Wer den Kopf herausstreckt, wird schnell niedergemacht.

"Jeder, der sagt, ein Krankenhaus muss dichtgemacht werden, begeht politisch Selbstmord", so der rheinland-pfälzische VdEK-Chef Martin Schneider vor einiger Zeit auf einer Veranstaltung.

Und mit dieser Beobachtung steht er nicht allein da. Wer wiedergewählt werden will, der schweigt also lieber beim Thema Überversorgung.

Folgen der Unterfinanzierung

Fakt ist: Das größte Problem der Kliniken ist ihre Unterfinanzierung, und die hat Folgen: für die Qualität der Behandlung, die Versorgung, die Zufriedenheit der Mitarbeiter, den Zustand der Gebäude und der Geräte. Für die Unterfinanzierung gibt es zwei Gründe:

1. Die Länder kommen der Verpflichtung nicht nach, die Investitionskosten in ausreichendem Maße zu tragen, wie sie es laut Krankenhausfinanzierungsgesetz eigentlich müssten. Trotz dieses Missstandes wird sich an dieser Art der Finanzierung auch künftig nichts ändern.

Das hat Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) - er sitzt der Bund-Länder-Kommission zur Klinikreform vor - erst kürzlich bei der Hauptversammlung des Marburger Bundes bestätigt.

Als Folge dieser Unterfinanzierung versuchen Krankenhäuser, das Geld für notwendige Investitionen aus anderen Finanzquellen zu generieren. Das heißt: Stellenabbau und Auslagerungen.

2. Die Finanzlage der Kliniken hat sich in den vergangenen Jahrzehnten durch mehrere politische Entscheidungen dramatisch verschlechtert, wie es Professor Michael Simon von der Fachhochschule Hannover auf der Tagung des Ethikrates nachzeichnete.

So wurden 1993 mit dem Gesundheitsstrukturgesetz Budgetdeckel eingeführt. Diese enthielten zunächst Ausnahmen. Schon drei Jahre später wurden die Ausnahmen gestrichen, die Budgets selbst in den Jahren 1997 bis 1999 auch noch pauschal gekürzt.

Die Einführung der Fallpauschalen im Jahr 2004 hat für viele Kliniken die Lage weiter verschärft. Zudem sind seit Jahren die Tarifgehälter in den Kliniken sowie Ausgaben für Heiz- und Energiekosten deutlich stärker gestiegen, als die Möglichkeiten der Krankenhäuser, die Preise an die veränderten Bedingungen anzupassen.

"So kann keine Würstchenbude wirtschaftlich geführt werden, geschweige denn ein Krankenhaus", sagt Rüdiger Strehl, langjähriger Generalsekretär des Verbands der Universitätsklinika. Steige der Wurstpreis, erhöhe der Budenbesitzer den Preis für die Currywurst. "Das ist wirtschaftliches Handeln, aber den Kliniken ist es untersagt", so Strehl.

Einzige Möglichkeit für die Kliniken: Kosten senken

Die Kliniken könnten seit Jahren nur die Kosten senken, wenn sie nicht in die roten Zahlen rutschen wollten. Auslagern, Gehälter senken, Mitarbeiter entlassen.

Die Zahl der Pflegekräfte hat sich zwischen 2001 und 2011 um 6,2 Prozent verringert, die Zahl der Ärzte ist im gleichen Zeitraum um 35,8 Prozent gestiegen.

Unter anderem wegen der Umsetzung der EU-Arbeitszeitrichtlinie und vermehrter Teilzeitstellen. Doch bei der Auslagerung ganzer Wirtschaftsbereiche und dem Stellenabbau ist das Ende der Fahnenstange erreicht.

Das hat Irmtraut Gürkan, Kaufmännische Direktorin der Uniklinik Heidelberg, auf der Tagung des Ethikrates bestätigt. Und ihre Auffassung wird von vielen Kollegen geteilt.

Diese Einschnitte, die nur durch wenige Gegenmaßnahmen kompensiert wurden, wie zum Beispiel das im Sommer 2013 schnell zusammengeschnürte Krankenhaushilfspaket, können nicht folgenlos bleiben.

Wen wundert es da, wenn Kliniken jede Art von auch nur halbwegs erlaubten Tricks nutzen, um ihre Finanzlage aufzubessern. Gesundheitspolitiker, die sich darüber beschweren, heucheln.

Denn das wirtschaftliche "In-die-Knie-Zwingen" von Krankenhäusern ist politisch gewollt. Nur will kaum jemand die Verantwortung dafür übernehmen, wenn der Weg zur Behandlung länger wird oder Menschen durch Klinikschließungen ihre Arbeit verlieren.

Probleme werden verdrängt statt gelöst

Viele Experten sind sich einig, dass Deutschland noch zu viele Krankenhäuser hat. Von den derzeit etwa 2000 Kliniken, könnten noch zwischen 200 und 500 geschlossen werden, ohne dass die flächendeckende Versorgung gefährdet wäre, heißt es.

Geld, das in diese Kliniken fließt, die sich mehr schlecht als recht über Wasser halten, könnte gut an anderen Stellen eingesetzt werden. Jeder, der sich mit Gesundheitspolitik beschäftigt, kennt diese Probleme.

Doch welcher Politiker sagt einem Patienten, dass er künftig für eine stationäre Behandlung auch mal in eine andere Stadt fahren muss? Wer sagt ihm, dass ein Gesundheitssystem auf unserem Niveau für den Preis, den wir zurzeit zahlen, nicht dauerhaft zu haben ist? Welcher Ministerpräsident gibt freiwillig den Einfluss auf die Krankenhausplanung ab?

Solange man im bisherigen Maß verdrängt und weiterwurschtelt, werden Ärzte, Pflegekräfte und Patienten die Leidtragenden dieser Politik sein. Das Problem ist nicht die Ökonomisierung. Sie ist nur die Folge politischer Entscheidungen. Das Problem ist eher die Angst vor der nächsten Wahl.

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