Bundesverfassungsgericht
Off-Label-Use auf Kasse? Auch beim ungeborenen Kind nur, wenn Lebensgefahr besteht
Nur als Ultima Ratio: Das Bundesverfassungsgericht hat einmal mehr sein Grundsatzurteil zur Kostenerstattung eines Off-Label-Use in der GKV bestätigt.
Veröffentlicht:Karlsruhe. Auch im Fall eines ungeborenen Kindes ist eine Therapie mit nicht zugelassenen Arzneimitteln auf GKV-Kosten nur bei einer lebensbedrohlichen „notstandsähnlichen“ Lage möglich. Fehlt es daran, können Versicherte auch mit Blick auf ihre Grundrechte von ihrer Kasse keine Kostenerstattung von im Off-Label-Use selbst beschafften Arzneien verlangen. Damit bekräftigte aktuell das Bundesverfassungsgericht seine bisherige Rechtsprechung.
Im konkreten Fall wurde bei der Beschwerdeführerin 2015 in der neunten Schwangerschaftswoche eine humane Zytomegalievirusinfektion festgestellt. Eine zugelassene Therapie, um den Fötus vor einer Infektion und damit einhergehenden Gesundheitsschäden zu schützen, gab es nicht. Knapp jedes dritte werdende Kind infiziert sich mit dem Virus, wovon 16 Prozent Gesundheitsschäden erleiden.
Medikament selbst beschafft
Um ihr Kind vor Schäden zu schützen, beschaffte sich die Frau auf eigene Kosten das Fertigarzneimittel Cytotect CP® Biotest und ließ sich damit behandeln. Das Präparat ist nur gegen Virusinfektionen bei einer immununterdrückenden Therapie zugelassen. Der Therapieerfolg gegen Zytomegalieinfektion ist umstritten.
Die AOK Bayern lehnte die Kostenerstattung in Höhe von 8.753 Euro ab. Die Arznei sei im Off-Label-Use verwendet worden und müsse daher nicht bezahlt werden. Das Bundessozialgericht urteilte im Januar 2023, dass die Behandlung einer Schwangeren und ihres ungeborenen Kindes mit nicht zugelassenen Arzneimitteln auf Kasse in einer „notstandsähnlichen“ Lage durchaus möglich sei. Hierfür müsse nach dem Gesetz eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vorliegen. Das sei im Streitfall jedoch nicht der Fall.
Hier keine Lebensgefahr
Die Entscheidung steht in der Tradition des sogenannten „Nikolausbeschlusses“ des Bundesverfassungsgerichts (Az.: 1 BvR 347/98) von 2005. Danach ist es mit dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit unvereinbar, einem GKV-Versicherten, der an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung leidet, ein Medikament im Off-Label-Use zu verweigern, wenn eine allgemein anerkannte Behandlung nicht zur Verfügung steht.
Im Fall der ehedem schwangeren Klägerin bestätigte das Bundesverfassungsgericht nun das BSG-Urteil. Versicherte könnten aus ihren Grundrechten regelmäßig keinen Anspruch gegenüber ihrer Kasse auf Kostenübernahme von Gesundheitsleistungen verlangen. Die Kostenerstattung von Arzneimitteln im Off-Label-Use sei nur in einer „notstandsähnlichen“ Lage aufgrund einer lebensbedrohlichen oder „in überschaubarer Zeit“ regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung möglich. Hier habe die Wahrscheinlichkeit auf Geburt eines gesunden Kindes aber deutlich überwogen. Die Kostenerstattung sei daher zurecht abgelehnt worden. (fl/cw)
Bundesverfassungsgericht, Az.: 1 BvR 1552/23